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Erste Klage gegen Tabakkonzern in Deutschland

Anne Herrberg7. November 2003

Klagen gegen die Zigarettenindustrie in gigantischer Höhe kannte man bisher nur aus den USA. Jetzt sitzt zum ersten Mal in Deutschland ein Tabakunternehmen auf der Anklagebank. Es geht um viel Geld – und ums Prinzip.

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Auf der Anklagebank: Tabakkonzern ReemtsmaBild: AP
Kläger und Raucher Wolfgang Heine
Raucht seit 1964 und verklagt jetzt Reemtsma: Wolfgang HeineBild: AP

Alles hat Wolfgang Heine versucht, um das Rauchen aufzugeben: Pflaster, Akupunktur, Tabletten, sogar psychologische Beratung. Nichts davon hat genützt. Heute ist der Frührenter 56 Jahre alt und todkrank. Zwei Herzinfarkte, zwei Bypass-Operationen und chronische Luftnot sind das Ergebnis jahrelanger Zigarettensucht. Schuld daran ist – seiner Meinung nach – die Zigarettenindustrie. Heine hat ein Tabakunternehmen auf Schadensersatz und Schmerzensgeld verklagt – insgesamt geht es um eine Summe von 213.000 Euro.

Juristisches Neuland

Am Freitag (7.11.) beginnt vor dem Landgericht Arnsberg (Nordrhein-Westfalen) der Prozess gegen den Tabakhersteller Reemtsma. Es ist die erste Raucherklage, die vor einem deutschen Gericht zugelassen wird. Bisher hatten Richter derartige Klagen mit der Begründung abgelehnt, die Kenntnis von schweren oder gar tödlichen Gesundheitsgefahren durch das Rauchen zähle "zum allgemeinen Erfahrungswissen".

Außerdem sind die Prozesskosten für ein solch komplizierteres Verfahren sind enorm hoch, die Aussichten auf Erfolg gering. Im Normalfall lässt sich keine Rechtsschutzversicherung darauf ein. Ein Formfehler kam Heine zugute. Seine Versicherung hat den Antrag nicht rechtzeitig abgelehnt und muss den Prozess deshalb finanzieren. So entschied der Bundesgerichtshof. Aussichten auf Erfolg oder nicht - diese Frage spielte hierbei keine Rolle. Jetzt muss das Landgericht Arnsberg klären, ob die Zigarettenindustrie Raucher vorsätzlich in die Abhängigkeit treibt.

Vorwurf: Zusatzstoffe machen süchtig

Raucher raucht Zigarette - Weltnichtrauchertag
Treiben Zusatzstoffe im Tabak die Raucher in die Sucht?Bild: AP

Der Rechtsanwalt stützt seine Anklage auf verschiedene Unterlagen, die in amerikanischen Tabakprozessen herausgegeben wurden. Für Kläger Wolfgang Heine und seinen Anwalt ist die Sache klar: die Zigarettenindustrie mische Suchtmittel in den Tabak, die immer wieder das Verlangen nach einer Zigarette hervorrufen. Gegenwehr: zwecklos. Deshalb fordert Heine vom Unternehmen Reemtsma 125.000 Euro Schmerzensgeld und 80.000 Euro Schadensersatz wegen Verdienstausfall – der jahrelange Zigarettenkonsum hat zu einer Herzerkrankung geführt.

Schlechte Chancen für den Kläger

Deutsche Experten gehen nicht davon aus, dass die Klage Erfolg haben wird. Nach der ersten mündlichen Verhandlung will das Landgericht Arnsberg am 14. November darüber entscheiden, ob es mit der Beweisaufnahme beginnt – oder die Klage doch noch abweisen wird, wie es die Reemtsma-Anwälte fordern.

Ende September ist in Frankreich eine ähnliche Klage gescheitert. Die Sozialversicherung von Saint-Nazaire wollte von Tabakproduzenten 18,6 Millionen Euro Schadensersatz für Gesundheitsschäden bei ihren Mitgliedern einklagen. Das Landgericht der westfranzösischen Stadt erklärte die Klage für unzulässig. Ähnlich spektakuläre Klagen wie in den USA wird es in Europa wohl nicht geben – noch nicht.