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Kulturaustausch im Frauenknast

Sabine Peschel 27. August 2016

Was passiert, wenn man deutsche und chinesische Künstler zwei Monate lang nebeneinander in die Zelle steckt? Ob aus diesem Experiment ein gemeinsamer kreativer Prozess erwächst, lässt sich zur Zeit in Berlin beobachten.

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Kunst gemeinsam gestalten (c) DW/S. Peschel
Deutsch-chinesische Künstler-Begegnung: Ye Funa und Michael JustBild: DW/S. Peschel

"Ich gehe nicht direkt davon aus, dass es eine gemeinsame künstlerische Arbeit geben wird, sondern dass der Austausch eher auf einer inhaltlichen Ebene, im Gespräch stattfinden wird. Es ist schwierig, mit Leuten zusammenzuarbeiten, die man gerade erst kennengelernt hat." Die Kölner Video-Künstlerin Julia Weißenberg freut sich trotz ihrer Skepsis auf die nächsten Monate, die sie und ihre deutschen Kolleginnen und Kollegen mit acht chinesischen Kunstschaffenden gemeinsam verbringen werden. Denn: "Es ist ja auch immer ziemlich spannend, mit Künstlern in ganz andern Kulturkreisen in ganz anderen Medien zu arbeiten."

"Kunst gemeinsam gestalten", nennt sich das Programm, in dessen Rahmen 16 junge Künstlerinnen und Künstler aus Deutschland und China Mitte August in Berlin-Lichterfelde eingetroffen sind. Alle sind sie unter vierzig, Profis mit Ausstellungserfahrung, Englischkenntnissen und internationaler Orientierung - das waren die Auswahlkriterien. Zwei Monate verbringt die Gruppe gemeinsam in Deutschland. Nach einer "Denkpause" geht es im März 2017 für die Deutschen dann nach Peking.

Begegnungen fördern, Austausch bewirken

Die Initiative für das Projekt kam nicht von den Künstlern selbst, sondern aus institutionellen Kreisen. Angestoßen hatte es Zhang Yu, Gastprofessorin für Interkulturelles Management an einer privaten Hochschule in Berlin und Vorsitzende der "Gesellschaft für deutsch-chinesischen kulturellen Austausch". Eine Unterstützerin fand sie in Dagmar Schmidt, der Vorsitzenden der Deutsch-chinesischen Parlamentariergruppe. "Wir haben die Idee zwar zuerst auf deutscher Seite entwickelt", erzählt Zhang Yu,"ich habe aber auch in China sehr viele Gespräche geführt, mit Wirtschaftskreisen, auch mit Ministerialvertretern. Es handelt sich zwar nicht um ein von der chinesischen Regierung offiziell gefördertes Projekt, aber ein großes chinesisches Technologieunternehmen unterstützt uns." Zhang lebt seit 24 Jahren in Deutschland, und die deutsch-chinesische Partnerschaft liegt ihr am Herzen. "Die Völkerverständigung und das Zwischenmenschliche - es ist uns wichtig, beide Seiten zu fördern."

Erster Austausch beim gemeinsamen Frühstück (c) DW/S. Peschel
Erster Austausch beim gemeinsamen FrühstückBild: DW/S. Peschel

China bemüht sich zur Zeit, sein Image im Ausland durch Kulturprojekte und medialen Einsatz seiner Softpower aufzupolieren. Da passt ein solches Ausstellungsprojekt gut ins Konzept. Auf deutscher Seite sind das Auswärtige Amt, das Goethe-Institut, die Mercator-Stiftung und ein paar Unternehmen als Sponsoren mit im Boot. Die 20-köpfige, internationale Jury, die die teilnehmenden Künstler unter etwa achtzig vorgeschlagenen ausgewählt hat, ist hervorragend besetzt. "Wir haben unter anderen den Direktor der Neuen Nationalgalerie in Berlin, Udo Kittelmann, die Direktorin des Lehmbruck-Museums in Duisburg, das ja für Skulpturen sehr bekannt ist, Söke Dinkla, und Gabriele Horn, die Direktorin der Berlin-Biennale - und in China haben wir eine ähnliche Zusammensetzung, die Direktoren vom Nationalmuseum , des CAFA-Museums, und die Direktorin des größten Privatmuseums, des 'Today's Art Museum'", berichtet Zhang Yu.

Wechselseitige Inspiration

Für die Künstler geht es zunächst darum, ob es durch den Umgang miteinander einen gegenseitigen Austausch geben kann, der über die auf Englisch geführten Gespräche hinausgeht. Die in Peking lebende Video-Künstlerin Ye Funa setzt darauf. "Ich möchte sehen, wie die Berliner Künstler leben und arbeiten, ihre Konzepte verstehen. Meine Videos sind oft auch in Performances eingebettet. Also muss ich schauen, dass ich hier ein paar Freunde finde, die bei so etwas mitmachen."

Berlin sei ungeheuer kreativ, alle jungen Künstler sollten deshalb eine Zeitlang hier leben, findet Ye. Sie und die anderen sind im ruhigen Südwesten untergebracht, an einem speziellen Ort, der erst seit diesem Frühjahr für kulturelle Aktivitäten genutzt wird. "Es ist tatsächlich ein Gefängnis, so wie man sich das vorstellt. Ich denke, dass ich mich von der Umgebung hier, vom Wohnen in einem ehemaligen Frauengefängnis, sehr inspirieren lassen kann, denn das passt mit meinen eigenen Vorstellungen, meiner Auseinandersetzung mit dem Thema Weiblichkeit und Feminismus gut zusammen."

Kunst gemeinsam gestalten (c) DW/S. Peschel
Für Julia Weißenberg und Gong Jian heißt es für ein paar Wochen, leben und arbeiten im ehemaligen GefängnisBild: DW/S. Peschel

Mit klarem Plan nach China

Michael Just lebt seit einigen Jahren in Berlin. Der bereits international erfolgreiche Bildende Künstler kann sich ebenfalls vorstellen, dass das ehemalige Frauengefängnis Lichterfelde künstlerisch anregend wirkt. "Man kann hier durchaus arbeiten, sich etwas für den Ort einfallen lassen, wenn das in den Bereich des eigenen Interesses oder der eigenen Arbeit fällt." Mit chinesischen Künstlern hatte er bisher erst wenig zu tun. Wir haben da noch einiges nachzuholen." In Berlin verfolgt er laufende Projekte weiter und nutzt die Zeit bis Ende des Jahres, um sich auf China vorzubereiten. "Ich möchte gern mit einem klaren Plan ankommen, was da passieren soll, denn die zwei Monate gehen erfahrungsgemäß sehr schnell rum. Man verbringt erst einmal einen Monat mit der Stadt, mit dem Umfeld, mit allem und hat dann quasi noch vier Wochen zum Arbeiten. Das ist ziemlich begrenzt, deshalb muss man sich gut vorbereiten."

Der Projektplan bis Mitte Oktober wird den Künstlern nicht allzu viel Zeit für kreative Arbeit lassen. Der Terminplan ist detailliert ausgearbeitet: Museen, Sammlungen, Galerien, Institutionen - bis Ende August sind eine Menge Besichtigungen im Angebot. Für den Maler und Digital-Künstler Gong Jian ist das ideal. Er will die kommenden Wochen nutzen, um sich kunsthistorisch weiterzubilden: "Ich interessiere mich sehr für Kunstgeschichte, vor allem Kunstwerke des Mittelalters und der Renaissance. Diese Epochen möchte ich gern besser verstehen. Ich möchte die Alte Pinakothek in München besuchen, natürlich auch die Alte Nationalgalerie in Berlin, vielleicht auch nach Wien fahren, vor allem, um die Werke Pieter Bruegels zu studieren."

Kunst gemeinsam gestalten
Eine Ausstellung Gong Jians in ChinaBild: GONG Jian

Kreatives Verständnis entwickeln

Dabei geht es dem in Wuhan lebenden und lehrenden Künstler um ein vertieftes wechselseitiges Verständnis. “Ich möchte die Zeit hier nutzen, um die verschiedenen kreativen Konzepte, das künstlerische Schaffen an verschiedenen Orten zu verstehen. Vorstellungen und Gedanken, die für uns vielleicht noch fremd oder unerwartet sind. Möglicherweise löst das ja auch bei mir neue Emotionen und Gedanken aus."

Am 18. September steht für die Künstler die Preview für die Berliner Art Week auf dem Programm, danach gibt es noch eine Fahrt nach Nordrhein-Westfalen. Einen Produktionszwang gibt es nicht. Ihre Werke, die möglicherweise doch in dieser überschaubaren Zeit entstehen, präsentieren die Künstler gegen Ende der ersten, deutschen Phase dieses einmaligen Austauschprojekts am Wochenende vom 7. bis 9. Oktober 2016 in Berlin im "Open Studio".

Diese Künstlerinnen und Künstler nehmen teil:

Banz & Bowinkel, Melanie Bisping, Markus Hoffmann, Michael Just, Katharina Lüdicke, Bettina Marx, Andreas Mühe und Julia Weißenberg
Geng Xue 耿雪, Gong Jian 龚剑, Song Kun 宋琨, Tan Tian 谭天, Yang Xinguang 杨心广, Xu Sheng 徐升,Ye Funa 叶甫纳 und Zheng Jing 郑菁