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Erdogan wirbt um die Gunst Berlins

Rainer Sollich3. September 2003

Während seines zweitägigen Staatsbesuchs in Deutschland will der türkische Premierminister Erdogan für die Aufnahme seines Landes in die EU werben.

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Will die Türkei in die EU führen: Recep Tayyip ErdoganBild: AP

Der türkische Premierminister Recep Tayyip Erdogan ist am Montagabend (1.92003) zu seinem ersten offiziellen Deutschland-Besuch als Regierungschef in Berlin eingetroffen. Auf dem Programm stehen ein Treffen mit Bundeskanzler Schröder und die Eröffnung einer Niederlassung des türkischen Industriellenverbands TÜSIAD.

Nicht zuletzt will Erdogan in Deutschland auch um Unterstützung für einen türkischen EU-Beitritt werben. Die Türkei ist das einzige Bewerberland, mit dem noch keine Beitrittsverhandlungen geführt werden. Traditionell betrachtet Ankara Berlin als Türöffner für einen türkischen EU-Beitritt. Denn in Deutschland leben heute infolge der Gastarbeiter-Anwerbung seit den 1960er-Jahren rund 2,5 Millionen Türken und Deutschland ist der mit Abstand wichtigste Handelspartner der Türkei.

Streit um Kandidaten-Status

Doch bei der Frage, ob die Türkei überhaupt in die EU aufgenommen werden soll, gehen die Meinungen in Deutschland weit auseinander.

Im vergangenen Bundestagswahlkampf sorgte der CDU/CSU-Spitzenkanditat Edmund Stoiber für beleidigte türkische Politiker mit seiner knappen Feststellung: "Für uns ist eine EU-Mitgliedschaft der Türkei nicht denkbar."

Laut Umfragen steht auch die Mehrheit der deutschen Bevölkerung einem türkischen EU-Beitritt kritisch gegenüber. Viele Bürger befürchten eine verstärkte Zuwanderung von Türken auf den deutschen Arbeitsmarkt. Andere argumentieren, als islamisch geprägtes Land passe die Türkei kulturell nicht nach Europa. Und ein weiteres Argument lautet, der NATO-Partner am Bosporus sei schlichtweg zu groß, um in die europäische Staatenfamilie integriert zu werden.

Fischers Lob

Recep Tayyip Erdogan in Kopenhagen
Turkey's new leader Recep Tayyip Erdogan speaks to the media Tuesday Nov. 26, 2002 in Copenhagen, Denmark after a meeting with Danish Prime Minister Anders Fogh Rasmussen. Erdogan, the head of Turkey's Islamic-rooted party, has been on a whirlwind tour of European capitals and attempting to romance the West. The European Union will hold its year end summit in Copenhagen on Dec. 12-13. (AP Photo/John McConnico)Bild: AP

Der jetzige türkische Premier Recep Tayyip Erdogan kann bei seinem Besuch in Berlin allerdings trotzdem auf deutsche Unterstützung hoffen. Bundeskanzler Gerhard Schröder hat - zumindest öffentlich - mehrfach betont, dass er an eine europäische Zukunft der Türkei glaube. Und Außenminister Joschka Fischer fand bereits Ende 2002 lobende Worte für die innenpolitischen Reformen, mit denen Erdogan sein Land für einen EU-Beitritt fit machen will. Fischer verteidigt zudem bis heute den Beschluss der EU, die Reformbemühungen der Türkei im Jahr 2004 zu überprüfen und danach - wenn die Bilanz positiv ausfällt - endgültig Beitrittsverhandlungen aufzunehmen.

Bald Aufnahme-Verhandlungen?

Die Chancen dafür stehen nicht schlecht. Der Reform-Islamist Erdogan stand früher zwar im Verdacht, einen islamischen Gottesstaat errichten zu wollen. Aber ausgerechnet er hat in den letzten Monaten Reformen durchgesetzt, an denen alle westlich orientierten Politiker in Ankara zuvor gescheitert waren: Die Todesstrafe wurde zumindest in Friedenszeiten abgeschafft. Gesetze, die die Meinungsfreiheit beschränken, wurden überarbeitet oder gestrichen. Radiosendungen in kurdischer Sprache sind mittlerweile erlaubt und der starke Einfluss der Militärs auf die Politik wurde beschnitten.

Gericht sagt Nein

Dafür kann Erdogan in Berlin sicher mit viel diplomatischem Lob der deutschen Regierung rechnen. Doch schon aus Eigen-Interesse wird Berlin ihn auffordern, die beschlossenen Reformen nun schnellstmöglich in die Tat umzusetzen: Erst Ende August (2003) hat ein deutsches Gericht entschieden, dass der radikale und straffällig gewordene Islamist Metin Kaplan nicht in die Türkei abgeschoben werden kann, weil dort nicht mit einem rechtsstaatlich fairen Prozess gerechnet werden könne.