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Zerplatzte Träume

Maissun Melhem22. August 2016

Sally Abazid stammt aus der Damaszener Mittelschicht. Doch seit zehn Monaten lebt die junge Syrerin in Berlin. Richtig heimisch geworden ist sie in Deutschland aber bislang nicht. Noch sind die Probleme zu groß.

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Porträt syrischer Flüchtling Sally Bazin (Foto: Melhem/DW)
Bild: DW/M. Melhem

Berlin, S-Bahnhof Westend. Sally Abazid sitzt mit zwei Freunden auf dem Gehsteig. Durch ihre helle Haut und die modisch kurzen Haare unterscheidet sie sich äußerlich kaum von den deutschen Passanten, die hier vorbeikommen. Doch Abazid fühlt sich nicht aufgenommen in Berlin: Zehn Monate nach ihrer Ankunft in Deutschland überlegt die 20-jährige Syrerin aus Damaskus, in ihre Heimat zurückzukehren - oder mindestens Deutschland zu verlassen.

"Es ist unmöglich, dass ich nach zehn Monaten Aufenthalt in diesem Land immer noch keine Aufenthaltserlaubnis habe“, sagt Abazid verbittert. Die Folge der Unsicherheit: Sally Abazid findet keine dauerhafte Bleibe, um von dort aus ihr neues Leben zu starten.

Porträt des syrischen Flüchtlings Sally Abazid (Foto: Melhem/DW)
Warten auf die deutschen Papiere und Arbeit: Sally AbazinBild: DW/M. Melhem

Warten auf die Aufenthaltserlaubnis

Die ersten Wochen ihres Aufenthalts in Deutschland hat Sally in einer provisorischen Flüchtlingsunterkunft einer Turnhalle verbracht. Da sie bisexuell ist, wurde sie später im LGBT-Flüchtlingsheim der Schwulenberatung Berlin aufgenommen: "Dort musste ich ein Zimmer mit drei anderen Jungs teilen. Das war mir zu viel.“ Sally wohnt deshalb lieber bei Freunden, die ihr ein Zimmer anbieten. Die unangenehme Folge: Die junge Frau muss ständig umziehen.

Im ersten Halbjahr 2016 wurden laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) 30.555 Personen die Ausreise durch die Förderprogramme des freiwilligen Ausreisens bewilligt. Die meisten davon kamen aus den Balkanstaaten und hatten keine Aufenthaltsberechtigung für Deutschland. Einige waren als Asylbewerber anerkannt und haben freiwillig entschieden, in ihre Heimatländer zurückzukehren oder in einen Drittstaat zu gehen.

Die Suche nach einem Neuanfang

Sallys Geschichte ist anders. Sie hat kein Heimweh, keine Kinder oder Partner, die nach Deutschland nachkommen müssen, aber nach Monaten, oder manchmal Jahren, noch nicht nachkommen dürfen. Ihre Familienmitglieder daheim sind nicht durch Bomben, Giftgasangriffe, politische oder religiöse Unterdrückung akut gefährdet. Sally kommt aus Damaskus, aus einer Familie der Mittelschicht. Ihre Eltern sind Ärzte. Sie selber hat an der Universität Informatik studiert. Doch sie erkannte die Aussichtslosigkeit ihres Lebens in einem Bürgerkriegsland sehr früh. "Als der Krieg anfing, war ich noch auf der Schule. Ich spielte bereits damals mit dem Gedanken, aus dem Land zu fliehen." Sie war aber doch noch zu jung und musste die Schule weiter besuchen, das Abitur machen und zur Uni gehen. An der Universität hat sich Sally nicht mehr sicher gefühlt. Ihre Fakultät in der Damaszener Vorstadt Dscharamana litt regelmäßig unter den Kämpfen zwischen den syrischen Regimetruppen und den Rebellen.

Kinder in einer Schule in Damaskus (Foto: AP)
Lernen im Krieg: Grundschüler in ihrer Schule in DamaskusBild: picture-alliance/AP Photo

Auch die Distanz zur eigenen Gesellschaft wuchs in dieser Zeit: "Ich hatte Schwierigkeiten mit meiner konservativen, ultrareligiösen Familie." Als Frau durfte sie in ihrem Milieu vieles in ihrem Leben nicht frei bestimmen. Als Bisexuelle wäre sie gar nicht akzeptiert worden. Ihr blieb nur der Traum, in einem neuen Land neu anzufangen.

"Ich weiß nicht, wie mir die Zeit jeden Tag davon läuft“

Vor gut zehn Monaten hat Sally Abazid auf ihrer Flucht München erreicht. "Ich wollte nach Europa gehen, wo mehr Freiheit und Gleichberechtigung existieren.“ Sie wurde nach Leipzig weitergeschickt und zog von dort selbständig nach Berlin. Die deutsche Hauptstadt sei eine coole Stadt, die auch alle Menschen gleich behandele, sagt sie. In Europa habe Sally tatsächlich eine größere Gleichstellung erlebt, allerdings nur mit ihren Landsleuten und anderen Flüchtlingen. "Wenn ich hier 30 Jahre lebe, wenn ich eines Tages einen Uni-Abschluss und sogar den deutschen Pass besitzen würde, dann würde ich doch immer als Geflüchtete angesehen und behandelt werden.“

Auch unter der deutschen Bürokratie leidet die junge Syrerin. "Ich weiß nicht, wie mir die Zeit jeden Tag davon läuft", klagt Sally und ärgert sich über die Bürokratie. Man bewege sich sehr träge durch den Papierkram der Behörden. "Jedes Mal muss man viele Formulare ausfüllen, dann heißt es in der Behörde, ich hätte irgendwas falsch ausgefüllt." Man bekomme dann einen neuen Termin und müsse von vorne anfangen. "Das saugt meine Energie ab, und hindert mich daran, weiterzukommen."

Trotzdem will Sally weiterkämpfen und eine Ausbildung zur Krankenpflegerin machen. Ihr Traum ist es, Bedürftigen in Krisenregionen zu helfen. "Und wenn ich mich damit eines Tages anfreunden sollte, dass Deutschland mein neues Zuhause ist, dann werde ich immer wieder nach Berlin zurückkehren." Arbeiten würde sie aber lieber in einem anderen Land.