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IS-Rückkehrer packt aus

Matthias von Hein2. August 2015

Auf Aussteiger wie Ebrahim B. haben Terrorexperten gewartet. Der IS-Rückkehrer distanziert sich von dem Terrorregime und verweist den "5-Sterne-Dschihad" ins Reich der Legenden. Nun muss er sich vor Gericht verantworten.

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24.07.2015 DW Doku Dschihad

Ebrahim B. wollte ein Held sein. Nach Ansicht der Bundesanwaltschaft war er sogar bereit, sein Leben als Selbstmordattentäter für den sogenannten Islamischen Staat (IS) zu opfern. Er hat es sich anders überlegt. Und wird jetzt vielleicht doch noch zum Helden: Weil er öffentlich auspackt über die Gräuel, die Brutalität des IS. Weil er sich öffentlich distanziert. Weil er mit seinen Aussagen Sand ins gut geölte Propagandagetriebe der Terrormiliz streut. Weil er damit vielleicht andere davon abhält, den verhängnisvollen Weg der Radikalisierung zu gehen, der bis zu den Schlachtfeldern in Syrien führen kann. Ebrahim B. ist der erste von rund 260 IS-Rückkehrern in Deutschland, der in einem Interview mit WDR, NDR und Süddeutscher Zeitung den Mythos IS enttarnt. Er wolle andere warnen, sagt Ebrahim. Und andere gibt es genug. Die Anziehungskraft der Terrormiliz ist weiterhin groß. Deutsche Behörden gehen von über 700 Deutschen aus, die in den vermeintlichen Dschihad gezogen sind. Andere wie der Psychologe und Islamexperte Ahmad Mansour rechnen sogar mit rund 2000 deutschen Dschihadisten im Herrschaftsgebiet des IS.

Bewaffnete IS-Kämpfer nahe der syrisch-irakischen Grenze (Foto: EPA/ALBARAKA NEWS)
Kämpfen, Sterben - mindestens 700 Deutsche zogen ins syrische KriegsgebietBild: picture-alliance/Albaraka News/Handout

Zweifel säen, kritische Fragen provozieren

Terrorexperten haben lange auf einen Aussteiger wie Ebrahim B. gehofft. Auch Peter Neumann. Der Extremismusforscher vom Londoner Kings College hofft, das Beispiel des jungen Wolfsburgers könnte auch andere zu öffentlichen Aussagen bewegen: "Denn viele Rückkehrer sind desillusioniert. Sie würden gerne ihre Geschichte erzählen, aber sie haben Angst vor den Konsequenzen," so Neumann gegenüber der ARD. Aussteiger wie Ebrahim B. könnten Zweifel bei potentiellen IS-Anhängern säen, fährt Neumann fort: "Es ist wichtig, dass Leute, die sich überlegen, möglicherweise nach Syrien zu gehen, sich kritische Fragen stellen", so Neumann. "Es wird ja immer der Eindruck vermittelt, dass alle die dorthin gehen unheimlich glücklich sind, unheimlich entschlossen, motiviert sind, keinerlei Zweifel haben, von der Ideologie vollkommen überzeugt. Und das ist etwas, was dieser Aussteiger zerstört, diesen Mythos der Entschlossenheit und Geschlossenheit," so der Londoner Terrorexperte. Beim IS ist man sich dessen durchaus bewusst. Das belegen Aussagen des Mitangeklagten Ayoub B. in Verhören mit der Polizei, aus denen der NDR zitiert: "Für den IS bin ich ein Verräter. Wenn die mich gepackt hätten, hätten sie mich geschlachtet. Die haben gesagt, keiner von den Wolfsburgern darf nach Hause, sonst machen die da die Propaganda kaputt."

Dr. Peter Neumann (Foto: privat)
Setzt auf die aufklärende Wirkung von Aussteigern: Peter NeumannBild: Peter Neumann

Wolfsburger Zelle

Ebrahim B. und Ayoub B. gehören zu einer Gruppe von rund 20 jungen Leuten aus Wolfsburg, die seit 2013 nach Syrien gereist sind. Indoktriniert und angeworben wurden sie von Yassin Oussaifi. Bis er dort Hausverbot bekam, scharte er in der Wolfsburger Ditib-Moschee junge Leute um sich - und machte ihnen ein schlechtes Gewissen, erinnert sich Ebrahim B.: "Wie kannst du in Ruhe schlafen, wo junge Muslime gerade verhungern oder Frauen vergewaltigt werden?" Inzwischen soll Oussaifi beim IS eine hohe Stellung als Scharia-Richter haben. Der IS-Anwerber verstand aber auch zu locken, berichtet Ebrahim B.: Man könne teure Autos fahren und vier Frauen heiraten.

Desillusionierte Aussteiger wie Ebrahim hält auch die Frankfurter Islamismus-Expertin Susanne Schröter für wichtige Akteure im Kampf gegen die Ausreisewelle junger Dschihadisten: "Leute, die Kämpfer werden wollten und beim Autowaschen gelandet sind. Junge Frauen, die ihren Märchenprinzen finden wollten und in der Prostitution gelandet sind. Oder Leute, die von den Menschenrechtsverletzungen abgeschreckt wurden. Wenn die erzählen, wie es wirklich ist im Islamischen Staat, dann würde das propagandistisch geschönte Bild unschöne Flecken bekommen. Die Professorin aus Frankfurt kann sich durchaus vorstellen, was speziell junge Menschen am Dschihad begeistern kann. "Da gibt es die Idee eines großen Projektes, das die Welt radikal verändern wird, göttlich legitimiert ist und das jeden Einzelnen und jede Einzelne braucht", erläutert Schröter im DW-Interview die Sogwirkung der Propaganda.

Anhänger jubeln am 20.04.2011 in der Innenstadt von Frankfurt am Main dem umstrittenen Prediger Vogel zu. (Foto: Foto: Boris Roessler/dpa)
Sogwirkung der PropagandaBild: picture-alliance/dpa/B. Roessler

Selbstmordattentäter oder Kämpfer

Ende Mai 2014 flogen Ayoub B. und Ebrahim B. in die Türkei. Sie gelangen über die Grenze, kommen in ein Auffanglager im syrischen Jarabulus. Dort müssen sie Pass und Mobiltelefon abgeben. Und sie müssen sich entscheiden: Kämpfer werden oder Selbstmordattentäter. Ayoub B. will Kämpfer werden. Ebrahim B. soll sich laut Anklage entschieden haben, Selbstmordattentäter zu werden. Gemeinsam mit 50 anderen potentiellen Selbstmordattentätern geht es später in den Irak - mit dabei ein anderer Wolfsburger, der es "offenbar gar nicht erwarten konnte zu sterben". Deutsche Behörden gehen davon aus, dass mehr als 90 deutsche Dschihadisten in Syrien und dem Irak gestorben sind. Darunter sollen mindestens sieben aus Wolfsburg sein.

Ebrahim B. berichtet von der Paranoia beim IS, von der allgegenwärtigen Angst vor Spionen. Auch ihn selbst hätte man zeitweise als Spion verdächtigt. Zur Einschüchterung habe man ihn in eine blutverschmierte Zelle gesperrt - und später eine enthauptete Leiche hineingeworfen. Ende August 2014 gelingt Ebrahim B. die Flucht. Er gibt sich geläutert. Im Interview sagt er "Gefängnis in Deutschland ist mir lieber als Freiheit in Syrien" oder "der Islamische Staat hat nichts mit dem Islam zu tun".

Motivationslinie Narrativ

Marwan Abou-Taam arbeitet für das Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz. Der promovierte Islamwissenschaftler und Politologe sieht Narrative als zentrale Motivationslinie im Radikalisierungsprozess: "Das ist im Prinzip hier die Situation, das diese jungen Menschen auf der Suche sind nach einer Rolle in dieser Gesellschaft. Und auf der anderen Seite ist es so, dass die sich zu sehr solidarisieren mit bestimmten Fehlentwicklungen in Syrien, im Irak und anderswo. Hier haben wir zwei Baustellen: Einmal eine innenpolitische Baustelle. Da müssen wir jungen Menschen Teilhabe ermöglichen und ihnen klarmachen, dass sie das auch können. Und auf der anderen Seite nach außen müssen wir uns mehr darum kümmern, dass Kriege zivil beendet werden."

Wenn Ebrahim B. in seinem Prozess umfassend aussagt, bekommt das Narrativ der Terroristen vielleicht weitere Risse.