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Einige Geiseln sind in Sicherheit

2. September 2004

Von den mehr als 350 Geiseln in der von Terroristen besetzten Schule in der nordossetischen Stadt Beslan sind 26 Frauen und Kleinkinder freigelassen worden. Ein Ende des Dramas ist jedoch nicht absehbar.

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Für sie ist die Angst zu EndeBild: AP
Karte von Nordossetien mit Beslan
Beslan in Nordossetien - 50 km von der tschetschenischen Grenze entfernt

Wodurch die Explosionen am Donnerstagmittag (2.9.2004) in oder in der Nähe der Schule verursacht wurden, war von außen nicht erkennbar. Die Terroristen hatten Berichten von Nachrichtenagenturen zufolge gedroht, die Schule im Falle eines Angriffs der Sicherheitsbehörden in die Luft zu sprengen. Schon vor der Explosion waren unterschiedlichen Berichten zufolge zwischen 7 und 16 Geiseln getötet worden, am Morgen waren aus der Schule zudem mehrere Schüsse zu hören.

Einen Lichtblick in dem Drama gab es am Nachmittag mit der Freilassung von 26 Frauen und Kleinkindern. Russische Fernsehsender zeigten Aufnahmen von Sicherheitskräften, die kleine Kinder in ihren Armen trugen. Sie werden zusammen mit ihren Müttern im Krankenhaus der Stadt behandelt. Damit blieben immer noch 328 Kinder, Eltern und Lehrer in der Schulturnhalle der Stadt Beslan in der Gewalt der rund zwei Dutzend Terroristen. Über den Zustand der Geiseln gab es weiter keine Angaben. Bekannt wurde aber, dass sie auch am zweiten Tag der Geiselnahme nicht mit Lebensmitteln und Medikamenten versorgt werden durften.

Stürmung ausgeschlossen

Eine Stürmung des Gebäudes haben Regierung und Behörden jedoch bis auf weiteres ausgeschlossen. "Der Einsatz von Gewalt steht im Moment überhaupt nicht zur Debatte", sagte der Chef des Inlands-Geheimdienstes FSB, Waleri Andrejew, vor Journalisten in Beslan. Man richte sich vielmehr auf lange Verhandlungen ein, um die Geiselnahme zu beenden. Die Sicherheit der Geiseln habe oberste Priorität, sagte Russlands Präsident Wladimir Putin am Donnerstag in einer im Fernsehen übertragenen Rede an seinem Regierungssitz in Moskau. Es war seine erste öffentliche Stellungnahme zu der Geiselnahme, die am Mittwochmorgen begonnen hatte.

Freilassung abgelehnt

Bisher zeichnet sich keine Lösung des Dramas ab. Über den Stand der Verhandlungen mit den etwa zwei Dutzend Terroristen wurde nichts bekannt. In der Nacht gab es Telefonkontakte zwischen den Geiselnehmern und einem als Vermittler wirkenden Kinderarzt. Angeblich verlangen die Terroristen den Abzug russischer Truppen sowie die Freilassung von inhaftierten Gesinnungsgenossen. Das Angebot freien Abzugs nach Tschetschenien oder in die Nachbarrepublik Inguschetien soll das Kommando abgelehnt haben, die Freilassung der Gefangenen ebenfalls.

Geiselnahme in russischer Schule, Beslan, Nordossetien
Angehörige warten in Angst auf ihre KinderBild: AP

Die Schule, in der die Gewalttäter Kinder als Geiseln festhalten, liegt nur 150 Meter von der Stadthalle der südrussischen Stadt Beslan entfernt. Dort haben die Angehörigen eine lange Nacht des Wartens verbracht. Allen sind noch die alptraumhaften Ereignisse im Moskauer Musical-Theater Nord-Ost im Oktober 2002 in Erinnerung, als ein Kommando tschetschenischer Rebellen dort mehr als 800 Menschen in seine Gewalt brachte. 129 Geiseln starben, als die Sicherheitskräfte das Theater stürmten und dabei rücksichtslos Kampfgas einsetzten.

Keine Verbindung zu El Kaida

Putin hatte nach einer Serie von Anschlägen mutmaßlicher tschetschenischer Terroristen auf russische Bürger in der Vorwoche die tschetschenischen Rebellen mit der Terror-Organisation El Kaida in Verbindung gebracht. Dieser Verdacht entbehrt nach Ansicht eines deutschen Experten jeder Grundlage; es handele sich vielmehr um selbst ausgelöste Gewalt. "Das sind Leute aus der Region, das ist nicht El Kaida", sagte Roland Götz, Leiter der Forschungsgruppe Russland der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), der Deutschen Presse-Agentur. "Das sind Leute, die gesehen haben, wie ihre Brüder und ihre Verwandten verschleppt wurden. Und die deswegen in den Untergrund gegangen sind und dort auch bleiben", sagte Götz. Allerdings wandele sich die Natur der Kämpfer: Ursprünglich habe es sich nur um Aufständische gehandelt, die aus der Bevölkerung gekommen seien. "Inzwischen sind dies schon Leute, für die Kämpfen und Terroranschläge Lebensinhalt geworden sind. Die allerdings entstehen aus Aktionen der russischen Armee."

"Einäugig in Menschenrechtsfragen"

Vor dem Hintergrund der Geiselnahme in Russland hat FDP-Chef Guido Westerwelle der Bundesregierung "eine erschreckende Einäugigkeit" in Menschenrechtsfragen vorgeworfen. Für die angestrebte Achse Paris-Berlin-Moskau opfere Außenminister Joschka Fischer (Grüne) die Sache der Menschenrechte gegenüber der russischen Regierung auf dem Altar der Opportunität, sagte Westerwelle am Rande der FDP-Fraktionsklausur am Donnerstag in Wiesbaden. "Das gefährdet auch die Sicherheitslage in Deutschland." (mas)