Aus Feinden werden Freunde
25. Januar 2013"Übervoll ist mein Herz und dankbar mein Gemüt", sprach Charles de Gaulle etwas pathetisch in fließendem Deutsch. Zuvor hatten der französische Staatspräsident und der deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer in Paris den Elysée-Vertrag unterschrieben. Dann folgten zwei Wangenküsse und eine stürmische Umarmung des Gastgebers. Der verdutzte Bundeskanzler antwortete schlicht: "Dem habe ich nichts hinzuzufügen."
Der "deutsche Michel" und die "französische Marianne"
Es war ein klirrend kalter Wintertag, als der Vertrag im Pariser Elysée-Palast unterzeichnet wurde, dem Amtssitz des französischen Präsidenten. 18 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges verpflichteten sich die beiden Nachbarn zu Konsultationen in allen wichtigen Fragen der Außen-, Verteidigungs-, Bildungs-, Jugend- und Kulturpolitik. Regelmäßige Treffen zwischen den Regierungschefs, den Ministern sowie hohen Beamten sollten die Umsetzung des Vertrages gewährleisten. Der "deutsche Michel" und die "französische Marianne" - aus erbitterten Kriegsgegnern wurden Partner. Das war die politische Botschaft Adenauers und de Gaulles.
Bereits einige Jahre zuvor hatten beide Länder den Prozess der politischen Aussöhnung begonnen. Frankreichs Außenminister Robert Schumann (1948-1952) und Charles de Gaulle, seit 1958 französischer Staatspräsident, gehörten zu den treibenden Kräften. Bundeskanzler Adenauer wusste, dass er am Ende seines politischen Weges stand. Er wollte einerseits seinem Nachfolger eine stabile deutsche Außenpolitik hinterlassen, andererseits widerstrebte es ihm, Deutschland von den USA und von der NATO abzukoppeln, so wie de Gaulle es gefordert hatte.
Zwei Staatsmänner - eine Vision
Aber eine Vision hatte beide Männer geeint: Ein mächtiges Europa sollte nicht gegen, sondern unabhängig von den US-Amerikanern in die Weltpolitik eintreten. Dafür warben beide Staatsmänner im jeweils anderen Land: Vom 2. bis 8. Juli 1962 stattete Bundeskanzler Adenauer Frankreich einen Staatsbesuch ab. Die gemeinsame Besichtigung der Kathedrale von Reims unterstrich die persönliche Verbundenheit der beiden Staatsmänner. Vom 4. bis 9. September 1962 besuchte de Gaulle die Bundesrepublik und bekräftigte die Bereitschaft zur Aussöhnung.
In Ludwigsburg wandte sich der französische Präsident an die deutsche Jugend: "Ich beglückwünsche Sie ferner, junge Deutsche zu sein, das heißt, Kinder eines großen Volkes, das manchmal im Laufe seiner Geschichte große Fehler begangen hat. Ein Volk, das aber auch der Welt geistige, wissenschaftliche, künstlerische, philosophische Werte gespendet hat."
Korrekturen im Bundestag
Für Missstimmung sorgte allerdings auf deutscher Seite, dass eine Woche vor Unterzeichnung des Elysée-Vertrages de Gaulle die Aufnahme Großbritanniens in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) abgelehnt hatte. Viele Bundestagsabgeordnete sahen das Abkommen in Gefahr, zumal de Gaulle forderte, dass Deutschland sich entscheiden müsse: Gegen die USA und Großbritannien und für Frankreich mit seiner Atomstreitmacht, der Force de frappe.
Der Deutsche Bundestag stimmte dem Vertragswerk am 16. Mai 1963 mit großer Mehrheit zu. Es wurde allerdings durch eine Präambel ergänzt, die als deutliche Kritik an der gaullistischen Politik verstanden wurde. Sie legte fest, dass Verträge mit anderen Ländern durch den Élysée-Vertrag nicht beeinträchtigt wurden. Die Bundesrepublik stand zur Partnerschaft mit Frankreich, den USA und der NATO. Am 14. Juni 1963 billigte auch die französische Nationalversammlung den Élysée-Vertrag.
Rosenphilosophie
Verträge, so Kritiker damals, seien selten von Dauer und manche verglichen das Pariser Abkommen mit Rosen, die irgendwann auch verwelken. Adenauer, selbst ein begeisterter Rosenzüchter, musste darauf antworten. "Aber die Rose - und davon verstehe ich nun wirklich etwas - ist die ausdauerndste Pflanze, die wir überhaupt haben." Adenauer sollte Recht behalten. Der Elysée-Vertrag ist bis heute ein zentrales Dokument der Aussöhnung.
Dazwischen wurden seit 1988 ein gemeinsamer Verteidigungs- und Sicherheitsrat gegründet, ein Finanz- und Wirtschaftsrat sowie ein Kultur- und Umweltrat. Nach der Bildung einer gemischten deutsch-französischen Brigade wurde sogar die Aufstellung eines gemeinsamen Armeekorps beschlossen, das sich unter Einbeziehung weiterer Verbündeter zum Eurokorps entwickelt hat. Die Politikergespanne der jeweils amtierenden deutschen Bundeskanzler und französischen Staatspräsidenten - Schmidt-Giscard d'Estaing, Kohl-Mitterrand und Schröder-Chirac - nutzten das Vertragswerk und machten beide Länder zu Vorreitern der europäischen Einigung. Vor allem die Gründung des deutsch-französischen Jugendwerkes am 5. Juli 1963 sollte sich als besonders fruchtbar erweisen. Millionen Jugendliche aus beiden Ländern konnten sich seitdem kennen- und verstehen lernen.