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'Kaum verstanden'

27. Mai 2009

Im September vor 70 Jahren marschierte die Wehrmacht in Polen ein. Vom Leiden der Polen erzählt das neue "Museum des Zweiten Weltkriegs" in Danzig. Ein Interview mit dem Leiter, Paweł Machcewicz.

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"Vernichtungskrieg von Anfang an": Deutsche Soldaten entfernen den grenzbalken nach Polen, 1.9.1939Bild: dpa

DW-WORLD.DE: Herr Machcewicz, in Danzig, dem Ort, an dem der Überfall Hitlerdeutschlands auf Polen begann, soll ein Museum des Zweiten Weltkriegs von europäischem Zuschnitt entstehen. Was wird man dort sehen?

Paweł Machcewicz: Wir wollen den Krieg nicht von seiner militärischen Seite zeigen, sondern aus der Sicht der Zivilbevölkerung. Es geht um deren Leiden, aber auch um den Widerstand, der ja nicht immer militärisch war. Der polnische Untergrundstaat etwa war zu weiten Teilen eine zivile Einrichtung – mit geheimem Schulunterricht oder einem geheimen Gerichtswesen. Wir wollen ebenso den Weg in diesen Krieg zeigen, und zwar als Ergebnis der verbrecherischen Ideologie des Dritten Reiches, denn ohne sie können wir die Radikalisierung dieses Kriegs und der deutschen Besatzungspolitik nicht verstehen. Wir wollen zeigen, dass dieser Krieg von Beginn an als Vernichtungskrieg geführt wurde. Damit korrigieren wir die häufig formulierte Auffassung, erst der deutsche Überfall auf die Sowjetunion hätte den Krieg so brutal gemacht. Es war aber anders, und das wollen wir zeigen. Wir wollen aber auch die Folgen des Krieges zeigen, die für Westeuropa ganz andere waren als für Osteuropa. Für die Westeuropäer war das Kriegsende eine Befreiung. Ich spreche hier nicht über Deutschland, wo der Fall komplizierter liegt, aber zum Beispiel über die Franzosen und Holländer. Für Polen hingegen war das Kriegsende nur das Ende der deutschen Besatzung. Die Freiheit erlangten wir nicht. Es ist ein im Westen kaum verstandenes Paradox, dass für Polen, aber auch für viele andere Osteuropäer, der Zweite Weltkrieg erst 1989 zu Ende ging.

Soldaten halten Wache vor dem Mahnmal Foto: AP
Westerplatte in Danzig: Hier fielen die ersten Schüsse des Zweiten WeltkriegsBild: AP

In Polen wurden Sie für Ihr Konzept bereits heftig kritisiert. Publizisten der nationalkonservativen Presse, aber auch Politiker aus dem Umfeld der Kaczyński-Brüder haben Ihnen vorgeworfen, in dem geplanten europäischen Zuschnitt des Museums würden das besondere Leiden der polnischen Bevölkerung und der heldenhafte Widerstand gegen die deutsche Besatzung untergehen.

Diese Vorwürfe haben nichts mit der Wirklichkeit zu tun - und nichts mit unserem Vorhaben. Schon allein gegen den Umstand, dass wir über die polnische Perspektive hinausgehen wollen, wurde ja protestiert. Aber der Zweite Weltkrieg war keine nur polnische, sondern eine europäische Erfahrung. Ich bin davon überzeugt, das spezifisch polnische Schicksal wird sogar deutlicher hervortreten, wenn man es im Vergleich zeigt. Wir können zum Beispiel die Bedeutung des polnischen Untergrundstaates, der großen Konspiration gegen Hitlerdeutschland, aber auch gegen die Sowjetunion erst verstehen, wenn wir sie mit anderen Formen des Widerstands im westlichen Europa vergleichen. Die Angriffe auf unser Projekt hatten sehr politische Ziele. Die nationalkonservative Opposition glaubte hier eine bequeme Möglichkeit für Angriffe auf Ministerpräsident Tusk entdeckt zu haben, der ja mit seinem Namen hinter diesem Vorhaben steht. Allein dass wir mit anderen europäischen Historikern zusammenarbeiten – Ulrich Herbert aus Deutschland, Norman Davies aus Großbritannien oder Henry Rousso aus Frankreich – ist für einige Kreise in Polen bereits Anlass genug, das ganze Projekt abzulehnen.

Auch in Deutschland, im Umkreis der Vertriebenenverbände, wird das Museumsvorhaben genau beobachtet und teilweise kritisiert. Man wünsche sich, hieß es, eine kritischere Würdigung auch der polnischen Vorkriegsgeschichte, in der nationalistische Parteien schon vor Kriegsausbruch mit einer Vertreibung der Deutschen liebäugelten, während die Regierung mit dem Hitlerregime beste Beziehungen pflegte. Es gab sogar einen Freundschaftsvertrag.

Frau vor einer Opferliste am Mahnmal zum Aufstand in Warschau Foto: AP
Mahnmal für den Warschauer Aufstand: 200.000 Polen starben beim Versuch der SelbstbefreiungBild: AP

Das ist ein Missverständnis. Es geht ja nicht um ein Museum der polnisch-deutschen Geschichte. Da könnten wir dann bis zu den Zeiten des Ritterordens zurückgehen. Es geht um ein Museum des Zweiten Weltkriegs, und die Ursache dieses Krieges liegt vor allem in der ideologischen, territorialen und militärischen Expansion des Dritten Reichs. Das muss als Hauptgrund des Krieges gezeigt werden. Was damalige territoriale Forderungen Polens an Deutschland betrifft, so würde ihre Darstellung das Bild des Krieges verzerren. Es gab vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs keine ernstzunehmende politische Gruppe in Polen, welche die Vertreibung von Deutschen gefordert oder territoriale Ansprüche auf Kosten Deutschlands geltend gemacht hätte. Polen war das Land, das überfallen wurde. Man sollte hier bei allem den gesunden Menschenverstand walten lassen und ein Gefühl für die Proportionen.

Wie wird der Gründungsakt am 1. September in Danzig aussehen?

Es wird ein Treffen der Premierminister und Präsidenten verschiedener europäischer Länder auf der Westerplatte stattfinden. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat bereits zugesagt, auch Wladimir Putin hat seine Teilnahme bestätigt. Wir rechnen damit, dass die Führer der wichtigsten Staaten aus der damaligen Anti-Hitler-Koalition, also Frankreichs und Großbritanniens, auf die Westerplatte kommen werden. Die Westerplatte symbolisiert den heroischen polnischen Widerstand gegen den Angriff Hitlers. Dort war eine kleine polnische Einheit stationiert, die sieben Tage lang, vom 1. bis zum 9. September, das Land verteidigte. Dort wird der Gründungsakt für das Museum unterzeichnet werden.

Pawel Machcewicz, geboren 1966, ist Historiker und Gründungsdirektor des Museums des Zweiten Weltkriegs in Danzig. Zuvor am Institut für Politische Studien an der Polnischen Akademie der Wissenschaften (ISP PAN) und Direktor des Büros für Bildung und Forschung am Institut für Nationales Gedenken, Warschau.

Das Gespräch führte Martin Sander

Redaktion: Sabine Damaschke