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Eigeninteresse statt Dankbarkeit

Uta Thofern7. Juni 2004

Der D-Day ist traditionell ein Tag der Dankbarkeit. Doch Dank und Pflichtgefühl sollten nach sechzig Jahren nicht die einzige Antriebskraft für die transatlantischen Bindungen sein. Ein Kommentar von Uta Thofern.

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Die diesjährigen Feierlichkeiten zur Erinnerung an den D-Day, den 6. Juni 1944, als die Alliierten mit einem gewaltigen Invasionsheer in der Normandie landeten, waren aus mehreren Gründen ganz besondere: Mit Gerhard Schröder nahm erstmalig ein deutscher Bundeskanzler an der Zeremonie teil. Den Feierlichkeiten vorausgegangen war ein innerhalb des westlichen Bündnisses höchst umstrittener Vergleich Bushs zwischen dem damaligen Kampf gegen Hitler-Deutschland und dem Sturz des irakischen Diktators Saddam Hussein: Erneutes Salz in den transatlantischen Wunden.

Keine Frage: am D-Day brachten die USA die Freiheit nach Europa, ohne sie wäre die alliierte Invasion nicht gelungen, die nationalsozialistische Herrschaft nicht gebrochen worden und hätte die Demokratie nicht gesiegt: Der D-Day, traditionell ein Tag der Dankbarkeit.

Doch sechzig Jahre später fällt diese Dankbarkeit schwer, sie wird als ungeliebte Verpflichtung gegenüber einer aggressiven Supermacht empfunden, mit der manch Europäer nichts mehr gemein zu haben glaubt. Vergessen scheint, dass die amerikanische Demokratie einst Exportprodukt der europäischen Aufklärung war. Vergessen auch, dass die Amerikaner mit ihrem Eingreifen bereits den Ersten Weltkrieg beendeten und mit ihrer Idee eines Völkerbundes den Weg für den Multilateralismus als politisches Konzept ebneten. Vergessen scheint, dass es eine dauerhafte Demokratie auf deutschem Boden ohne nachdrückliche amerikanische Nachhilfe nicht gegeben hätte und dass die deutsche Einheit - und damit auch die europäische - ohne die Amerikaner nicht zu Stande gekommen wäre.

Dankbarkeit und Verbundenheit sind jedoch einer tiefgreifenden Skepsis, ja Ablehnung gewichen. Einerseits bietet George W. Bush seit seiner umstrittenen Wahl eine ideale Projektionsfläche für anti-amerikanische Ressentiments, andereseits war das amerikanische Vorgehen im Irak von Anfang an alles andere als geschickt.

Aber: Die Brüche im transatlantischen Verhältnis sind Symptom einer tiefer gehenden Veränderung der globalen Rollenverteilung. Der deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl hatte eine Einladung zu den D-Day-Feierlichkeiten noch abgewehrt - Gerhard Schröder konnte sie wie selbstverständlich akzeptieren. Der abgewählte spanische Ministerpräsident José Maria Aznar hielt eine internationale Aufwertung Spaniens nur an der Seite der Amerikaner für möglich - sein Nachfolger sucht seine Rolle in der Mitte Europas.

Zwei Beispiele für die zunehmende Emanzipation und wachsendes Selbstbewusstsein des "alten" Europa. Nach Bewältigung der Deutschen Einheit und erfolgreichem Engagement in der internationalen Krisenbewältigung hat Deutschland das Recht erworben, im Kreis der Völker als gleichberechtigter Partner aufzutreten. Die Europäische Union, die mit der Erweiterung eine beispiellose Leistung vollbracht hat, sieht sich in ihrer Gesamtheit als den USA ebenbürtig. Für die Amerikaner hingegen ist ihre Führungsrolle in der transatlantischen Gemeinschaft immer noch selbstverständlich - aus ihrer Sicht ist Europa über erste ungelenke Übungen in internationaler Verantwortung noch nicht hinaus gekommen.

Allerdings ist den Amerikanern inzwischen klar, dass sie Europa trotz alledem brauchen. Umgekehrt scheint dies den Europäern noch nicht so bewusst zu sein. Dass George Bush den Krieg gegen Hitler mit dem gegen Saddam Hussein verglich, hat nicht nur in Frankreich für Empörung gesorgt. Und doch bleibt die Botschaft im Kern richtig: Im Kampf gegen Diktatur und Terror, im Ringen um Demokratie und Toleranz muss die transatlantische Wertegemeinschaft zusammenstehen.

Bush hat seinen Vergleich während der D-Day-Feierlichkeiten nicht wiederholt. Die diplomatische Geste hatte handfeste Gründe, braucht der US-Präsident doch die europäische Unterstützung für die Weiterentwicklung im Irak. Gut wäre es, wenn die europäische Erinnerungsrhetorik vom D-Day in eine solche Unterstützung münden würde - nicht aus Dankbarkeit, sondern aus handfesten eigenen Interessen an den transatlantischen Bindungen.