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Kampf um Falludscha

Birgit Svensson4. Februar 2014

Die irakische Regierung bereitet die Erstürmung der Stadt Falludscha vor. Premier Maliki will damit die Extremisten von Al-Kaida vertreiben. Doch für die Bewohner gibt es noch einen zweiten Feind.

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Unruhe und Gewalt im Irak Falludscha 05.01.2014
Bild: picture-alliance/AP Photo

Tarek lädt zum Tee in einen kleinen Ort vor den Toren Falludschas ein. Seinen vollen Namen will er nicht nennen. Nur soviel, dass er Polizist in der Stadt ist und zum Stamm der Jumailis gehört. Die Jumailis und die Issawis sind die größten Stämme in der Stadt. Viele der 310.000 Einwohner sind miteinander verwandt und verschwägert. Arrangierte Heiraten sind hier noch gang und gäbe. Tareks Onkel Eifan Saadoun al-Issawi wurde vor einem Jahr getötet, am 13. Januar 2013. "Als er aus seinem Auto ausstieg, kam ein Mann auf ihn zu, umarmte ihn und zündete einen Sprengstoffgürtel", erzählt der Neffe. "Da wussten wir, dass Al-Kaida zurück ist."

Eifan war Ende 2006 eine Schlüsselfigur der Allianz mit den Amerikanern gegen die internationale Terrororganisation. Er und Abdul Sattar Abu Risha aus Ramadi gründeten die sogenannte Sahwa, ein Verbund der sunnitischen Stämme Anbars, die es sich zur Aufgabe gemacht hatten, die Terroristen aus ihrer Provinz zu töten oder zu verjagen. Für die US-Truppen war Sahwa die Rettung in letzter Minute, weil der Irak ins totale Terror-Chaos zu versinken drohte. Davor hatten irakische Widerstandskämpfer sich mit Al-Kaida zusammengetan und Falludscha zu ihrer Hochburg ausgebaut. Grausame Videos von geköpften Geiseln wurden dort gedreht, die Leichen von sechs Mitgliedern einer amerikanischen Sicherheitsfirma demonstrativ an einen Balken über der Brücke aufgehängt.

Bewaffnete Iraker bei einem Trauerzug in Falludscha für einen Mann, der bei Gefechten im Januar fiel
Sunniten bei einem Trauerzug in Falludscha für einen Mann, der von der Armee getötet wurdeBild: picture-alliance/dpa

Terror nicht nur in Falludscha zurückgekehrt

Die US-Truppen führten zwei Militäroperationen in der Stadt durch. Ohne Erfolg. Falludscha wurde zum Albtraum. Erst die Verbindung Abu Rishas und Eifan Issawis mit US-General David Petraeus brachte die Wende, die Abu Risha jedoch nicht mehr erlebte. Er wurde im September 2007 ermordet, ein Jahr nach Beginn der Sahwa. Erst ab Mitte 2008 ging die Zahl der Anschläge drastisch zurück und der Irak kam etwas zur Ruhe. Doch nicht nur nach Falludscha ist jetzt der Terror zurückgekehrt. Im ganzen Land sind wieder vermehrt Anschläge zu verzeichnen. Abu Rishas Sohn Ahmed hat sich inzwischen mit dem schiitischen Regierungschef Nuri al-Maliki verbündet und will fortan gemeinsam mit der irakischen Armee gegen die erneute terroristische Bedrohung in Ramadi vorgehen. Falludscha dagegen geht andere Wege.

Polizist Tarek sitzt auf den dicken Teppichen seines Hauses, trinkt Tee und isst Kletsche, die berühmten irakischen Dattelkekse. In diesen Räumen hätten die konspirativen Treffen zwischen den Amerikanern und den Scheichs von Anbar stattgefunden, erzählt er. "Hier wurden Schlachtpläne entwickelt und Angriffsmethoden. Hierher kamen Informanten, die uns den Aufenthaltsort von Al-Kaida-Kämpfern verrieten." Dass Sunnit Abu Risha sich nun mit Schiit Maliki verbündet, finden viele in Falludscha nicht gut. "Wir kämpfen an zwei Fronten: gegen Bagdad und gegen Al-Kaida."

Sunniten beim Freitagsgebet in Falludscha
Sunniten beim Freitagsgebet in Falludscha - für viele ist die Regierung in Bagdad der wahre FeindBild: picture-alliance/AP Photo

Nur wenige Sunniten in Armee und Polizei

Mit seinen 31 Jahren ist der Polizist aus Falludscha einer der wenigen, die in die Sicherheitskräfte übernommen wurden, obwohl die Amerikaner die Integration der sunnitischen Sahwa-Kämpfer in Armee und Polizei vor ihrem Abzug ausgehandelt hatten. Doch nur etwa 1000 von 5000 Männer aus Tareks Distrikt sind Soldaten oder Polizisten geworden. "Die anderen sitzen Zuhause und wissen nicht, wie sie finanziell über die Runden kommen sollen." In die Armee sei ohnehin so gut wie niemand integriert worden. Dort nehme man nur Schiiten. Während ein Polizist im Irak je nach Dienstgrad zwischen 700 und 1200 US-Dollar verdiene, seien die anderen Sahwa-Kämpfer mit monatlich 120 Dollar abgespeist worden. Erst jetzt habe Maliki angekündigt, das Gehalt auf 500 zu erhöhen. "Er will die Sahwa wiederbeleben", sagt Tarek.

Ob ihm das gelingt, ist eine andere Frage. Der Widerstand in Falludscha gegen Bagdad sei jedenfalls groß, sagt der Polizist. Tarek und seinen Kollegen stehen also harte Wochen bevor. Zwar sei er von den Amerikanern für den Anti-Terrorkampf gut ausgebildet worden. Sie hätten ihn sogar zum Trainingslager nach Jordanien geschickt, wo auch deutsche Ausbilder engagiert waren. Doch wie man mit dem zweiten Feind umgeht, der irakischen Armee, habe er nicht gelernt. Diese bombardiert Falludscha jetzt vermehrt aus der Luft. Fast täglich sind mehrere Dutzend Tote zu beklagen. Tausende Einwohner sollen bereits aus der Stadt geflohen sein.

Der irakische Ministerpräsident Nuri al-Maliki
Maliki will Falludscha stürmen lassenBild: picture-alliance/dpa/dpaweb

Konflikt hat sozial-politische Gründe

Seit mehr als einem Jahr protestieren Bürger von Iraks flächenmäßig größter Provinz Anbar gegen die Zentralregierung in Bagdad. Sie errichteten Protestcamps in Ramadi und Falludscha, trugen ihre Forderungen in die Medien und ins Parlament. Doch die Zugeständnisse der Regierung blieben lauwarme Zusagen, die nicht eingehalten wurden. Da die Mehrheit der Bevölkerung Anbars Sunniten sind, die Regierung in Bagdad aber schiitisch geprägt ist, wird bei diesem Konflikt oft von einem Wiederaufleben der überwunden geglaubten konfessionellen Konfrontation von vor fünf Jahren gesprochen.

Doch das Problem jetzt ist nicht religiöser, sondern sozial-politischer Natur. Es ist ein Konflikt zwischen Benachteiligten, die mehr Anteile an den Fleischtöpfen der Nation fordern: eine bessere Arbeitssituation, damit sie ihre Familien ernähren können, mehr politische Mitsprache, mehr Chancen im Leben. Dabei begehren sie gegen denjenigen auf, der ihnen dies verwehrt. Sie protestieren gegen Regierungschef Nuri al-Maliki, nicht weil er Schiit ist, sondern weil er nach ihrem Empfinden ein "neuer Saddam", ein Diktator ist. Inzwischen sind viele sunnitische Flüchtlinge aus Falludscha im für Schiiten heiligen Kerbela untergekommen. Der Gouverneur dort gewährt ihnen großzügig Aufnahme - trotz ihrer Religion.