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Politik

Drastischer Anstieg von HIV-Infektionen

Vladimir Esipov
19. Oktober 2017

Experten sind schockiert über die Ausbreitung von HIV in Russland und Osteuropa. Das Problem hat das Ausmaß einer Epidemie angenommen. Dabei ist längst bekannt, wie man das Virus eindämmen kann.

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Symbolbild AIDS Schleife auf schwarzem Hintergrund
Bild: picture-alliance/dpa

Als "Katastrophe" bezeichnet Sylvia Urban von der Deutschen AIDS-Hilfe die rasante Ausbreitung von HIV in Russland. 2016 infizierten sich mehr als 100.000 Menschen in Russland mit dem Virus. In Deutschland, wo etwas mehr als halb so viele Menschen leben, waren es hingegen nur etwa 3200, also 30 Mal weniger als in Russland. Urban zufolge ist die Zahl der HIV-Neuinfektionen seit dem Jahr 2000 weltweit um ein Drittel gesunken. Die Zahl der Todesfälle unter HIV-Infizierten habe sich halbiert - überall, außer in Osteuropa.

Verfolgung und Diskriminierung

Konferenz in Berlin: HIV-Epidemie in Osteuropa stoppen
Sylvia Urban: NGOs spielen eine wichtige RolleBild: DW/Vladimir Esipov

Sylvia Urban macht darauf aufmerksam, dass weltweit verbesserte Prävention sowie Testprogramme für Infizierte die Virus-Verbreitung drastisch reduzieren würden. In Russland sei das allerdings anders. "Risikogruppen" würden schikaniert und diskriminiert. Die Themen Sexualität im Allgemeinen und Homosexualität im Besonderen seien tabuisiert. Die Mittel zur HIV-Bekämpfung würden reduziert. Zudem würden Nichtregierungsorganisationen, die Spenden aus dem Ausland erhalten, zunehmend von staatlichen Strukturen verfolgt.

Laut Urban zeigt die deutsche Erfahrung im Kampf gegen HIV, dass gerade NGOs eine Schlüsselrolle bei der Prävention spielen. "Der enorme Erfolg der HIV-Prävention in Deutschland zeigt, wie effektiv die Interaktion des Staates mit zivilgesellschaftlichen Strukturen sein kann", betonte Urban.

Drogenkonsumenten besonders betroffen

Konferenz in Berlin: HIV-Epidemie in Osteuropa stoppen
Wadim Pokrowskij kritisiert konservative ReligiösitätBild: DW/Vladimir Esipov

Von einer solchen Interaktion könne Russland heute nur träumen, sagt Wadim Pokrowskij, Leiter des russischen Föderalen AIDS-Zentrums. "Wir können viel von Deutschland lernen", so Pokrowskij. Ihm zufolge ist in Russland nach wie vor der Drogenkonsum der Hauptübertragungsweg von HIV. Da der Großteil der Drogenkonsumenten heterosexuelle Männer sind, seien ihre Partnerinnen ebenfalls gefährdet. Heute könne eine Frau im Alter zwischen 25 und 30 Jahren "sehr leicht" auf infizierte Männer treffen. Nach seinen Angaben sind etwa drei bis vier Prozent der russischen Männer im Alter von 30 bis 40 Jahren mit HIV infiziert. Unter Drogenkonsumenten sei es jeder Fünfte und unter Schwulen jeder Zehnte.

"Homophobie, eine negative Einstellung zu Drogenabhängigen sowie der obskure rechtliche Status von Prostituierten führt dazu, dass Russland nicht einmal die Hälfte der HIV-Präventionsmaßnahmen umsetzt, die als wissenschaftlich wirksam anerkannt sind und in der ganzen Welt angewendet werden", betont Pokrowskij. Er fügte hinzu, dass in den letzten Jahren die Religiosität unter der russischen Bevölkerung zugenommen habe. "Sie nimmt manchmal sehr konservative Formen an, die der Entwicklung der modernen Gesellschaft nicht entsprechen", sagte er. 

Infografik HIV-Neuinfektionen weltweit

Warnung vor steigenden Kosten

Luiz Loures, stellvertretender Direktor von UNAIDS, betont, in Osteuropa sei nicht nur eine HIV-Epidemie zu beobachten, sondern auch eine Epidemie von Diskriminierung, von Hass auf Sexualität und Fremdenfeindlichkeit. "AIDS verbreitet sich am schnellsten, wo Menschen diskriminiert werden", so Loures.

Er betont, die Situation in Osteuropa sei heute schlimmer als in Afrika. "Wenn in der Region jetzt keine Mittel gefunden werden, um die rasche Verbreitung von HIV zu stoppen, dann werden die Kosten für die Bekämpfung des Virus in Zukunft noch höher sein", fügt der UN-Vertreter hinzu.

"Selbstisolierung in Gesundheitsfragen"

Konferenz in Berlin: HIV-Epidemie in Osteuropa stoppen
Raminta Stuikyte: Erfahrungen anderer Länder nutzenBild: DW/Vladimir Esipov

Raminta Stuikyte, Beraterin des UN-Sondergesandten für HIV in Osteuropa, meint, die Atmosphäre in Russland für eine effektive HIV-Prävention sei völlig "vergiftet". "Früher oder später muss die Wissenschaft über die Ideologie siegen", betont sie.

Stuikyte bedauert, dass Russland die weltweiten Erfahrungen, die wissenschaftlichen Errungenschaften und Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) nicht nutzt. Russland sollte ihrer Ansicht nach aus den Erfahrungen anderer Länder, einschließlich Deutschland, maximal Nutzen ziehen. "Für den Erfahrungsaustausch bei der HIV-Prävention ist ein Dialog unerlässlich. Es darf keine Selbstisolierung in Gesundheitsfragen geben", so Stuikyte.