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Die Parteien sprechen miteinander

Daphne Antachopoulos21. September 2005

Jamaika, Ampel oder große Koalition? In Berlin beginnen die Sondierungsgespräche der Parteien zu möglichen Bündnissen.

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Journalisten lauern den Teilnehmern der Sondierungsgespräche aufBild: dpa - Bildfunk
Jamaika-Fahne vor Reichstag
Eine jamaikanischen Flagge weht vor dem Reichstag am in BerlinBild: dpa - Report

Den Auftakt machten SPD und Grüne: Am Mittwoch (21.9.2005) kamen die Parteien in Berlin zu Sondierungsgesprächen zusammen. Am Donnerstag und Freitag sind Gespräche der Union mit FDP, Sozialdemokraten und Grünen über mögliche Koalitionen vorgesehen. "Jamaika" ist das Wort, das die Republik in diesen Tagen aufwühlt. Eine Koalition, die es in Deutschland noch nie gegeben hat.

Politische Übereinstimmungen zwischen Union, FDP und Grünen gäbe es zum einen im Hinblick auf die Unternehmenssteuern: Alle drei Parteien haben ihre Senkung zur Stärkung der Wirtschaft vor. Auch die grundsätzliche Senkung der Lohnnebenkosten ist ein gemeinsames Ziel dieser Parteien. In der Rechtspolitik, speziell was die Stärkung der Bürgerrechte und die Integration der ausländischen Bevölkerung in Deutschland betrifft, stehen die Liberalen den Grünen sogar näher als ihrem traditionellen Koalitionspartner CDU/CSU.

Gewitterwolken über Jamaika

Grüne stellen Wahlkampagne vor
Wahlkampf-Parolen: Claudia Roth, Vorsitzende von Bündnis90/Die Grünen, bei der Präsentation von Kondomschachteln als Wahlkampf-Gag im JuliBild: dpa

Entsprechend ziehen viele Politiker die Jamaika-Option zumindest in Erwägung. "Ich halte die so genannte Jamaika-Koalition für nicht sehr wahrscheinlich, aber ich würde sie zum jetzigen Zeitpunkt auch nicht ausschließen", erklärte etwa der Unions-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach. Auch die CDU-Politiker Wolfgang Schäuble, Christian Wulff und Norbert Röttgen haben sich mittlerweile für die Überprüfung der Jamaika-Option ausgesprochen.

Doch es gibt auch sehr kritische Stimmen. Im Bereich Arbeitsmarktpolitik zum Beispiel streben die bürgerlichen Parteien eine Lockerung des Kündigungsschutzes und die Besteuerung von Nacht- und Schichtarbeit an - beides haben die Grünen bislang abgelehnt. Ganz grundsätzlich wollen Union und FDP die Steuern senken; die Grünen wollen die Einkommenssteuern so belassen und streben sogar eine "Millionärssteuer" an.

Gräben in der Sozialpolitik

Auch in der Sozialpolitik klaffen Lücken: Die Union möchte eine Einheitsprämie in der Gesundheitsversicherung einführen, die jeder unabhängig von der Höhe seines Einkommens bezahlen soll. Demgegenüber möchte die FDP das Gesundheitswesen ganz privatisieren, um Wettbewerb zuzulassen und so die Kosten zu senken. Und die Grünen stellen sich eine Bürgerversicherung vor, in die alle einzahlen und deren Höhe vom Einkommen abhängig ist. In der Außenpolitik spricht sich die Union strikt gegen einen Beitritt der Türkei zur EU ausspricht, während die Grünen einer Aufnahme der Türkei positiv gegenüber stehen.

Fischers Visionen

Jamaika-Koalition?
Die in den letzten beiden Tagen diskutierte Jamaika-Koalition gewinnt nach dem Abgang Fischers andere Qualitäten, 20.9.2005. Fotomontage mit Angela Merkel, Guido Westerwelle und Joschka Fischer als´Rastafaris. Quelle: dpa-Fotos

Das wohl gravierendste Problem - zumindest für die Grünen - sind die Unterschiede im spezifisch grünen Bereich der Umweltpolitik. "Wir werden selbstverständlich sprechen. Ich sehe aber die Möglichkeit, auf dieser Basis zusammenzukommen, als äußerst unwahrscheinlich an", sagt etwa Bundesumweltminister Jürgen Trittin. In der vergangenen Legislaturperiode erreichten die Grünen den mittelfristigen Ausstieg aus der Kernenergie - ein Symbol für ökologische, grüne Politik. Die Union dagegen denkt wieder über eine Verlängerung der Laufzeiten für bestehende Kernkraftwerke nach.

Nicht nur deswegen sehen grüne Politiker das "Jamaika-Projekt" als schwierig an. Allen voran der noch amtierende Außenminister Joschka Fischer: "Also, ich wusste ja gar nicht, dass das Jamaika-Koalition heißt. Als ich das hörte habe ich ja, ganz Diplomat, kein Gesicht verzogen. Aber was in meinem Kopf ablief, das können Sie sich ja vorstellen. Ich sah die plötzlich mit Dreadlocks da sitzen und einer Tüte in der Hand."

Ampel kaum denkbar

Abendstimmung in Berlin mit Ampel
Berlin: Eine Ampel zeigt "Rot Gelb" an einer Straßenkreuzung an der Karl-Marx-Allee in Berlin, aufgenommen am 07.09.2004. Der Fernsehturm imHintergrund steh als Silhouette vor dem gelb-rotem Abendhimmel.Bild: dpa

Die Ampel ist ein weiteres mögliches Regierungsbündnis. SPD, FDP und die Grünen auf der Regierungsbank vereint - das wäre eine Wunschkonstellation der noch amtierenden rot-grünen Regierung. "Die Ampelkoalition hätte den Vorteil, dass Schröder der Kanzler ist", sagte der SPD-Vize-Fraktionsvorsitzende Michael Müller. Außerdem könnte Rot-Grün seine Politik so weitergestalten wie bisher, hofft sein Stellvertreter Ludwig Stiegler. Im Hinblick auf die Wahrung der Bürgerrechte gibt es auch Übereinstimmung zwischen FDP und Grünen. Allerdings gäbe es in der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik ähnliche Probleme wie in der Jamaika-Koalition, weil die viele Positionen der FDP nicht zu denen von SPD und Grünen passen.

Außerdem bleibt zu berücksichtigen, dass die FDP sich mit ihrer Zweitstimmenkampagne viele Stimmen der Union gesichert hat - alles Wähler, die der FDP ihre Stimme gaben, um eben eine Koalition aus FDP und CDU/CSU zu sichern. Wenn die FDP nun stattdessen mit Rot-Grün koalieren würde, würde die FDP all diese Wähler und die Union vor den Kopf stoßen. Entsprechend hat der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle eine solche Konstellation ausgeschlossen: "Die Wähler, die FDP gewählt haben, können sich darauf verlassen, dass unsere Stimmen für Herrn Schröder, für eine Ampel, für die SPD nicht zu haben sind."

Vertrauensfrage Bundestag Gerhard Schröder und Angela Merkel
Bundeskanzler Gerhard Schroeder sitzt auf seinem Platz waehrend die Oppositionsfuehrerin Angela Merkel, rechts, im Bundestag in Berlin am Freitag, 1. Juli 2005 ihre Rede haelt. Wie erwartet hat der Bundestag Kanzler Gerhard Schroeder das Vertrauen entzogen. Bei der Abstimmung ber die Vertrauensfrage votierten am Freitag 151 Abgeordnete mit Ja, 296 mit Nein und 148 enthielten sich. (AP Photo/Markus Schreiber) --- German Chancellor Gerhard Schroeder, left, looks on as opposition leader Angela Merkel, right, delivers her speech in the German parliament in Berlin, Friday, July 1, 2005. German Chancellor Gerhard Schroeder had called a confidence vote in parliament on Friday which he lost as he had intended to enable new elections expected to be held in September. (AP Photo/Markus Schreiber)Bild: AP

Koch oder Kellner

Die letzte Koalitionsmöglichkeit wäre die Große Koalition aus SPD und CDU/CSU. Ein gemeinsamer Nenner ist die Übereinstimmung in der Rechtspolitik und der Terrorbekämpfung. In Sachen "Law and Order" stehen sich der amtierende Bundesinnenminister Otto Schily und sein bayerischer Kollege von der CSU, Günther Beckstein, seit langer Zeit recht nah. Probleme aber ergeben sich auch hier im Bereich Arbeitsmarkt, Soziales und Steuern. Und auch die Frage des Türkei-Beitritts zur EU müsste ganz neu aufgerollt werden.

Und dann gibt es noch eine Personalfrage: Wer soll den Kanzler stellen? Denn beide Seiten beanspruchen diese Position für sich. "Ich fühle mich bestätigt, für unser Land dafür zu sorgen, dass es auch in den nächsten vier Jahren eine stabile Regierung unter meiner Führung geben wird", erklärte Gerhard Schröder nach der Wahl. Bei Angela Merkel, der Spitzenkandidatin der Union, klang das nach ihrer Wiederwahl als Fraktionsvorsitzende am Dienstag so: "Mit diesem Votum haben wir noch einmal unterstrichen, das wir als stärkste Fraktion den Anspruch haben, die Regierungsbildung auch zu übernehmen, die Gespräche zu führen."