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Michael Klier im Gespräch

5. November 2009

1989 gelang dem Regisseur Michael Klier mit "Überall ist es besser, wo wir nicht sind" ein Überraschungserfolg. Er erzählt darin von einem Lebensgefühl vieler Menschen im geteilten Europa.

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Michael Klier vor Filmplakat (Foto: Jochen Kürten)
Klier in DW-GesprächBild: Jochen Kürten

Die Biografie und Filmografie des Regisseurs Michael Klier spiegelt die Zerrissenheit Europas nach dem Zweiten Weltkrieg wider. Klier wurde in1943 in der Tschechoslowakei geboren, kam nach der Flucht über die DDR zunächst nach Frankreich, dann nach Westdeutschland. Dort wurde er auch zum Spielfilmregisseur. Seine filmischen Wurzeln allerdings hat er in Frankreich.

DW-WORLD: Erinnern Sie sich eigentlich noch an Ihre Flucht aus der damaligen Tschechoslowakei ?

Michael Klier: Ja, das war eine Flucht, wie man sie heute im Fernsehen sehen kann, wenn die Heimatvertriebenen los gezogen sind. Ich war sehr jung, ein kleines Kind, als wir da weg mussten. Ich gehöre zu den Sudetendeutschen, meine Eltern waren Sudetendeutsche und wir mussten dann weg. Binnen zwei Tagen mussten wir sozusagen alles verlassen und durften nur das mitnehmen, was wir tragen konnten, einen Leiterwagen und solche Sachen. Wir sind dann in die DDR oder – wie das damals hieß - in die Ostzone geflüchtet. Bestimmte Ströme wurden in den Osten geleitet, andere nach Bayern. Das wusste man damals alles noch nicht genau.

Fasziniert vom Medium Film

Sie haben Anfang der 1960er Jahre begonnen einen Film zu drehen. Wie sind Sie damals zum Film gekommen?

Mitte der 1960er Jahre hatte ich eine Zeit lang in Frankreich gelebt, in Paris. Damals existierte die Nouvelle Vague. Man wurde einfach davon mitgerissen und war fasziniert. Ich hatte "Theatermaler" gelernt und war am Theater, habe mich aber schon früh für Filme interessiert. Ich wollte schon mit 18 einen Dokumentarfilm drehen. Die Entwicklung war ziemlich logisch. Also, es gab auf der einen Seite das Theater und auf der anderen Seite den Film. Und der Film war einfach viel moderner und viel faszinierender. Auch durch die französische Erfahrung. Da war es ganz einfach zum Film zu stoßen, anzufangen Filme zu drehen, kleine Filme, Kurzfilme.

Porträt Francois Truffaut (Foto: picture alliance/ dpa)
Assistierte bei TruffautBild: picture-alliance / dpa

…und dann haben Sie auch bei Francois Truffaut hospitiert!

Ja, bei "Die süße Haut", das ist ein Film, den er in Paris gedreht hat und teilweise auf dem Land. Da war ich eine Art Praktikant oder Volontär, also ohne Geld zu verdienen. Später habe ich auch über Truffaut einen Film gedreht. Er hatte meinen ersten Kurzfilm gesehen. Auf Grund dessen hat er mich überhaupt eingeladen und ich hatte einen kleinen Briefwechsel mit ihm und wir haben uns relativ früh kennengelernt und da ich gut französisch kann, war das alles kein Problem.

Karrierebeginn mit Dokumentationen

1963 haben Sie Ihren ersten Kurzfilm gedreht. Dann haben Sie immer große Pausen gehabt zwischen den Filmen. Sie hätten theoretisch damals auch schon zum jungen deutschen Film gehören können?

Ich hätte zum jungen deutschen Film gehören können, auf jeden Fall! Ich habe aber studiert. Ich habe 1969 angefangen mein Studium an der Freien Universität zu machen und war in der Filmakademie angenommen und habe aber dieses Studium nicht angetreten. Ich habe es abgesagt. Ich habe dann studiert (Philosophie und Geschichte), ganz regulär und habe auch meinen Abschluss gemacht. Das war 1974, ´75. Und dann habe ich zwischendurch Dokumentarfilme oder Porträts über Filmregisseure gedreht, meistens in Frankreich. Ich bin erst sehr spät zum Film gekommen. Also das deutsche Kino damals war für mich auch nicht so interessant, ich war sehr nach Frankreich orientiert. Ich hatte überhaupt keinen thematischen Zugang hier zu dem Land. Das war eigentlich der Grund, dass ich keinen richtigen Spielfilm gedreht habe.

Und wie sind Sie dann doch zum Spielfilm gekommen? Warum haben Sie dann doch vom Dokumentarfilm den Sprung zum Spielfilm gewagt?

60 Jahre Bundesrepublik Foto, das Arbeiter beim Bau der Berliner mauer zeigt (Foto: picture alliance/ dpa)
Berliner MauerBild: picture-alliance/ dpa

Weil ich mein Thema gefunden habe, das Ost-West Thema. Weil ich selber eine Zeit lang in Ostdeutschland, also in der DDR gelebt habe und dann in Westdeutschland, in West-Berlin, und immer die Teilung vor mir hatte. Weil ein Teil meiner Familie im Osten gelebt hat und meine Brüder und ich im Westen gelebt haben. Und diese Mauer ging immer durch unsere Familie hindurch. Das war das Thema! Das war mein Lebensthema. Ich hatte dieses Thema gefunden für meine Filme "Überall ist es besser…..", "Ostkreuz" und auch für die anderen Filme.

Programmatischer Titel

Jetzt müssen Sie aber den Titel, den Sie gerade nur halb zitiert haben, auch mal vollständig nennen und dann auch über diesen Film sprechen, der ja wirklich gerade bei der deutschen Filmkritik sehr gut angekommen ist. Der Titel ist ja schon fast ein geflügeltes Wort geworden.

Der heißt "Überall ist es besser, wo wir nicht sind". Das ist ein Slogan der Solidarnosz gewesen, an den Mauern in Warschau Anfang der 1980er Jahre und später. Das war eben ein programmatischer Titel, weil er so einem Lebensgefühl von vielen Menschen entsprach, auch hinausgehend über das politische, oder über das deutsche oder über das polnische.

Zwei Polen sind im Film die Hauptfiguren, die aus ihrem Land weg gehen, die nach West-Berlin kommen. Dann gehen die nach New York, wo sie hin wollen, nach Amerika. Dann stellen Sie fest, dass es da genau so ist, wie bei ihnen zu Hause in Warschau oder in West-Berlin.

Ein junger Mann sitzt auf einem Koffer, daneben ein Mädchen auf einer Balustrade - Szene aus Überall ist es besser, wo wir nicht sind (Foto: picture alliance)
"Überall ist es besser, wo wir nicht sind"Bild: picture-alliance / KPA

Also das ist das Thema: keinen Platz zu finden in der Welt, weil man immer glaubt, das es woanderes viel besser ist, als da, wo man gerade ist. Es ist eher ein grundsätzliches Lebensgefühl, eine Sichtweise. Insofern war das ein Film, der auch private Einflüsse hatte, aber auch einen eigenen Stil. Es war eine völlig andere Sicht auf die Gegenwart der damaligen Zeit. Ich habe versucht ein Gefühl einzufangen. Und da er auch ästhetisch sehr interessant war, ist er sehr gut angekommen. Auch international wurde er wahr genommen, weil er dieses Thema im Mittelpunkt hatte. Weil er eine Filmsprache hatte, die damals in Deutschland nicht existierte, diese Art von Stil, dieser Kinostil.

Das Gespräch führte Jochen Kürten

Redaktion: Conny Paul