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Schweden pocht auf Meinungsfreiheit

24. August 2009

Ein Zeitungsbericht in Schweden über angeblichen Handel israelischer Soldaten mit Organen getöteter Palästinenser schlägt in Israel hohe Wellen. Schweden beruft sich auf Meinungsfreiheit. Bernd Riegert kommentiert.

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Themenbild Kommentar (Grafik: DW)
Bild: DW

Die Regierung in einer Demokratie, in der Pressefreiheit herrscht, kann in die Berichterstattung der freien Presse nicht eingreifen und ist nicht für deren Inhalte verantwortlich. Folglich kann sie für diese weder Verantwortung übernehmen noch sich entschuldigen. Dieses Prinzip gilt auch im aktuellen Streit zwischen der israelischen und der schwedischen Regierung um einen Artikel in der schwedischen Boulevardzeitung "Aftonbladet", in dem behauptet wird, die israelische Armee habe im Jahr 1992 Organe aus getöteten Palästinensern entnommen.

Haarsträubende Vorwürfe

Die Anschuldigungen des israelischen Premiers und seines ultrakonservativen Außenministers, die schwedische Regierung decke einen angeblich antisemitischen Artikel, sind unsinnig. Der Vorwurf, es handele sich um Antisemitismus, wenn über angebliche Praktiken der israelischen Armee berichtet werde, ist an den Haaren herbeigezogen. Schwedischen Journalisten jetzt Arbeitsgenehmigungen in Israel zu verweigern oder gar den Boykott eines schwedischen Möbelhauses zu organisieren, sind kleinkarierte, gefährliche Reaktionen, die nur eine weitere Eskalation dieses unerfreulichen Streits zum Ziel haben können.

Skandinavische Zeitungen (Foto: Bilderbox)
Presseinhalte: Kritik erlaubt, aber keine EinmischungBild: Bilderbox

Wenn die israelische Armee die ungeheuerlichen Behauptungen in dem Artikel für falsch hält, kann sie dagegen mit rechtlichen Mitteln vorgehen. In Schweden wie in Israel gibt es das Mittel der Gegendarstellung und der Verleumdungsklage. Der fragliche Artikel basiert nach Angaben von "Aftonbladet" wohl nur auf Aussagen von palästinensischen Angehörigen. Harte Beweise wie ein Autopsie oder Ähnliches bleibt die Zeitung schuldig.

Die schwedische Regierung handelt natürlich richtig, wenn sie für möglicherweise schlampige Recherchen keine Verantwortung übernimmt. Aber eine Kritik an dem fraglichen Artikel darf der schwedische Außenminister Carl Bildt schon üben. Bildt hat es aber vorgezogen, auf stur zu schalten, was wiederum die israelische Seite gereizt hat. Die schwedische Botschafterin in Israel hatte den Artikel verurteilt, ihre Stellungnahme verschwand aber wieder von der Internetseite der Botschaft.

Israelisches Ablenkungsmanöver?

Der Artikel über den angeblichen Organhandel scheint einen tiefer liegenden Konflikt offen zu legen. Die israelische Regierung hält die Europäische Union und vor allem Schweden schon seit langem für zu pro-palästinensisch eingestellt. Da Schweden im Moment die Ratspräsidentschaft der EU innehat und Bildt einen schon lange geplanten Besuch in Israel antreten wollte, war es aus Sicht der israelischen Regierung jetzt der richtige Zeitpunkt, um Schweden aufs Korn zu nehmen. Mit diesem Thema kann der konservative Regierungschef Netanjahu sicherlich auch innenpolitisch punkten. Der Gegner von außen schweißt immer zusammen.

Außerdem lenkt die künstliche Aufregung von europäischer Kritik an der israelischen Siedlungspolitik ab. Wenn es Netanjahu tatsächlich um die Bekämpfung von Antisemitismus gehen würde, müsste er nach seiner Logik die Beziehungen zu den USA sofort abbrechen, denn aus den USA kommen Dutzende von Webseiten mit antijüdischer und rassistischer Propaganda.

Ruhe bewahren

Der schwedische Außenminister Carl Bildt (Foto: AP)
Der schwedische Außenminister: Carl BildtBild: AP

Wie im Karikaturenstreit zwischen der dänischen Regierung und der arabischen Welt vor drei Jahren gilt auch in diesem Fall: Die Pressefreiheit ist ein hohes Gut, das verteidigt werden muss. Angeblich verletzte religiöse Gefühle oder, wie im aktuellen Fall, konstruierter Antisemitismus können nicht als Vehikel dienen, um die Pressefreiheit einzuschränken. Ein schlechter Artikel rechtfertigt nicht den Streit zwischen Regierungen und Staaten.

Wie damals die dänische Regierung, muss die EU jetzt auch die schwedische Regierung unterstützen. Einen entscheidenden Unterschied gibt es allerdings: Damals stachelten arabische Regime und religiöse Führer Demonstranten zu Gewalttaten an. Soweit darf es und wird es in Israel nicht kommen. Beide Seiten sollten auf Entspannung setzen. Gute Beziehungen zwischen der EU und Israel und zwischen der EU und den Palästinensern sind im Bemühen um Frieden im Nahen Osten zu wichtig, als dass man sie wegen eines einzigen Zeitungsartikels aufs Spiel setzen sollte.

Autor: Bernd Riegert
Redaktion: Nicole Scherschun