1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Deutschlands neue Lust am TV-Schmalz

Klaus Deuse12. Oktober 2005

In Südamerika sind Telenovelas seit Jahrzehnten aus dem Fernsehen nicht mehr wegzudenken. Nun finden die billig und seriell produzierten TV-Kitschromane auch in Deutschland viele Nachahmer und eine treue Fan-Gemeinde.

https://p.dw.com/p/7IAW
Wege zum Glück?Bild: dpa

Seichte Seifenopfern flimmern schon im Dutzend über die Fernsehschirme in Deutschland. Doch nun gibt es in der televisionären Versorgung mit Herz-Schmerz-Schmalz noch eine Steigerung. Oder anders formuliert: einen dramaturgischen Dauer-Tiefschlag: und zwar die Telenovela als neue deutsche Unterhaltungsform.

Bei der Telenovela, einer Art TV-Kitschroman in bewegten Bildern, handelt es sich um eine spezielle Form der Fernsehserie, die in Lateinamerika konzipiert wurde und seit den 1990er-Jahren auch in Osteuropa und Nordafrika zu sehen ist. Also in Ländern, in denen Menschen, die materiell nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen, nicht viel zu lachen haben - und darum nach unterhaltender Ablenkung suchen.

Frauen und Frauenschaften

Erzählt wird eine Telenovela übrigens stets aus Sicht der weiblichen Hauptperson. Sie dauert im Schnitt etwa acht Monate bis ein Jahr, und läuft auf ein vorher festgelegtes Ende, in der Regel ein Happy-End, zu. "Laura" heißt diese Hauptperson in der Telenovela in der ARD, beim ZDF "Bianca", die ihre "Wege zum Glück" beschreitet, und "Linda" beim Privatsender Sender Sat.1 in "Verliebt in Berlin". Und sie alle landen schlussendlich in den Armen ihres Traumprinzen.

So wie die ZDF-Bianca, die als armes Mädel beim Serienstart noch nach dem Sinn des Lebens suchte, falschen Freunden auf den intriganten Leim ging - und dennoch durch ihren unschuldigen Liebreiz den wohlhabenden, strahlend schönen Mann fürs Leben findet. Bianca, die ihr Glück kaum zu fassen vermag, ohne dabei ihre Wurzeln zu vergessen, sinniert tiefsinnig im Schloß, in dem sie nun in den oberen Etagen logiert: "Auch hier wird mir die Veränderung deutlich. Meine Familie unten in der Küche. Das wird es so für mich nicht mehr geben. Ich werde hier meinen Platz einnehmen. Bei meiner neuen Familie. Aber habe ich mir das nicht immer schon so gewünscht?"

Richtig. Und das weiß bei diesen simplen TV-Märchen der Telenovela- geeichte Zuschauer von Anfang an - und drückt den unterdrückten Mädchen bei den täglichen Episoden dennoch die Daumen. Ohne Liebe, das lassen die Drehbuchautoren schon die mitwirkenden Kinder vorlaut plappern, laufe nämlich auch im richtigen Leben im Prinzip gar nichts. "Ich kann mir vorstellen, dass sie Lust hatte auf einen weiteren Nachtisch. Ist sie denn nicht satt geworden? Papa, man weiß doch, dass nicht nur Essen durch den Magen geht."

Es könnte so einfach sein?

Bei Laura, einem unterschätzten Hascherl aus der ostdeutschen Provinz, die mehr als nur Brötchen verkaufen will, lernt man in der ARD-Serie "Sturm der Liebe" schnell, dass Frauen einfach über mehr Gefühl verfügen und intuitiv spüren, wenn sie den Richtigen getroffen haben. "Ich weiß nicht, was er vor hat. Aber ich bin so aufgeregt. Ich will ihn so viel fragen. Er wird dir bestimmt alles sagen, was du hören willst."

ARD-Telenovela "Sturm der Liebe"
Hier stürmt die Liebe

Ja, gute Freundinnen mit guten Ratschlägen spielen in Telenovelas an der Seite der Hauptakteurin eine wichtige Rolle. Dass diese TV-Romane trotzdem fast ein Jahr lang ausgewalzt werden, das liegt an intriganten Mitspielerinnen, meist reifen Frauen, die den tumben Männern entweder den Kopf verdrehen - oder ihnen sagen, was sie von ihnen als Mann erwarten: "Und er weiß auch, dass er noch viel von Dir lernen kann. Was denn? Wie ein Mann alles bekommt, was er sich wünscht."

Absolutes Fluchtareal

Telenovelas funktionieren wie ein simpler Wildwest-Film - oder wie ein durch die Zeitmaschine gewirbeltes Märchen. Gute und Böse stehen klar gegeneinander. Und irgendwann obsiegt das Gute, beflügelt durch die Kraft der Liebe. Männer und Frauen passen nach diesem TV-Strickmuster gut zusammen. "Na, mein kleines Naschkätzchen, hast Du alles ausgeschleckt? Miau! Arme schwarze Kathi. Du bist mein kleiner Straßenkater."

Bei aller Schlichtheit: die Quoten zeigen, Telenovelas fallen in Germanien auf fruchtbaren Boden. Vor allem in den ostdeutschen Bundesländern. Mit "Bianca - Wege zum Glück" verbucht das ZDF dort Marktanteile von fast 25 Prozent. Und der Privatsender Sat.1 freut

sich darüber, dass gleich vier Folgen der Telenovela "Verliebt in Berlin" in zwei Wochen in den Top-Ten der erfolgreichsten Sendungen landeten. Es scheint, dass viele Menschen, die sich im richtigen Leben nicht über Probleme beklagen können, vor dem Bildschirm gern

in eine heile Welt flüchten. Und die Telenovelas liefern ein wirklich weites - absolut realitätsfernes - Fluchtareal.