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Das Fremde verstehen

Günther Birkenstock16. September 2012

Seit 1990 wird die Bundeswehr außerhalb Deutschlands eingesetzt. Damit die Soldaten Menschen vor Ort besser einschätzen können, werden Offiziere in Koblenz im Umgang mit anderen Kulturen geschult. Ein Ortsbesuch.

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Soldaten im Rollenspiel während eines interkulturellen Seminars der Bundeswehr
Bild: DW

Der Ethnologe Youssouf Diallo spricht von ganz einfachen Dingen: "Guten Tag", "auf Wiedersehen", "wie geht es Ihnen?". Für jeden sind das bekannte Verständigungsformeln im Alltag, aber wie sagt man es in einem anderen Land? Nicht sprachlich, sondern als Geste? Und es gibt noch mehr Fragen: Ist das Hände reichen überall eine verbindliche Geste oder wirkt es plump? Muss und darf man Frauen zuerst begrüßen oder könnte das als Herabwürdigung des Ehemannes missverstanden werden? Ist Blickkontakt notwendig oder bedeutet er Unhöflichkeit?

Andere Länder haben andere kulturelle Codes

Youssouf Diallo kommt ursprünglich aus Burkina Faso und kennt sich aus mit den kulturellen Codes verschiedener Länder. Er ist einer von vielen Dozenten, die im Zentrum für Innere Führung der Bundeswehr in Koblenz Soldatinnen und Soldaten auf den Auslandseinsatz vorbereiten. Dabei gehe es zunächst einmal darum, zu verstehen, wer und wie man selbst sei, betont der Ethnologe. "Wir versuchen zu beschreiben, was die deutsche Kultur ist. Nehmen wir Beispiele wie die deutsche Bürokratie, die deutsche Ordnungsliebe oder Auto-Liebe", sagt der Dozent. Darüber könne man lachen, doch würde auch ein Kern Wahrheit in den Klischees stecken. Es gehe darum, sich selbst zu reflektieren. Wer wisse, wie er selbst ist, der könne besser mit Menschen anderer Kulturen und deren Gewohnheiten umgehen, so Diallo.

Der Ethnologe Youssouf Diallo beim Vortrag in Koblenz
Das Gewohnte ist nicht selbstverständlich, macht Youssouf Diallo deutlichBild: DW

Rollenspiele sollen helfen, das Wissen praktisch zu vermitteln. Darin werden die Soldaten während des Seminars mit ungewohnten Gesten konfrontiert. Wie reagiert der andere, wenn man ganz leise spricht oder einem bei jedem zweiten Satz auf die Schulter klopft? Auch das neutrale Beobachten will geübt sein. Deshalb schaut einer von drei Übungspartnern nur unbeteiligt zu. Ziel ist eine weitgehende Sensibilisierung. Die so gemachten Erfahrungen können die Offiziere, so die Schulungsabsicht, dann als Multiplikatoren an ihre Kameraden weitergeben, die im direkten Einsatz sind.

Ungewohnte Nähe aushalten

Auch Simone Fiedler, internationale Trainerin für Interkulturelle Kompetenz, versucht mit Rollenspielen Wissen zu vermitteln. Bei einer dieser Übungen lässt sie die Soldaten und Soldatinnen zwei Reihen bilden, die in die gleiche Richtung blicken. Dann muss sich eine Reihe umdrehen und nur 30 bis 40 Zentimeter vor dem Gegenüber stehen bleiben. Die Nähe ist für viele sichtlich ungewohnt. Anschließend müssen die Soldaten Hand in Hand eine Runde durch den Raum laufen. Das sei für viele ein seltsames Gefühl, meint Fiedler, aber mit der Erkenntnis verbunden: "Ich muss auch mal über meinen Schatten springen, um hier eine Mission nicht in Gefahr zu bringen".

Simone Fiedler Trainerin für interkulturelle Kompetenz
Simone Fiedler zeigt, wie man lernt über seinen Schatten zu springenBild: DW

Hohes Diskussionsniveau

Der größte Teil des Seminars "Interkulturelle Kompetenz" besteht jedoch nicht aus Übungen, sondern aus Vorträgen und Diskussionen über Kultur, Geschichte und Politik anderer Länder. Insbesondere zum Thema "Islam" laden die Organisatoren immer wieder Spezialisten ins Bundeswehr-Zentrum für Innere Führung in Koblenz ein. Die meisten Seminar-Teilnehmer sind zwischen 25 und 35 Jahre alt und haben schon reichlich Erfahrung mit dem Thema "Interkulturelle Kompetenz", was sich auch im hohen Niveau der Diskussionen zeigt.

"Das hat schon lange eine große Bedeutung", sagt Presseoffizier Oberstleutnant Harald Reichardt. "In der Bundeswehr haben wir uns an vielen Stellen mit dieser Thematik befasst, in Offiziersschulen und an den Universitäten. Vor drei Jahren hat der damalige Generalinspekteur Schneiderhahn das erkannt und gesagt, wir verschwenden hier unsere Energie." Statt an vielen verschiedenen Stellen in der Bundeswehr über das Thema zu reden, sollten die Kräfte gebündelt werden. Der Generalinspekteur habe deshalb den Auftrag gegeben, im Zentrum für Innere Führung eine zentrale Koordinierungsstelle aufzubauen.

Einsatz in Afghanistan

Seit 2010 nehmen fünf Mal pro Jahr jeweils rund 20 Soldaten an einer Schulung zum Thema "Interkulturelle Kompetenz" teil. 160 Teilnehmer wurden laut Bundeswehr bisher geschult. Eine Überprüfung, was bei den Soldaten von den vielen Inhalten hängengeblieben ist, gibt es nicht. Aber die Organisatoren sind davon überzeugt, dass die Teilnehmer vieles von den Anregungen aus Koblenz für ihre zukünftige Arbeit mitnehmen. Oberleutnant Isabelle Teufert sagt: "Es hat sich auf jeden Fall gelohnt, hier zu sein. Ich denke, dass ich jetzt einen guten Unterricht konzipieren kann." Allerdings, so schränkt Teufert ein, wirklich viel Neues habe sie nicht gelernt.

Bundeswehrsoldaten bei einem Rollenspiel in Koblenz
Bundeswehrsoldaten beim Rollenspiel in KoblenzBild: DW

Auch ihr Kollege Hauptmann H., der seinen Namen nicht veröffentlicht sehen möchte, sagt, außer den praktischen Übungen nicht viel Neues gelernt zu haben. Bereichernd sei für ihn die Woche dennoch gewesen: "Das kann man jetzt als Ausgangsbasis nehmen, um die Leute einfach für interkulturelle Kompetenz zu sensibilisieren. Ein Großteil meiner Kollegen wird direkt in Afghanistan arbeiten. Da ist es sicher gut, wenn die ein Gespür dafür entwickeln. Jetzt ist noch Zeit dafür. Wenn sie da sind, ist es vielleicht schon zu spät."