1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Schuldenkrise

28. Juli 2011

Der politische Grabenkampf um die Schuldenobergrenze in den USA ist noch nicht vorbei. Der renommierte US-Ökonom Kenneth Arrow ist im Gespräch mit DW-WORLD.DE dennoch zuversichtlich, dass die Grenze angehoben wird.

https://p.dw.com/p/125Os
US-Ökonom Kenneth J. Arrow (Foto: picture-alliance/dpa)
Am Ende wird man sich einigen, glaubt ArrowBild: picture-alliance/dpa

DW-WORLD.DE: Was für die meisten Experten bis vor kurzem noch unmöglich erschien, könnte bald Realität werden. Die USA als führende Wirtschaftsmacht könnten tatsächlich bald zahlungsunfähig werden. Wie groß ist diese Möglichkeit?

Kenneth Arrow: Ich halte das immer noch für unwahrscheinlich. Ich denke, der Druck der Finanzmärkte wird ausreichen, um das zu vermeiden. Aber 100-prozentige Sicherheit hat man natürlich nicht. Es könnte sein, dass es doch keine Einigung geben wird. Ich würde sagen, es gibt eine zehnprozentige Wahrscheinlichkeit, dass die Schuldenobergrenze nicht angehoben wird.

Mit jedem Tag, an dem es keine Einigung gibt, rückt die Krise näher, und die gegenseitigen Schuldzuweisungen zwischen Demokraten und Republikanern nehmen zu. Ist der Eindruck, den man in Europa hat, richtig, dass es den Politikern nur darum geht, einen politischen Sieg einfahren zu wollen, statt das drohende Desaster abzuwenden?

Da spielen verschiedene Faktoren eine Rolle, und einer ist sicherlich die Frage der Ideologie. Es gibt einige Republikaner, die gesagt haben, sie würden auf keinen Fall für eine Anhebung der Schuldenobergrenze stimmen, egal welche Zugeständnisse die Demokraten anbieten. Sie sind der Auffassung, dass die Rolle des Staates zu groß ist und gestutzt werden muss, und das setzen sie als Machtmittel ein. Es geht also nicht nur um den kurzfristigen politischen Vorteil.

US-Präsident Barack Obama hält eine Rede (Foto: dapd)
Obama betonte den Ernst der Lage in seiner Rede an die Nation am 25. JuliBild: AP

Auf der anderen Seite hat Senator Mitch McConnell, der Minderheitsführer der Republikaner im Senat, vor ein paar Monaten gesagt, dass es seine Mission ist, dafür zu sorgen, dass Präsident Obama nur eine Amtszeit bekommt. Das ist derselbe McConnell, der kürzlich einen Vorschlag zur Bewältigung der Krise gemacht hat. Also hier geht es ganz klar um den politischen Vorteil.

Könnten beide Seiten nicht einfach den politischen Disput um Steuererhöhungen und Ausgaben abkoppeln und die Schuldenobergrenze erhöhen, um die Zahlungsunfähigkeit zu vermeiden oder ist das zu naiv gedacht?

Natürlich könnten sie das. Das alles ist in meinen Augen völlig verrückt. Wir haben einen Staatshaushalt, der verabschiedet worden ist. Warum ist das nicht das Ende der Geschichte? Warum gibt es eine getrennte Abstimmung über die Schuldenobergrenze? Natürlich muss man beim Haushalt die Schulden mitberücksichtigen, aber die sind nicht immer genau bestimmbar, da beispielsweise die Steuereinnahmen nicht präzise beziffert werden können.

Für mich stellt sich die Frage, warum man nicht einfach über den Haushalt abstimmt und dann Kredite aufnimmt, sofern und sobald es nötig wird. So einfach ist das, und deswegen verstehe ich nicht, warum man eine weitere Abstimmung braucht. Typischerweise wurde die Schuldenobergrenze in der Vergangenheit automatisch erhöht, insofern ist das nicht so kontrovers, wie es jetzt erscheint. Die Vorstellung, dass man jetzt über diese Schuldenobergrenze abstimmen soll, ist in meinen Augen verrückt.

Es gibt durchaus Meinungsverschiedenheiten, was das Ausmaß der Zahlungsunfähigkeit angeht. Was würde es konkret bedeuten, sollte die Schuldenobergrenze nicht angehoben werden?

Natürlich wäre das schlimm, aber eher aus symbolischen Gründen. Das Szenario einer Zahlungsunfähigkeit ist ja hinlänglich bekannt und die kurzfristigen Folgen wären nicht so dramatisch wie bei einer plötzlichen Krise - so wie es bei der Hypothekenkrise der Fall war. Im aktuellen Fall hat sich das Finanzsystem inzwischen auf das Szenario eingestellt.

Grundsätzlich wird die Wirtschaftskraft der USA nicht in Frage gestellt. Das Land hat den Vorteil, dass es Kredite als glaubwürdiger Schuldner aufnehmen kann. Zudem ist es ein sicherer Hafen für Anleger. Das sehen wir vor allem daran, dass die Zinsen auf US-Schulden sehr niedrig sind, trotz der aktuellen Widrigkeiten.

Dieses Vertrauen wird natürlich jetzt angeknackst sein, jedoch nicht in einem dramatischen Ausmaß, da jeder weiß, dass es kein fundamentales wirtschaftliches Problem ist, sondern eher ein politisches.

Wie wird die Geschichte ausgehen?

Ein Geier vor der US-Flagge (Foto: DW-Grafik)
Pleitegeier über den USA: Wie bedrohlich ist die Krise?

Irgendwo wird es Einschnitte geben müssen, das könnte bei den Sozialversicherungssystemen sein. Das wäre außerdem ein starkes politisches Signal. Aber irgendwann wird die Frage kommen, warum die Halter von Staatsanleihen nicht zur Kasse gebeten werden, wenn man sieht, wie alte und kranke Menschen unter der Krise leiden. Spätestens wenn diese Diskussion kommt, werden auch die Zinsen erhöht.

Dann werden die Staatsschulden sinken und das wird natürlich globale Auswirkungen auf die Bestände der Banken haben. Also wird man vermutlich den Gürtel enger schnallen müssen, und ich könnte mir gut vorstellen, dass das Nebenwirkungen für die Privatwirtschaft haben wird. Denn in erster Linie werden die Zinsen steigen, und das wird natürlich Auswirkungen auf Investitionen sowohl hier in den USA als auch im Ausland haben.

Meiner Ansicht nach wird das Wirtschaftswachstum in den USA - und damit auch in vielen europäischen Ländern aufgrund der Verflochtenheit der Banken - sinken. Der größte Gewinner dürfte China sein, da der Wert der chinesischen US-Anleihen steigen wird.

Kenneth J. Arrow ist Professor Emeritus für Wirtschaft an der Stanford Universität und bekam 1972 den Wirtschaftsnobelpreis. Er ist bis heute der jüngste Nobelpreisträger für Wirtschaft. Arrow war im Wirtschaftsrat tätig unter Präsident John F. Kennedy.

Das Interview führte Michael Knigge.
Redaktion: Sabina Casagrande/ Nicole Scherschun