1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Dramatiker Rolf Hochhuth gestorben

14. Mai 2020

Schon mit seinem Debüt sorgte Rolf Hochhuth für einen Skandal. Das Schauspiel "Der Stellvertreter" von 1963 machte ihn berühmt und umstritten. Nun ist Hochhuth mit 89 Jahren gestorben.

https://p.dw.com/p/1INuJ
Rolf Hochhuth (Foto: dapd)
Bild: dapd

Die letzten Jahre seines langen Lebens verbrachte Rolf Hochhuth in seiner Berliner Wohnung unweit von dem Holocaust-Mahnmal. Das passte irgendwie, denn ein Mahner war der bekannte Dramatiker schon immer. Ein sehr umstrittener Mahner, der ohne Scheu sagte, was er dachte.

Hochhuth hat die Aufgabe des Dramatikers immer als eine politische verstanden – und geriet deshalb regelmäßig mit Politikern und Kulturschaffenden aneinander: Die Recherchen zu seinem Theaterstück "Juristen" (1979) trugen entscheidend dazu bei, dass der ehemalige NS-Marinerichter Hans Filbinger – damals noch amtierender Ministerpräsident Baden-Württembergs – im August 1978 von seinem Amt zurücktreten musste. Hochhuth hatte ihn öffentlich einen "furchtbaren Juristen" genannt.

Schon früh legte der Dramatiker den Schwerpunkt seines Schreibens auf die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus. Geboren am 1. April 1931, erlebte er 1945 zwei Tage nach seinem Geburtstag den Einmarsch der Amerikaner in seiner Geburtsstadt Eschwege. Ein einschneidendes Erlebnis für den 14-Jährigen.

In den 1960er Jahren wurde Hochhuth zu einem der Hauptvertreter des sogenannten Dokumentartheaters. Seine Stücke arbeiten mit dokumentarischem Material, das Hochhuth in aufwendiger Recherche zusammenfügt – und mit fiktionalen Elementen mischt.

Uraufführung "Der Stellvertreter" (Foto: picture-alliance/dpa/G. O.)
Uraufführung des umstrittenen Theaterstücks "Der Stellvertreter" 1963Bild: picture-alliance/dpa/G. O. Aeckerle/Keystone Pressedienst

"Der Stellvertreter": Skandal und Weltruhm

Gleich sein erstes Schauspiel "Der Stellvertreter. Ein christliches Trauerspiel" sorgte 1963 international für Aufsehen. Die Inszenierung von Erwin Piscator löste bei ihrer Premiere im Februar 1963 in Berlin einen Skandal aus – und machte Hochhuth weltbekannt. In dem Stück stellt er die Frage nach der Mitschuld der katholischen Kirche an der Verfolgung und Ermordung der Juden durch die Nationalsozialisten. "Ein Diplomat muss manches sehen und schweigen", lässt Hochhuth Papst Pius XII. sagen. Der Dramatiker wirft dem Oberhaupt der katholischen Kirche vor, sich trotz seines Wissens über den Holocaust nicht ausreichend für die Juden eingesetzt zu haben.

Zu Helden seines Stückes macht Hochhuth den Jesuitenpater Riccardo Fontana und SS-Obersturmbannführer Kurt Gerstein. Beide versuchen, die Kurie davon zu überzeugen, die Weltöffentlichkeit über die Gräueltaten der Nazis zu informieren. Doch sie scheitern. Die Figur des Riccardo Fontana ist fiktiv, die des Kurt Gerstein teilweise authentisch: So ist zum Beispiel belegt, dass der SS-Obersturmbannführer in der Nuntiatur in Berlin vorgesprochen hat. 2002 wurde "Der Stellvertreter" vom griechisch-französischen Regisseur Costa-Gavras verfilmt (Originaltitel: "Amen"). In den Hauptrollen waren Ulrich Tukur, Mathieu Kassovitz und Ulrich Mühe zu sehen.

Filmszene aus "Der Stellvertreter" (Foto: picture-alliance/dpa/Film Concorde)
Ulrich Tukur als SS-Offizier Kurt Gerstein im Kinofilm "Der Stellvertreter"Bild: picture-alliance/dpa/Film Concorde

Störenfried und Moralapostel

In den ersten Jahrzehnten seiner Autorentätigkeit entwickelte sich Rolf Hochhuth zu einem der erfolgreichsten – und umstrittensten – deutschsprachigen Dramatiker. Von Kritikern wurde er als penetranter Besserwisser und Störenfried wahrgenommen. In seinem Essay "Der Klassenkampf ist nicht zu Ende" (1965) kritisierte er die deutsche Gesellschaft harsch – und verdeutlichte seine Überzeugung, dass Schriftsteller eine politische Funktion haben sollten. Der damalige Bundeskanzler Ludwig Erhard nannte ihn daraufhin einen "Pinscher“, der "von Tuten und Blasen keine Ahnung“ habe. Auch der bayerische Ministerpräsident und Bundesminister Franz Josef Strauß war alles andere als gut auf ihn zu sprechen. Hochhuth selbst sah sich dagegen als moralische Instanz.

Aufführung von Hochhuths 'Inselkomödie' (Foto: picture-alliance/dpa/Eventpress Herrmann)
Rolf Hochhuth schrieb auch Komödien, hier die Berliner Inszenierung seiner "Inselkomödie"Bild: picture-alliance/dpa/Eventpress Herrmann

In seinen Stücken nahm er kein Blatt vor den Mund: In "Soldaten, Nekrolog auf Genf" (1967) warf er Winston Churchill eine Mitverantwortung für die Luftangriffe der Briten auf deutsche Städte im Frühjahr 1943 vor. Seine Andeutung, Churchill habe angewiesen, den Chef der polnischen Exilregierung, Władysław Sikorski, ermorden zu lassen, sorgte beim Erscheinen des Buches für großen Unmut. Aufführungen in Großbritannien wurden verboten. Hochhuth wurde mehrfach verklagt. In dem Stück bezog sich der Autor auch auf Veröffentlichungen des umstrittenen britischen Autors David Irving. 2005 kam es zum Eklat, weil Hochhuth in einem Interview Irving vor dem Vorwurf, er leugne den Holocaust, in Schutz nahm. Die Deutsche Verlagsanstalt weigerte sich anschließend, Hochhuths Autobiografie zu veröffentlichen. Später relativierte Hochhuth seine Aussagen.

Der gesellschaftlichen Bedeutung, die man Hochhuth in den ersten Jahrzehnten seines Schaffens zusprechen konnte, konnte er später nicht mehr gerecht werden. Kritiker warfen ihm vor, dass er mit bewusst angelegten Skandalen Aufmerksamkeit erzeugen wollte.

Nun ist der große Mahner für immer verstummt.

Nikolas Fischer, Redakteur
Nikolas Fischer Reporter und Redakteur