Schwul in Moskau
13. Mai 2009Ein Hinterhof an der Hauptstraße Twerskaja, nur einen Steinwurf vom Kreml entfernt. Die "Friendly-Bar", eine der wenigen Schwulenbars in Moskau, liegt hier. Im Gegensatz zu anderen Schwulenklubs gibt es keine schwere Eisentür, die nur auf Anfrage geöffnet wird. So offen zeigt sich schwules Leben in Moskau selten.
Auch der 23-jährige Dima kommt in die "Friendly-Bar". Gewalt und Jobverlust - in der Provinz hat man es schwer, wenn man sich "outet". Deshalb ist Dima direkt nach seinem Coming-Out vor vier Jahren in die Hauptstadt gezogen. Moskau sei offener als seine Heimatstadt, sagt er. "Dort können sie dich als Schwuchtel beschimpfen oder dich zusammenschlagen. In Moskau kannst du dagegen ziemlich einfach damit leben."
Der Schwulenaktivist Nikolai Alexejew sieht das etwas anders: "Was heißt hier 'offen leben'? Es gibt einfach ein paar Klubs, die jeder kennt. Und da gehen die Schwulen hin und fühlen sich wie Könige. Überall anders haben sie Angst."
Tagsüber Schwulen-Parade, abends Eurovision Song Contest
Obwohl Homosexualität seit den 90er-Jahren nicht mehr strafbar ist, werden auch in Moskau Schwule immer noch diskriminiert. Alexejew will, dass sich das ändert, doch in den vergangenen drei Jahren sind seine Schwulen-Paraden immer von Skinheads und der Polizei auseinandergeprügelt worden. Dieses Mal, im Windschatten des Grand Prix, soll es klappen: Wenn am Samstagabend (16.05.2009) Anastasija Prichodko beim Eurovision Song Contest für Russland singt, will Alexejew tagsüber für mehr Rechte für Homosexuelle demonstrieren. Solch eine Chance würden die Schwulen und Lesben in absehbarer Zukunft nicht mehr bekommen, sagt er. "Wenn sie tagsüber die Schwulen-Parade auflösen und am selben Abend ruhig den Wettbewerb durchführen, dann fehlen mir einfach die Worte."
Dima und viele andere Schwule in Moskau können diesem politischen Aktivismus nichts abgewinnen. Sie haben sich längst an ihr verstecktes Leben gewöhnt. In der Öffentlichkeit Hand in Hand zu gehen oder sich zu küssen, findet auch Dima unanständig. Rücksicht auf die Gefühle der homophoben Mehrheit ist oberstes Gebot: "Bei der Arbeit oder in der Öffentlichkeit versuche ich, weniger schwul zu wirken. Nicht weil ich das will, sondern weil ich verstehe, dass es jemandem unangenehm sein könnte, wenn ich mich zu tuntig verhalte", erklärt er.
Party statt Demonstrationen
Die Show wird Dima wohl vor dem Fernseher verfolgen. Danach will er mit Freunden in einen der wenigen Schwulenklubs Moskaus gehen. Pop-Musik wird in Russland ohnehin über alle Generationen hinweg gehört. In den meisten Moskauer Schwulen-Klubs schmettern die Jungs auf der Tanzfläche die Lieder von Liebe und Herzschmerz auswendig mit. Kaum einer will vorher auf der Schwulenparade für seine Rechte demonstrieren.
Autor: Erik Albrecht
Redaktion: Richard Fuchs