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Burn On - wenn ständiger Stress zur Depression führt

18. April 2024

Ein hektisches Leben ohne Verschnaufpausen kann zu einem Burn On, einer chronischen Erschöpfungsdepression führen. Betroffene brechen nicht zusammen wie beim Burn Out, sondern rennen in ihrem Hamsterrad immer weiter.

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Mann im Anzug rennt mit einem Kinderwagen
Beruf, Familie, Freunde sind wichtig, aber Dauerstress ohne echte Verschnaufpausen macht krankBild: Ursula Deja / Fotolia

Viele Menschen stehen permanent unter Strom. Sie brennen für ihren Job: Das Handy ist ihr ständiger Begleiter, immer sind sie erreichbar, auch abends oder am Wochenende. Die Arbeit macht ihnen Spaß, aber es wird immer mehr. Termine hier, Probleme da. Dazu die Familie, Kinder, die Freunde - allen wollen sie gerecht werden. Auch den eigenen Ansprüchen: trotz der Hektik wollen sie noch Sport machen und Veranstaltungen besuchen.

Aber wenn jemand ständig "on fire" ist, kann das gefährlich werden. Dauerstress ohne echte Verschnaufpausen macht krank. Diese chronische Überlastung beschreibt der vergleichsweise neue Begriff "Burn On".

Was ist der Unterschied zwischen Burn Out und Burn On?

Den Begriff "Burn On" haben die Psychologen Timo Schiele und Bert te Wildt von der psychosomatischen Klinik im Kloster Dießen am Ammersee, in der Nähe von München geprägt. Sie behandeln Patientinnen und Patienten mit Burn Out-Syndrom.  

Burn Out-Symptome sind:

  • Erschöpfung 
  • verringertes Leistungsvermögen 
  • Zynismus/eine mentale Distanz zur Arbeit 

Beim Burn On sind die Symptome anders, so Timo Schiele gegenüber der DW: "Stattdessen beschrieben Betroffene eine zu enge und begeisterte Verbindung zu ihrer Arbeit, teilweise eher eine Hyper-Erregung. Daraus entstand die Beschreibung des Burn On-Syndroms."

Mann in Blauem T-Shirt fühlt Verzweiflung bei Überstunden im hellen Büro
Der permanente Stress kann Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit, Frust und auch Depressionen auslösenBild: Pond5 Images/IMAGO

Wie sind die Symptome bei Burn On?

Betroffene brennen für ihre Arbeit, aber der permanente Stress führt zu einer Daueranspannung. Viele leiden zunächst unter:

  • Nackenschmerzen
  • Rückenschmerzen
  • Kopfschmerzen
  • Zähneknirschen (Bruxismus)

Das erschöpfende Leben im Hamsterrad lässt sie verzweifeln, sie verlieren die Hoffnung auf eine Besserung, sie können sich nicht mehr recht freuen und stellen sich die Sinnfrage.

"Neben psychischen Begleit- und Folgeerkrankungen wie Depressionen, Angst- oder auch Suchterkrankungen, gehen wir auch davon aus, dass Betroffene möglicherweise vermehrt an psychosomatischen Phänomenen wie beispielsweise Bluthochdruck und dessen möglichen Folgen leiden", so Schiele. Durch Bluthochdruck steigt die Gefahr von Herzinfarkten und Schlaganfällen deutlich an.

Was sind die häufigsten Ursachen von Burn On?

Unser Alltag wird immer hektischer. Beruflicher Erfolg und gesellschaftliche Anerkennung sind von zentraler Bedeutung. Starke Konkurrenz, wirtschaftliche Krisen oder hohe Kosten können den Stress verstärken. Zahlen gibt es bislang eher zum Burn Out: Bei der Krankenkasse Pronova hatte die Zahl der Burn Out-Fälle 2023 im Vergleich zum Vorjahr um 20 Prozent zugenommen, ein Fünftel der Beschäftigten fürchtet einen Burn Out. 

Wer im hektischen Alltags nicht nur besonders viel erledigen will, sondern dies auch noch möglichst gut machen möchte, neigt besonders zum Burn On, so Schiele: "Wir gehen davon aus, dass viele Betroffene eine hohe Leistungsmotivation in sich tragen, sich eher schwer damit tun, Fehler zu machen oder Dinge nicht perfekt zu gestalten."

Betroffene glauben durch gewisse (Sach-)Zwänge nur wenig Handlungsspielräume zu haben, so Schiele. "Oftmals erleben wir aber auch Menschen, die sich selbst viele Zwänge auferlegen, zum Beispiel durch Perfektionismus."

Wie kann man Burn On behandeln?

Um dem Hamsterrad und der chronischen Daueranspannung zu entkommen, muss das Problem zunächst erkannt werden, so Schiele: "Erster Schritt einer Behandlung ist wie so oft die Bewusstwerdung eines Problems. Betroffene eines Burn Ons scheinen ja oftmals nach Außen hin noch zu funktionieren, weshalb sie häufig auf Rückmeldungen von Familienangehörigen oder anderen nahestehenden Personen angewiesen sind. Ebenfalls wichtig ist eine Besinnung auf eigene, persönliche Werte."

Gerade wenn jemand für die Arbeit brennt, neigt er im stressigen Alltag dazu, persönliche Bedürfnisse zu vernachlässigen. "Wenn das zum Dauerzustand wird, werden wir unzufriedener. Daher erscheint es wichtig, immer wieder innezuhalten und sich zu fragen – wie wichtig sind mir die Dinge, mit denen ich meinen Alltag fülle? Setze ich meine Energie in den für mich richtigen Bereichen ein? Wenn nein, gilt es etwas zu verändern und zu prüfen, welche inneren wie auch äußeren kleinen Freiräume ich mir dafür schaffen kann. Damit ist oftmals schon ein großer Schritt getan", so Schiele.

Tipps zur Entspannung

Wie kann man permanenten Stress abbauen?

Welche Art der Entspannung jemandem gut tut, hängt von den individuellen Vorlieben ab. Das können Wanderungen, Meditationen oder Yoga sein. Entscheidend ist, den Alltag zu entschleunigen und runterzukommen.

Es kann auch sinnvoll sein, sich professionelle Hilfe zu suchen, etwa durch eine ärztliche oder eine psychotherapeutische Betreuung.

Warum ist die Benennung der Erkrankung wichtig für Betroffene?

Lange galt Burn Out als Modekrankheit. Bislang sind weder Burn Out noch Burn On als eigenständige psychische Krankheiten definiert, auch wenn der gravierende Einfluss auf die Gesundheit anerkannt wird.

Die Symptome variieren sehr stark, das erschwert eine einheitliche Klassifikation nach der ICD. In dieser "International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems" hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) auch alle psychischen Erkrankungen aufgelistet.

Trotzdem sei es für Betroffene extrem wichtig, einen Begriff wie "Burn On" zu haben, der ihre Beschwerden beschreibe, so Schiele: "Sich in einem beschriebenen Phänomen wiederzufinden ist für viele Betroffene sehr entlastend und der erste Schritt zur Veränderung. Betroffene fühlen sich dadurch nicht mehr so alleine mit ihrem Problem. Sie können Hoffnung schöpfen, wenn sie erleben, dass es auch andere Menschen gibt, die darunter leiden."

 

DW Mitarbeiterportrait | Alexander Freund
Alexander Freund Wissenschaftsredakteur mit Fokus auf Archäologie, Geschichte und Gesundheit@AlexxxFreund