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Bulgarien: Anti-türkische Ressentiments auf dem Vormarsch?

20. August 2009

Die Partei der Bulgarischen Männer hat mit einer Unterschriftenaktion für Furore gesorgt. Mit ihrem Anliegen hat sie es nun auf die Tagesordnung des Parlaments geschafft.

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Aus für türkischsprachige Nachrichten gefordert

Eine kleine Partei hat in Bulgarien zu einer Protestaktion aufgerufen und es geschafft, im Parlament auf die Tagesordnung zu kommen: Schlange stehen gegen Nachrichten auf Türkisch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen.

Trotz brüllender Hitze standen die Unterzeichner Schlange. Über 12.000 Unterschriften kamen bei der Aktion in der Schwarzmeerstadt Warna binnen drei Tagen zusammen. Es geht um den Protest gegen die Ausstrahlung von Nachrichten auf Türkisch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Initiator Rossen Markow freut sich über den Erfolg. Nun will er die Listen mit den Unterschriften der Chefin des Nationalen Fernsehens zusenden. Sollten die Nachrichten auf Türkisch bis zum 10. November nicht eingestellt sein, will er das Gebäude des Senders in Sofia blockieren, so seine Drohung.

Markow hat eine Diskussion angestoßen, die auch in Hunderten von Internetforen und Blogs hitzig geführt wird. Die Gegner der türkisch-sprachigen Nachrichten argumentieren: Laut bulgarischem Mediengesetz sollen die Programme aller Hörfunk- und Fernsehsender in der offiziellen Landessprache laufen – also auf Bulgarisch. Nachrichten auf Türkisch für die rund 700.000 türkischsprachigen Bürger gibt es im Nationalen Fernsehen aber bereits seit dem Jahr 2000. Warum entbrennt die Diskussion ausgerechnet jetzt?

Missstände in Türkenpartei

Nach den Parlamentswahlen im Juli hat sich einiges geändert. Die Partei der bulgarischen Türken – die Bewegung für Rechte und Freiheiten (BRF) – ist erstmals seit acht Jahren nicht mehr in der Regierung vertreten. Viele Bulgaren sind der Meinung, dass die BRF sich nicht genügend um die Integration der Minderheit kümmert, dafür aber die Interessen einiger korrupter Parteieliten bestens bedient. Der BRF-Vorsitzende Ahmed Dogan sprach unverblümt von „Firmenkreisen”, die die Partei finanzierеn, um im Gegenzug von politischen Entscheidungen zu profitieren. Erst kurz vor der Wahl hatte er unmissverständlich zu verstehen gegeben, er sei die Person, die Macht und Gelder in Bulgarien verteile. Diese Behauptung hatte für große Empörung gesorgt und den Zulauf zur Partei des jetzigen Premiers Bojko Borissov verstärkt.

Ein Spiel mit dem Feuer?

Borissov will jetzt überprüfen, ob die Fernsehnachrichten auf Türkisch weiter ausgestrahlt werden sollen. Noch vor den Wahlen hatte er versichert, er würde keine Diskriminierung der türkischen Bevölkerung zulassen, sondern lediglich gegen korrupte BRF-Politiker vorgehen. Der bekannte bulgarische Soziologe und Anthropologe Iwajlo Ditschev hält den Zeitpunkt der Diskussion für sehr problematisch: Er sieht die Gefahr, zwei Themen zu vermischen und damit für Zündstoff zu sorgen. Zurzeit werden mehrere Vorwürfe über Misswirtschaft und Korruption in Verbindung mit den Parteieliten der BRF untersucht, erklärt Ditschev und fügt hinzu: „Sollte die Schuld vor Gericht bewiesen werden, würde das bei vielen den Eindruck erzeugen, es gäbe eine Verbindung zwischen der türkischen Bevölkerung und Kriminalität schlechthin. Daher appelliere ich an die Regierenden, einen späteren Zeitpunkt für ihren Beschluss zu wählen.”

Ablenkung von den dringlichen Problemen?

Die Tatsache, dass die türkischsprachigen Nachrichten ganz oben auf der Tagesordnung des neugewählten Parlaments rangieren, entspricht keinesfalls der Rangliste der dringlichen Aufgaben im Lande. Die Redaktion, die für die türkischsprachigen Nachrichten im Bulgarischen Fernsehen verantwortlich zeichnet, mag daher auch nicht an eine Einstellung der Sendung glauben. Redakteur Izzet Ismailow dazu: „Eine derartige Entscheidung würde nicht von der Intendanz oder vom Medienrat abhängen, sondern allein von den Regierenden. Es wäre also ein rein politischer Beschluss.”

Der neue Premier Borissov hatte übrigens erst vor wenigen Monaten mit der Behauptung geschockt, die Zwangsbulgarisierung der türkischen Namen in Bulgarien Ende der 80er Jahre sei gar nicht so falsch gewesen, sondern nur schlecht ausgeführt. Des Weiteren sei er auch nicht abgeneigt, eine Idee der nationalistischen Partei Ataka zu übernehmen und einen Gedenktag für die im Kampf gegen die osmanische Herrschaft gefallenen Bulgaren einzuführen. Immerhin will er über diesen Vorschlag erst nach einer öffentlichen Diskussion entscheiden.

Autorin: Bistra Seiler

Redaktion: Birgit Görtz