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Emittlungen in Moskau

26. November 2006

Nach dem Gifttod des Ex-Spions Litwinenko in London wächst der Druck auf Russlands Präsidenten Putin, zur Aufklärung des mutmaßlichen Verbrechens beizutragen. Britische Ermittler wollen zudem nach Moskau reisen.

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Polizeibeamte untersuchen am Freitag Litwinenkos Haus
Polizeibeamte untersuchen am Freitag Litwinenkos Haus in LondonBild: AP

Die britische Polizei hat offenbar Hinweise auf eine Verwicklung ausländischer Behörden in die Vergiftung des russischen Ex-Spions Alexander Litwinenko. Der 43-jährige Putin-Kritiker äußerte am Sterbebett den konkreten Verdacht, dass er vom russischen Geheimdienst beobachtet werde, berichtete die "Sunday Times" (26.11.2006). Zuständig für seinen Fall sei ein gewisser Viktor Kirow gewesen. Der Zeitung zufolge arbeitete bis Ende 2005 ein Mann namens Anatoli V. Kirow an der Londoner Botschaft. Die Anti-Terror-Polizei beantragte die Herausgabe des Interviewtextes für die Ermittlungen.

"Mord in staatlichem Auftrag"

Am Vortag hatte die Zeitung unter Berufung auf einen hohen Ministerialbeamten berichtet, es gebe Anzeichen für einen Mord im staatlichen Auftrag. Im Rahmen der Ermittlungen sollen diese Woche Untersuchungsbeamte nach Moskau und Rom reisen. Russische Behörden hätten Bereitschaft zur Zusammenarbeit signalisiert, berichtete die BBC. In Moskau gab es dafür keine Bestätigung.

London ersuchte in Russland offiziell um Mithilfe bei der Aufklärung des mysteriösen Todesfalls. Das höchste britische Sicherheitsgremium, das COBRA-Komitee, kam am Samstag erneut zusammen, um die Litwinenko-Affäre zu diskutieren. Außenamts-Mitarbeiter Kim Howells deutete an, dass die Ermittlungen ernsthafte diplomatische Konsequenzen haben könnte. "Wenn britische Staatsbürger in Großbritannien von Ausländern ermordet werden, schauen sie (COBRA) sehr genau hin", zitierte die "Sunday Times" Howells. Litwinenko hatte nach seiner Flucht nach Großbritannien vor sechs Jahren die britische Staatsbürgerschaft beantragt.

Atommüll und Kernwaffen

Die britische Polizei ging nach Angaben des Boulevardblatts "The Sun" davon aus, dass der Mörder am 1. November Litwinenkos Essen in der Sushi-Bar "Itsu" nahe dem Picadilly Circus vergiftete. Litwinenko hatte dort den italienischen Informanten Mario Scaramella getroffen, der ihm Unterlagen für die Recherche des Mordes an der Kreml-kritischen Journalistin Anna Politkowskaja übergab. Der Geheimdienst- und Nuklearexperte, der laut "Mail on Sunday" auf die Suche nach Atommüll und ausrangierten Kernwaffen aus der Sowjetzeit spezialisiert ist, bestreitet eine Verwicklung in die Tat und bot der Polizei seine Mitarbeit an.

Nach Scaramella traf der ehemalige Agent zwei Landsleute in einer Hotel-Bar, in der ebenfalls Spuren von radioaktivem Polonium 210 gefunden wurden, die auch in Litwinenkos Körper nachgewiesen wurden. Die Gesundheitsbehörden riefen alle Gäste der beiden Orte auf, sich untersuchen zu lassen. Im Laufe des Wochenendes meldeten sich gut hundert besorgte Anrufer über eine Hotline, die nun zum Urintest gebeten werden sollen. Die Wahrscheinlichkeit für eine Gesundheitsgefährdung sei allerdings gering, hieß es. Litwinenkos Frau wurde einem Zeitungsbericht zufolge negativ auf Polonium getestet.

Zweifel Mordbefehl-Theorie

Nach einem Bericht von "The Independent on Sunday" geht die Polizei auch der Theorie nach, dass Litwineko sich selbst radioaktiv verseucht haben könnte, um Putin zu diskreditieren. Litwinenko hatte Putin in einem Abschiedsbrief direkt beschuldigt. Der frühere Agent des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB wurde nach seinem Ausstieg zu einem erbitterten Gegner des russischen Staatschefs.

Der russische Regimekritiker Andrej Nekrasow, der bis zuletzt am Sterbebett Litwinenkos ausharrte, glaubt nach eigenen Worten nicht an einen Mordbefehl von Putin. Der Giftanschlag sei nach seiner Überzeugung das Werk "eines außer Kontrolle geratenen und extrem nationalistischen Geheimdienstes", sagte Nekrasow am Wochenende in einem dpa-Gespräch. Insofern könne er der Abschiedserklärung seines Freundes, in der dieser Putin direkt für den Anschlag verantwortlich gemacht hatte, nicht vollständig zustimmen, sagte Nekrasow.

Auch der ehemalige Chef des Bundesnachrichtendienstes Heribert Hellenbroich glaubt nicht, dass der russische Geheimdienst hinter dem Anschlag steckt. Die Art, wie Litwinenko mit dem Strahlungsgift umgebracht worden sei, "ist ungewöhnlich auffällig und passt in keiner Weise zu einem professionellen Geheimdienst", sagte er der "Bild am Sonntag". "Mir scheint, da ist etwas bewusst inszeniert worden." (stu)