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Bildergeschichten: Das geht unter die Haut

Tillmann Bendikowski22. Juli 2013

Wir stellen jede Woche ein Bild vor und erzählen seine Geschichte. Diesmal gehen wir zurück in das Jahr 1959: In Hamburg wird ein Mann tätowiert.

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Tätowierstube in Hamburg 1959Bild: Ullstein

Das ist Hamburg, das ist die gute alte Zeit: In der Hafenstadt blüht die Kunst des Tätowierens, und dieser Mann (von dem wir es nicht wissen, von dem wir aber gerne glauben wollen, dass er ein Seemann ist) lässt sich wacker eine Blume in den Unterarm stechen. Der Tätowierer ist ein honoriger Mann mit Schlips und jahrzehntelanger Erfahrung, auf die er sichtbar stolz ist. Aber das Klischee täuscht eben auch in diesem Fall ein wenig: Tätowierungen sind zu diesem Zeitpunkt schon lange nicht mehr nur die Liebe der Matrosen, und gestochen wurden sie schon immer von viel wilderen Gestalten.

Die Kunst der Hautverzierung brachten einst die Seefahrer als Andenken von ihren Südseefahrten mit nach Europa. Und die exotisch anmutenden Zeichnungen faszinierten bald nicht nur andere Matrosen: Im 19. Jahrhundert verfiel auch die feine Gesellschaft ihrem Reiz. 1897 empörte sich der Arzt Rudolph von Virchow darüber, dass sogar Damen von Stand bei birmanischen Tätowierern Schlage stünden, um sich befremdliche Zeichen in die Haut ritzen zu lassen. "Sich so 'verzieren' zu lassen", stöhnte Virchow, sei längst "eine Art epidemischer Manie".

Auch im europäischen Adel wurde das Tattoo chic: Männer und Frauen aus nahezu allen europäischen Fürstenhäusern trugen es – der König von Griechenland, Prinz Heinrich von Preußen sowie die meisten Mitglieder des englischen Königshauses. So ließ sich auch die legendäre Kaiserin Sissi einen Anker auf die Schulter stechen, und der 1914 in Sarajewo ermordete österreichische Thronfolger Franz Ferdinand trug jene Schlange auf der rechten Hüfte, die in Ägypten als Schutzsymbol galt – ihm aber beim Attentat bekanntlich nicht helfen konnte.

Heute ist das Tattoo längst zu einer Massenware geworden, ein Jahrmarkt der Möglichkeiten, der meistens keine Attraktionen, sondern nur noch kurze Hingucker bietet. Das Magazin der Wochenzeitung "Die Zeit" lässt zum Beispiel sein bürgerliches Publikum wöchentlich raten, welchem Fußballer, Fernseh-Sternchen oder Musiker wohl das gezeigte Tattoo gehört. Bei so viel Rätselspaß rund um das gestochene Zeichen sei allerdings daran erinnert, dass Tätowierungen auch immer Mittel von Ausgrenzung und Verfolgung sein konnten, in ihrer schlimmsten Spielart in Form von Häftlingsnummern auf den Armen von KZ-Häftlingen. Sie waren keine Verzierung – sie waren Todesurteile, gestochen von Mördern.