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Berlin oder Breslau?

20. Juni 2002

- Debatte über Vertriebenenzentrum dauert an

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Danzig, 13.6.2002 TYGODNIK SOLIDARNOSC poln., Teresa Kuczynska

Die große Kampagne, die die "Gazeta Wyborcza" zugunsten der Errichtung eines Vertriebenenzentrums nicht in Berlin, wie die Initiatoren vorschlagen, sondern in Wroclaw (Breslau - MD) ins Rollen gebracht hat, hat die Polen in Verwunderung versetzt. Obwohl sie bereits daran gewöhnt sind, dass man im Ausland Popularität und Wohlwollen auf Kosten polnischer Interessen gewinnt.

Warum aber möchten Adam Michnik und Adam Krzeminski, Publizist der deutschen linken Presse und Kommentator der Zeitschrift "Polityka" und gleichzeitig bekannter Lobbyist Deutschlands in Polen, der seit Jahren vom deutschen Innenministerium bezahlt wird (...) und seit Jahren in der deutschen Presse lügenhafte und verleumderische Artikel über Polen veröffentlicht, dass das Zentrum gerade in Wroclaw und nicht in Berlin entsteht?

Nach der Vorstellung von Erika Steinbach, der Vorsitzenden des Bundesverbandes der Vertriebenen, die vor zwei Jahren publik gemacht wurde, soll in Berlin ein Zentrum für die Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost- und Mitteleuropa und vor allem aus Polen nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet werden. So nebenbei könnten dort auch andere Aussiedlungen dokumentiert werden, die es im 20. Jahrhundert in Europa gegeben hat. (Hierbei taucht ein terminologisches Problem auf, denn die Deutschen bezeichnen sie, um ihre schrecklichen Erlebnisse bei der Aussiedlung zu betonen, als "Vertreibung", während die, die sie an anderen Völkern vorgenommen haben, als Aussiedlung oder Umsiedlung bezeichnet werden).

Vor einigen Monaten stellte der SPD-Abgeordnete im Bundestag und letzte Innenminister der ehemaligen DDR, Markus Meckel, der für die polnisch-deutsche Zusammenarbeit zuständig ist, die Idee in den Raum, dieses Zentrum nicht in Berlin, sondern in Wroclaw zu errichten. Er tat dies ohne zu fragen, ob die polnische Regierung damit einverstanden ist. Er dachte sich für Wroclaw diese Rolle aus. Wroclaw ist seiner Meinung nach der ideale Ort dafür, da sich hier das Schicksal der Deutschen, die aus den ehemaligen deutschen Gebieten vertrieben wurden, mit dem Schicksal der Polen kreuzt, die aus den ehemaligen polnischen Gebieten umgesiedelt wurden.

Die deutschen Politiker sind im Großen und Ganzen mit der Gründung eines solchen Zentrums zwar einverstanden, sind sich jedoch nicht einig darüber, wo dieses Zentrum entstehen soll. Sie tendieren zu Berlin, da es sich dabei um eine deutsche Angelegenheit handelt. (...)

Einige Tage vor dieser Debatte im Bundestag ernannte plötzlich die Zeitung "Gazeta Wyborcza" Joschka Fischer zum "Menschen des Jahres". Einen Menschen, der in dieser Zeit keine besondere Verdienste vorzuweisen hatte und in der Vergangenheit ein gefährlicher Terrorist war. Zwei Tage vor der Bundestagsdebatte über die Gründung des Vertriebenenzentrums schrieben Adam Michnik und Andrzej Krzeminski einen Brief an den deutschen Kanzler Schröder mit der Bitte um Unterstützung der Idee, das Zentrum nicht in Berlin, sondern in Wroclaw zu errichten.

Wenn man die Ansichten der beiden Publizistin kennt, ist es auch nicht verwunderlich, dass sie in der Begründung ihrer Bitte über die Tragödie der Deutschen schreiben, die von den Polen vertrieben wurden und mit keinem Wort die Tragödie der Polen erwähnen, die von den Deutschen aus Wielkopolska (Großpolen - MD), Pomorze oder Zamojszczyzna vertrieben wurden. Sie schreiben aber auch nichts über die Tragödie der mehreren Tausend Warschauer, die aus ihrer Stadt 1944 vertrieben wurden.

In dem Brief der beiden Herren ist aber zu lesen: "Wir Polen, die heute in Wroclaw wohnen, werden solange Gäste in unseren eigenen Häusern sein, solange wir die Vergangenheit derer nicht kennen gelernt haben, die frührer in diesen Häusern wohnten." Dabei handelt es sich jedoch lediglich um die Vergangenheit der deutschen Stadt Breslau nach dem Kriege und um die Vertreibung der Deutschen. Die heutigen Bewohner von Wroclaw sollten jedoch die Geschichte nicht nur fragmentarisch kennen. Sie sollten auch die Kriegsvergangenheit dieser Stadt kennen lernen und wissen, in welcher Weise sie sich an den Kriegsverbrechen beteiligte.

Ein besseres Gegenangebot für die Deutschen wäre daher beispielsweise die Idee, vielleicht in München, der Wiege des Nationalsozialismus, ein Dokumentationszentrum über die deutschen Konzentrationslager zu gründen. (...)

Die Deutschen sind jedoch die Erinnerungen an die Kriegsgräuel, die ihnen selbst zuzuschreiben sind, bereits leid. Sie entwickeln einen Schutzmechanismus, der zu einer Neubewertung der Geschichte führt: In Deutschland - und inzwischen auch in anderen Ländern - wird nicht mehr über deutsche Gräueltaten gesprochen, sondern über irgendwelche mythischen Naziverbrecher ohne nationale Zugehörigkeit. Es stellt sich sogar heraus, dass die größten Opfer des Naziterrors während des Krieges die Deutschen selbst waren. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren sie dann Opfer der Roten Armee, die ihre Frauen vergewaltigte, und der Polen, die sie aus ihren Häusern vertrieben. Und dieses Bild der damaligen Geschichte herrscht heute in der Vorstellung der Deutschen vor. Auch derjenigen, die Zeugen oder Täter einer ganz anderen Geschichte waren.

Die Erinnerung an ehemalige deutsche Konzentrationslager wird durch die neue Literatur verwischt, die sie als russische oder polnische Lager beschreibt, in denen unschuldige Deutsche in Massen eingesperrt und ermordet wurden, vor allem Frauen und Kinder. Auf dem Gebiet dieser Konzentrationslager, beispielsweise in Sachsenhausen oder in Buchenwald errichtete Museen illustrieren diese Version der Geschichte. Allein in den letzten Jahren wurden in Deutschland viele solche Museen eröffnet und viele Denkmäler enthüllt, die das Leid der Deutschen verewigen.

In dieser Geschichtsversion gibt es jedoch eine Ausnahme: Unter dem Druck jüdischer Organisationen in der ganzen Welt errichteten die Deutschen in Berlin für 120 Millionen Mark ein Jüdisches Museum und im Herzen Berlins entsteht ein Mega-Holocaust-Denkmal. Es wird das dominierende Element der deutschen Hauptstadt werden. Es wird ein Denkmal nur für jüdische Opfer sein, obwohl ein Teil der Deutschen wollte, dass es allen Opfern gewidmet wird, die unter den Deutschen gelitten haben. Die Juden haben das aber nicht zugelassen.

Und hier kommen wir – auch wenn es etwas sonderbar scheint - zum Kern der Forderungen von Minister Meckel und einer gewissen Gruppe von Polen, das Zentrum nicht in Berlin, sondern in Wroclaw zu errichten. Die ganze Neudeutung der Geschichte, deren Zeugen wir sind, hat das Ziel, das folgende Bild des Zweiten Weltkrieges zu vermitteln: In dieser Zeit hat es zwei große Verbrechen gegeben und nichts weiter. Das eine war der Juden-Holocaust, für den irgendwelche Nazis ohne nationale Zugehörigkeit verantwortlich sind und an dem Polen mitmachten - hier wird die Nationalität bereits deutlich genannt. Das zweite Verbrechen war die Vertreibung der Deutschen durch die Polen. Das erste Bild des Krieges soll dem Aufbau einer neuen jüdischen Religion unter dem Namen "Holocaust" dienen, die das verschwindende Bindeelement der jüdischen Nation, den der Judaismus darstellte, ersetzen soll. Die Kathedrale dieser Religion soll das monumentale Holocaust-Denkmal in Berlin werden, einer Stadt, die dank der Masseneinwanderung aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion dabei ist, größte jüdische Kolonie in Europa zu werden oder dies sogar bereits ist.

Dieses Vorhaben stört jedoch die Vorstellung von Erika Steinbach, das Vertriebenenzentrum in Berlin zu gründen. Es würde die Botschaft und die Besonderheit der Verbrechen an den Juden verwischen, die das Jüdische Museum und das Holocaust-Denkmal vermitteln. Solche Kommentare waren zumindest aus jüdischen Kreisen in Europa und Amerika zu vernehmen, nachdem die Idee, das Vertriebenenzentrum in Berlin entstehen zu lassen bekannt gegeben worden war. (...)

Die Idee, das Vertriebenenzentrum in Wroclaw zu errichten, führt zu unnötigen Reibungen zwischen Polen und Deutschen. Sollte die Wahl auf Wroclaw fallen, wäre ständige Kontroversen um Prioritäten und Darstellung unvermeidlich. Es ist offensichtlich, dass diejenigen dabei siegen würden, die mehr Geld zur Verfügung haben, insbesondere für die Entlohnung Geschichtssachverständiger. Beispielsweise von Professor Wlodzimierz Borodziej, den Adam Michnik zur Begründung seiner Idee, das Vertriebenenzentrum in Wroclaw zu errichten engagiert hat. Barodziej ist nicht nur Professor an der Warschauer Universität tätig, sondern - wie er selbst zugegeben hat - seit Jahren auch am Deutschen Historischen Institut. In jeder polnisch- deutschen Angelegenheit vertritt er beharrlich den deutschen Standpunkt.

Die unvermeidlichen Auseinandersetzungen über das Vertriebenenzentrum würden all die Mühen der professionellen Versöhner, die die Deutschen so viel gekostet haben, zunichte machen. Im Interesse einer Gruppe, die von Michnik und Krzeminski vertreten wird, werden die polnisch-deutschen Beziehungen unnötig gereizt. Es gibt nämlich Äußerungen, bei denen man nicht ruhig bleiben kann: Peter Glotz, Publizist der deutschen Zeitung "Die Welt", schreibt in seinem Kommentar zur Initiative der "Gazeta Wyborcza", die Polen fordern, ein Zentrum gegen Vertreibungen in Breslau zu errichten. Entschuldigung: Welche Polen fordern dies? Es handelt sich hierbei um zwei Herren, die irgendein Geschäft für ihre Gruppe erledigen wollen. Die Polen berührt diese Initiative eher unangenehm. (...)

Zum Glück überwiegen in Deutschland Kommentare, in denen die Idee, die Polen mit Gewalt mit einem Vertriebenenzentrum in Wroclaw zu beglücken, das von den Deutschen oder einer internationalen Behörde der Vertriebenen gegründet werden soll, wie es einige Herren wünschen, die auf Kosten der guten polnisch-deutschen Beziehungen eigene Interessen vertreten, nicht befürwortet wird. (Sta)