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Politik

Bayern erleichtert die Überwachung

Heiner Kiesel
16. Mai 2018

Gegen den Widerstand großer Teile der Bevölkerung hat die Bayerische Staatsregierung die Aufgaben der Polizei erweitert. Eine besondere Rolle spielt der Begriff der "drohenden Gefahr".

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Bayern Polizist Uniform Wappen
Bild: picture-alliance/dpa/A. Weigel

Der Widerstand ist in den vergangenen Monaten stetig gewachsen. Zuerst in Regensburg, zuletzt überall in Bayern gingen die Bürger auf die Straße, um gegen das neue "Polizeiaufgabengesetz", kurz PAG, zu protestieren. In der vergangenen Woche machten  Zehntausende gegen das Gesetz  der regierenden CSU (Christlich-Soziale Union) mobil: 30.000 waren es allein in der Münchner Innenstadt - so etwas gab es schon lange nicht mehr. Das Gesetz polarisiert die Menschen in dem südlichen Bundesland. Das ist auch Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) bewusst. Aber er wirft der Opposition "Lügenpropaganda" vor, die "wohl auch manch unbedarfte Menschen in die Irre geführt" habe. Dass das Gesetz im Bayerischen Landtag scheitert, musste er trotzdem nicht befürchten - seine Partei verfügt über eine sichere Mehrheit - 89 der insgesamt 180 Abgeordneten stimmten am Dienstagabend dafür, 67 dagegen.

Der Innenminister gibt sich davon überzeugt, dass sein Gesetz das Leben sicherer macht: "Die Menschen in Bayern sollen weiterhin frei und sicher leben - das bezweckt das neue Gesetz", unterstreicht Herrmann.

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann verteidigt seine GesetzesnovelleBild: Imago/M. Popow

Er will das erreichen, indem er den Handlungsspielraum der Polizei spürbar erweitert. Bayern übertrifft dabei ähnliche Gesetzesreformen in anderen Bundesländern. Die Polizei muss jetzt nicht mehr durch eine "konkrete" Gefahr begründen, dass sie Überwachungsmaßnahmen ergreift, sondern kann sich auf eine "drohende" Gefahr berufen. Jetzt kann die Polizei also früher tätig werden, wenn sie den Eindruck hat, dass bedeutende Rechtsgüter gefährdet sein könnten. Das kann zum Beispiel Angriffe auf Leib und Leben, besondere Immobilien oder kritische Infrastrukturen betreffen. Wenn ein Richter zustimmt, sind auch das Abhören von Telefonen oder Trojaner-Angriffe auf Privat-Computer erlaubt.

Problembegriff  "drohende Gefahr"

Die Formulierung von der drohenden Gefahr steht mehrfach im Gesetzestext. Die Staatsregierung findet ihn angemessen, weil er auch in einer Urteilsbegründung des Bundesverfassungsgerichtes vorkommt, in der es um das neue Gesetz über die Arbeit des Bundeskriminalamtes geht.Für die Kritiker bleibt es ein vager Begriff, der den Sicherheitskräften nahezu anlasslose Überwachung erlaube: "Die Verfassungsrichter haben diesen Begriff nur im Zusammenhang mit dem Schutz überragender Rechtsgüter bei der Terrorabwehr gebraucht", gibt Katharina Schulze, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bayerischen Landtag, zu bedenken. Jetzt würde der Begriff ins allgemeine Polizeirecht übertragen und damit seien alle Bürger betroffen.

Experten sprechen von insgesamt 39 zusätzlichen Eingriffsmöglichkeiten nur durch diesen neuen Begriff. Auch Briefe und Pakete dürfen aufgrund dieser unbestimmten Bedrohungsannahme konfisziert werden. Das Gesetz erweitert daneben die Palette der Maßnahmen, die ergriffen werden können. Künftig darf die Polizei eine "erweiterte DNA" für ihre Ermittlungen benutzen - also durch Erbgutinformationen vom Tatort Rückschlüsse auf Herkunft, Haar- und Augenfarbe ziehen. Bereits bei der erkennungsdienstlichen Bearbeitung einer Person sollen DNA-Tests weiterhelfen. Das Gesetz erlaubt darüber hinaus auch den Polizisten, dauernd mit Bodycams zu filmen - Videokameras, die an der Uniform befestigt werden.

Deutschland Demonstration gegen das neue bayerische Polizeiaufgabengesetz
Zehntausenden demonstrieren in München gegen das neue PolizeiaufgabengesetzBild: picture-alliance/dpa/F. Hörhager

Die Verteidiger des Gesetzes können darauf verweisen, dass nun in mehr Fällen als früher Richter herangezogen werden müssen, um eine Maßnahme zu erlauben.

PAG-Kritiker verstummen nicht

Obwohl das vielen Bürgern in Bayern zu weit geht, hat die Staatsregierung davon abgesehen, das Gesetz noch einmal zu überarbeiten. Und das sorgt für neuen Ärger. Selbst die Gewerkschaft der Polizei (GdP) ist nicht glücklich mit den neuen Möglichkeiten für die Beamten. Das Gesetz habe nicht genügend Akzeptanz in der Bevölkerung, sorgt sich der Bundesvorsitzende der GdP, Oliver Malchow: "Das macht es sehr schwer, solche neuen Regeln anzuwenden, weil nämlich das Vertrauen in die Polizei schwindet", gibt Malchow in einem Interview mit der ARD zu bedenken.

Landespolitikerin Schulze von den Grünen wundert sich, dass die Polizei in einem Bundesland, das eine der niedrigsten Kriminalitätsraten in Deutschland aufweist, immer mehr Befugnisse erhält und wirft der Regierungspartei CSU vor: "Sie tun dies vor allem, weil sie sich Vorteile im Wahlkampf versprechen!" 

Notwendig geworden ist eine Reform des PAG zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht durch den bayerischen Landtagswahlkampf, sondern weil alle Bundesländer ihre Gesetze an die neuen Datenschutzrichtlinie der EU anpassen müssen. Aber es passt in die Wahlkampftaktik der Christsozialen. Denn tatsächlich herrscht entgegen des Trends in den Kriminalstatistiken im Freistaat bei vielen Bürgern ein Gefühl wachsender Bedrohung. Es wird genährt durch den internationalen Terrorismus und Ängste, die um die vielen muslimischen Zuwanderer in Deutschland kreisen. Diese Besorgnisse hat sich in der jüngeren Vergangenheit vor allem die populistische AfD (Alternative für Deutschland) zunutze machen können. Diesem politischen Mitbewerber begegnet die CSU seit einigen Wochen mit einer Offensive in der Sicherheitspolitik.