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Bauern in Not

Martin Schrader23. Juli 2003

Wegen der seit Wochen anhaltenden Hitze werden Europas Landwirte 2003 voraussichtlich ein Drittel weniger Ernte einfahren als im Vorjahr. Wie gefährdet sind die landwirtschaftlichen Betriebe?

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Winterweizen wird wegen der Hitze zwei Wochen früher als gewöhnlich geerntetBild: AP Photo/Matthias Rietschel

Italien, Österreich, Ungarn, Serbien, Frankreich, Deutschland – allerorten klagen Bauern über die Hitze. In Italien hat der Regenmangel den Pegel des sonst mächtigen Flusses Po sechs Meter unter den mittleren Wasserstand absacken lassen. Wasserstationen für die Landwirtschaft pumpen dort nur noch warme Luft auf die Felder und Futterwiesen. Auf ihnen weiden sonst die Kühe und Rinder, aus denen Italiens Bauern ihren Parma-Schinken und den berühmten Parmesan-Käse gewinnen. Nun jedoch haben Temperaturen von mehr als fünfzig Grad Celsius das vormals fruchtbare Ackerland in harte, rissige Erde verwandelt.

Ausnahmezustand

Trockener Boden in Südbaden
Trotz Niederschlaegen in Südbaden und leichter Abkühlung ist der Boden auf einem Sonnenblumenfeld im Zartener Becken in der Nähe von Freiburg am Dienstag, 22. Juli 2003, ausgetrocknet und stellenweise aufgerissen. Das extreme Wetter der letzten Wochen hat die Böden und Blätter ausgedörrtBild: AP

Ähnlich schlimm sieht es in anderen Ländern aus. In Serbien wird die schlechteste Weizenernte seit gut 50 Jahren erwartet. Sie werde nur etwa 1,5 Millionen Tonnen betragen, rund ein Drittel weniger als 2002, gab die Wirtschaftskammer Serbiens in Belgrad bekannt. Einige Bauernverbände und politische Parteien verlangen deshalb die Ausrufung des Ausnahmezustandes in der Landwirtschaft.

In Deutschland sind vor allem die landwirtschaftlichen Betriebe in den östlichen Bundesländern betroffen. Nach Angaben des Deutschen Wetterdienstes fielen im Juni 2003 in der Region Dresden nur 22,4 Millimeter Regen pro Quadratmeter. Das war halb so viel wie im gleichen Monat des Vorjahres. Rund um Potsdam gab es ein Drittel weniger Regen.

Verbandsforderungen

Bauernpräsident Gerd Sonnleitner Bauerntag
Bauernpraesident Gerd Sonnleitner kritisiert die Agrarpolitik der Bundesregierung und die Einkommensverluste fuer die deutschen Bauern durch die in Bruessel beschlossene Reform der EU-Agrarpolitik und die Kuerzung von Subventionen bei einer Grosskundgebung des Deutschen Bauerntags in Freiburg am Freitag, 4. Juli 2003. .( AP Photo/Winfried Rothermel)Bild: AP

Diese Krise hat Gerd Sonnleitner (Foto), Verbands-Chef der 400.000 deutschen Landwirte, aufs Feld gerufen. Wegen der andauernden Trockenheit befürchtet der Deutsche Bauernverband (DBV) allein bei der Getreideernte in Deutschland einen Schaden bis zu einer Milliarde Euro. Rund 3,5 Millionen Hektar von insgesamt 12 Millionen Hektar Getreideflächen seien in unterschiedlichem Maß von der Dürre betroffen, so der DBV-Präsident. Hilfe der Bundesregierung sei deshalb nötig.

Angesichts solcher SOS-Signale, die in anderen Ländern der Europäischen Union (EU) wohl ähnlich erklangen, fordern die Landwirtschaftsminister Deutschlands, Frankreichs, Italiens und Österreichs Rückendeckung der EU. Denn nur mit Erlaubnis der Europäischen Kommission dürfen die Regierungen der einzelnen Länder ihren Landwirten weitere Subventionen zufließen lassen.

Zurückhaltung

Renate Künast mit Bio Wurst
In eine "Bioland"-Currywurst beisst die Ministerin fuer Verbraucherschutz Renate Kuenast am Mittwoch, 21. Mai 2003, auf dem Berliner Wittenbergplatz. Kuenast eroeffnete die Imbissbude, die ausschliesslich Produkte aus oekologischer Herstellung anbietet. (AP Photo/Jockel Finck)Bild: AP

Völlig offen ist dabei, welches Ausmaß mögliche Nothilfen für die landwirtschaftlichen Betriebe annehmen werden. Die vom Bauernverband ins Spiel gebrachte eine Milliarde Euro an Ernte-Schäden nannte die deutsche Landwirtschaftsministerin Renate Künast "sehr hochgegriffen". Es könne nicht darum gehen, komplette Ernte-Ausfälle zu ersetzen.

Auch der Vorsitzende des Landwirtschaftsausschusses im Europaparlament, Friedrich Wilhelm zu Graefe (Grüne) zeigte sich zurückhaltend. Im Interview mit der Deutschen Welle sagte er: "Ich habe schon trockenere Jahre erlebt. Man kann nicht alle Ausfälle, die einmal eintreten, dem Staat aufbürden."

Ohnehin müssen nach den Worten von Frau Künast genauere Ernte-Ergebnisse abgewartet werden, bevor mögliche Finanz-Spritzen beschlossen werden können. Diese liegen frühestens in zwei Wochen vor.

Subventionspraxis

Sollten die Bauern trotz dieser Krise keine Hilfe aus Brüssel oder von ihren Regierungen erhalten, dann wäre dies sicherlich eine Folge des mitunter unschönen Rufs dieser stark subventionierten Branche. Das weiß auch Sonnleitner. Wie er einmal in einem Zeitungsartikel schrieb, haben viele Menschen das Bild von einer romantischen und idyllischen Landwirtschaft verloren. Sie sehen in ihr nur noch eine kommerzialisierte Industrie mit Massenproduktion, bei der Gewinnopitimierung wichtiger ist als Qualität und die Gesundheit der Verbraucher. Zudem erhalten die Landwirte mit knapp 45 Milliarden Euro bereits die höchsten Subventionen in der EU - sie machen etwa die Hälfte des gesamten Etats aus.

Sind Sonderzahlungen an Landwirte vor diesem Hintergrund gerechtfertigt, dürften sich Politiker in Brüssel, Berlin und anderswo fragen. Weiteres Geld aus der Kasse der Steuerzahler könnten für die Kritiker dieser Subventionspraxis ein gefundes Fressen sein und den Druck auf die Landwirtschaftsminister erhöhen.