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Politik

Asylpaket II: Albträume und Abschiebungen

Naomi Conrad
17. März 2017

Asylverfahren beschleunigen, Abschiebungen forcieren - dieses Ziel verfolgte die Regierung vor einem Jahr mit ihrem Gesetzespaket. Betroffene wie den Syrer Khaled stellt das vor schwierige Entscheidungen.

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Mittelmeer - Flüchtlinge - Boot
Bild: picture-alliance/NurPhoto/A. Masiello

Am liebsten, sagt Khaled, würde er die vier Monate aus seinem Leben löschen: Die Albträume und die nagende Angst, die unzähligen schlaflosen Nächte, einfach alles. In dieser Zeit, Ende 2016, war der Syrer am Ende seiner Kräfte, konnte sich kaum auf seine Arbeit als Ingenieur konzentrieren. "Ich wäre fast verrückt geworden", erinnert sich der 27-Jährige, der lieber nur seinen Vornamen nennen will.

Seine Worte überschlagen sich, er holt kaum Atem, wenn er davon erzählt: Wie seine Frau sich aus Syrien auf den illegalen Weg nach Europa machte - wie so viele andere auch. Ein Weg, der aus kleinen Booten auf dem weiten Meer, skrupellosen Schleusern und immer mehr geschlossenen Grenzen und Zäunen besteht. Viele überleben diese Reise nicht.

Khaled und seine Frau kannten die Gefahr, aber sie hatten keine andere Wahl, sagt er: "Es gab keine andere Lösung." Das wusste er sofort, als er den Bescheid der Behörden erhielt, dass er nur subsidiären Schutz erhält. Er war aus Syrien geflohen, so berichtet er, nachdem er gegen das Regime von Präsident Assad demonstriert hatte und mehrfach inhaftiert worden war.

Pro Asyl nennt das Aslypaket II "problematisch"

Eingeschränkten subsidiären Schutz erhalten Menschen, die nach Einschätzung der Behörden keiner individuellen Verfolgungsgefahr ausgesetzt sind, aber aufgrund der aktuellen Lage in ihrem Heimatland trotzdem nicht dorthin zurückgeschickt werden dürfen. Wer diesen Status erhält, der darf zwei Jahre lang seine Familie nicht nach Deutschland nachholen. Oft kann es sogar noch länger dauern, bis Angehörige tatsächlich nachgeholt werden können.

Ungarn Flüchtlinge in dern Nähe von Röszke
Sommer 2015: Flüchtlinge auf der BalkanrouteBild: picture-alliance/dpa/MTI/S. Ujvari

Das ist nur eine der Regelungen, mit denen die Bundesregierung vor einem Jahr das Asylrecht verschärfen und beschleunigen wollte, zusammengefasst im "Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren" - kurz "Asylpaket II" -, das am 17. März 2016 in Kraft getreten ist. Ein Gesetz, das Bernd Mesovic, Leiter der Rechtsabteilung der Flüchtlingsorganisation Pro Asyl, "problematisch" nennt. Man versuche, die Verfahrungsbeschleunigung "mit allen Mitteln" zu erreichen, kritisiert er.

Die Regierung hatte mit dem Maßnahmenpaket auf eine Ausnahmesituation reagiert: Im Jahr 2015 kamen insgesamt rund 890.000 Menschen nach Deutschland, die auf Asyl hofften. Im September ließ Kanzlerin Angela Merkel Tausende auf der Balkanroute gestrandete Flüchtlinge nach Deutschland weiterreisen.

Seit dem chaotischen Sommer und Herbst 2015, als Hunderte täglich die Bahnhöfe in Süddeutschland erreichten und das allmählich einsetzende Unbehagen mancher Deutscher letztlich auch der fremdenfeindlichen AfD Aufwind gab, wird die deutsche Asylpolitik immer restriktiver. Immer mehr abgelehnte Asylbewerber werden abgeschoben. Den Aufschlag dafür machte die Regierung Anfang 2016 mit dem Asylpaket II. Kurz darauf folgte der umstrittene Flüchtlingsdeal zwischen der Europäischen Union und der Türkei.

Vermehrte Abschiebungen, schnellere Entscheidungen

Seitdem haben die Behörden nach eigenen Angaben die Verfahrensdauer für Neuanträge stark verkürzt und auch die Zahl der Asylentscheidungen massiv steigern können: Anträge von Asylbewerbern aus "sicheren Herkunftsstaaten" werden im Schnellverfahren in speziellen Einrichtungen beschlossen. Als "sicher" gelten Staaten, von denen angenommen wird, dass es dort keine politische Verfolgung oder Menschenrechtsverletzungen gibt. Doch die Einstufung, die letztlich Asylanträge und im zweiten Schritt auch Abschiebungen beschleunigen soll, ist höchst umstritten. Das Vorhaben der Regierung, neben den Balkanstaaten auch Marokko, Algerien und Tunesien als "sicher" einzustufen, scheiterte vergangene Woche (vorerst) am Widerstand des Bundesrates.

Bereits jetzt werden vermehrt Menschen nach Afghanistan abgeschoben, eine Praxis, die Pro Asyl und andere Flüchtlingsorganisationen vehement kritisieren.

"Nur hoffen, dass es ihnen gut geht"

Mit dem Asylpaket II wurden auch Abschiebungen von kranken Menschen erleichtert, sagen Kritiker. "Die Lage wird immer schlimmer", beobachtet Bernd Mesovic von Pro Asyl. So enthielten ärztliche Atteste oft den Hinweis, dass Menschen in ihrem Heimatland weiterbehandelt werden könnten: "Das hat mit der Realität vor Ort gar nichts zu tun." Er kritisiert auch, dass posttraumatische Belastungsstörungen nicht mehr als schwerwiegende Erkrankung angesehen würden.

Doch besonders "bitter" nennt er die Behinderung des Familiennachzugs bei vielen Menschen: "Das ist eine ganz schlimme und für uns recht schwer vorstellbare Belastung."

Das weiß Khaled nur allzu gut: Seine Eltern leben noch immer in Syrien. Er könne "nur hoffen, dass es ihnen gut geht", mehr könne er nicht für sie tun. Meistens aber versucht er, nicht an sie und nicht an Syrien zu denken: "Sonst macht mich das ganz verrückt." Denn nach Deutschland nachholen kann er sie vorerst nicht.