1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

1000 Beamte gegen zwei Dutzend Salafisten

Matthias von Hellfeld14. Juni 2012

Deutsche Sicherheitsbehörden sind am Donnerstag in sieben Bundesländern mit Razzien gegen Salafisten vorgegangen. Der Innenminister hat ein erstes Vereinsverbot erlassen. Weitere Verbotsverfahren sollen folgen.

https://p.dw.com/p/15EXn
Polizeibeamte tragen am Donnerstag, 14.06.2012, Gegenstände aus der "Millatu Ibrahim Moschee" in Solingen. Das Gebäude wurde am Morgen von der Polizei durchsucht. (Foto: dpa/lnw)
Bild: picture-alliance/dpa

Mit etwa fünf Prozent der Bevölkerung stellen die Muslime die drittgrößte Religionsgemeinschaft in Deutschland. Von den vier Millionen Muslimen sind knapp ein Prozent den Islamisten zuzurechnen, schätzen die Sicherheitsbehörden. Nach Informationen der Beratungsstelle Sekteninfo NRW sind nur etwa 5.000 Muslime Salafisten. 100 von ihnen werden mit dem Etikett "missionarisch" und 24 mit der Bezeichnung "gefährlich" versehen. Warum also rücken mehr als tausend Polizisten aus, um in sieben Bundesländern salafistische Vereine zu durchsuchen?

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) begründet die konzertierte Polizeiaktion mit der Nähe von Salafisten zum Terrorismus. Tatsächlich bestätigt der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Heinz Fromm: "Nicht jeder Salafist ist ein Terrorist, aber fast alle Terroristen, die wir kennen, hatten Kontakt zu Salafisten oder sind Salafisten." Und der Islamismus-Experte Dr. Herbert Müller warnt in einem DW-Interview, dass sie Salafisten-Szene "dem deutschen Staat ganz unverblümt droht".

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) gibt am Donnerstag (14.06.12) im Bundestag in Berlin eine Pressestatment zu den bundesweiten Razzien gegen radikale Islamisten ab. (Foto: dapd)
Innenminister Friedrich: "Razzien waren erfolgreich"Bild: dapd

Eine militante Minderheit weckt Argwohn

In der öffentlichen Wahrnehmung haben Salafisten in Deutschland lange Zeit keine Rolle gespielt. Erst als sie medienwirksam Tausende Koransausgaben in Fußgängerzonen verteilten und sich Schlägereien mit Anhängern der rechtsradikalen Pro NRW-Bewegung lieferten, änderte sich das. Seither werden die meist mit langen weißen Gewändern und Häkelmützen gekleideten Salafisten mit Argwohn betrachtet.

Islamisten verteilen am Samstag (14.04.2012) am Potsdamer Platz in Berlin kostenlose Koran-Exemplare (Foto: dpa)
Umstritten: Öffentliche Verteilung von Koran-AusgabenBild: picture-alliance/dpa

Das liegt weniger an wachsender Intoleranz gegenüber religiösen Minderheiten - vielmehr an einer Unsicherheit, wie die deutsche Gesellschaft mit ihren salafistischen Mitgliedern umgehen soll. Denn Anhänger dieser muslimischen Strömung halten Werte hoch, die mit der demokratischen Grundordnung unvereinbar sind: Andersgläubige lehnen sie als "Kuffar", als "Ungläubige" ab, die Demokratie nennen sie ein "Werk des Teufels" und der "Dschihad" ist für sie kein religiöses Bemühen, wie für die meisten Muslime, sondern bewaffneter Kampf - und diesen definieren sie als die sechste Säule des Islam (zusätzlich zu den fünf Grundpflichten eines Gläubigen). Männer und Frauen sind den Salafisten zwar "gleichwertig", aber eben nicht "gleichberechtigt".

Antiquierte Weltsicht

Dr. Friedmann Eißler von der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen warnt vor Gruppen, die zu einer Islaminterpretation bekehren wollen, "die vereinnahmend ist, die Demokratie explizit ablehnt und die das Märtyrertum geradezu verherrlicht". Der Salafismus ist eine ultrakonservative Strömung innerhalb des Islam, er basiert auf der wörtlichen Interpretation des Koran. "Da geht es um Aussagen des 7. bis 9. Jahrhunderts. Da wird ein goldenes Zeitalter des Islam propagiert, weil damals Religion und Politik sehr eng miteinander verzahnt waren", sagt Eißler. Vorstellungen also, die das Gegenteil der heutigen Situation in westlichen Demokratien beschreiben.

Der fundamentalistische Islamprediger Pierre Vogel spricht am Sonntag (24.07.11) in Dietzenbach. (Foto: dapd)
Salafistenprediger Pierre Vogel im Juli 2011Bild: dapd

Die damit verbundenen Wertvorstellungen sind mit der gesellschaftlichen Ordnung westlicher Demokratien nicht vereinbar. Diese Erkenntnis gilt aber auch für andere fundamentalistische Gruppierungen. Die Beratungsstelle Sekteninfo NRW hat eine Vielzahl von Berichten und Dokumenten veröffentlicht, belegen, wie unvereinbar solche Strömungen mit demokratischen Werten sind. Das liege an der "Unübersichtlichkeit der globalisierten Welt", fügt Dr. Eißler hinzu, deshalb suchen viele Menschen nach "einfachen und Schwarz-Weiß-Lösungen". Auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen sind fundamentalistische Tendenzen darum angestiegen.

Missbrauch demokratischer Freiheiten

Und noch etwas: Die deutsche Gesellschaft ist besonders hellhörig, wenn Parteien oder Gruppierungen sich auf den Verfassungsstaat berufen, den sie aber eigentlich ablehnen. Die Propagandisten der NSDAP beriefen sich Anfang der 1930er Jahre in ihrem "Kampf gegen die verjudete Demokratie von Weimar" auf die Gesetze, die ihnen Meinungs-, Rede- und Versammlungsfreiheit garantierten. Trotzdem setzten sie die Verfassung außer Kraft, sobald sie an der Macht waren.

Islamische Fundamentalisten demonstrieren am Dienstag (01.05.2012) in Solingen gegen eine Veranstaltung von Pro NRW. (Foto: dpa)
Dschihad-Kampfflagge bei einer Salafisten-Demo in BonnBild: picture-alliance/dpa

Öffentliche Koranverteilungen haben bei vielen Menschen Ängste geschürt, ebenso wie Talk-Show-Auftritte prominenter Islamisten, die sich nur schwammig zur pluralistischen, toleranten und demokratischen Ordnung bekannt haben. Für Ablehnung sorgt auch die Vorstellung, nach der eine erzkonservative Auslegung der Scharia, also "göttlicher Regeln", über den staatlichen Gesetzen stehen soll. In einer salafistischen Gesellschaft würde die Religion den Staat dominieren - bei vielen Menschen in Deutschland weckt das die schlichte Angst, dass der säkulare Staat abgeschafft wird.