1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Geld für die Lieben

10. Dezember 2011

Viele Menschen wandern auch deswegen aus, weil sie ihre Familien in der Heimat unterstützen wollen. Die kleinen Geldbeträge summieren sich zu einem globalen Wirtschaftsfaktor. Doch die Effekte sind nicht nur positiv.

https://p.dw.com/p/12gzu
Eine Banknote im Briefkasten (Foto: fotalia)
Bild: fotolia

Seit fast 20 Jahren arbeitet Barbara Czarnecki (Name geändert) in Deutschland, fühlt sich wohl in Köln und schickt regelmäßig Geld nach Polen. "Jeden Monat zwischen 300 und 400 Euro", sagt die 56-Jährige. Denn ihr Sohn verdient in der Heimat nicht genug, um davon leben zu können. Früher, so erzählt Barbara Czarnecki, habe sie auch ihre Mutter unterstützt, denn deren Rente habe gerade einmal für die Miete gereicht.


Wie Barbara Czarnecki schicken viele Migranten in der EU Geld nach Hause, 300 Euro im Monat sind es durchschnittlich. Ungefähr ein Drittel der Überweisungen geht in andere EU-Länder, zwei Drittel gehen ins nicht-europäische Ausland, meist in Entwicklungsländer. Die kleinen Beträge summieren sich zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor: Die Weltbank schätzt die Summe der weltweiten Heimatüberweisungen in Entwicklungsländer auf 325 Milliarden Dollar im Jahr – das ist mehr als dreimal so viel wie die staatliche Entwicklungshilfe, die bei der UN registriert wird.

Wie Barbara Czarnecki arbeiten viele Einwandererinnen als Putzfrauen (Foto: dpa)
Wie Barbara Czarnecki arbeiten viele Einwandererinnen als PutzfrauenBild: picture alliance/dpa

Von Mensch zu Mensch

Die Überweisungen zeichnen sich vor allem durch eine Qualität aus: Sie gehen direkt von Mensch zu Mensch; kein Staat kann vorschreiben, wie das Geld ausgegeben werden soll. "Das Geld fließt meist in Konsumgüter", sagt der Migrationsexperte Thomas Liebig von der OECD, der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. In den ärmsten Heimatländern sichert das Geld erst einmal das Überleben der Familie und wird für Lebensmittel, Medizin oder die Ausbildung der Kinder ausgegeben. Auch das trage zur Entwicklung bei, so Thomas Liebig. "Auch wenn es schwierig ist, eine direkte Verbindung zwischen Entwicklung und Heimatüberweisungen nachzuweisen, kann man die Überweisungen nicht einfach nur als kurzfristigen Konsum sehen", meint der OECD-Experte.

Infografik Heimatüberweisungen der Diaspora

Das Geld muss jedoch erst einmal bei der Familie im Heimatland ankommen – oft Länder, wo das Bankwesen noch gar nicht ausgebaut ist. Viele Migranten sind daher auf Geldtransfer-Konzerne wie Western Union oder Moneygram angewiesen, die zum Teil hohe Gebühren nehmen: Wer zum Beispiel 300 Euro aus Deutschland nach Uganda überweist, zahlt dafür 26,50 Euro.

Doch die Unterstützung der Lieben daheim ist nicht nur segensreich. So verweisen mehrere Studien auch darauf, dass die Überweisungen die Lebenssituation der ärmsten Familien verschlechtern können - denn die können sich die Auswanderung nicht leisten und leiden darunter, dass die Geldtransfers die Inflation verstärken. So investieren viele Migranten in ein Haus in der Heimat. Damit steigen die Grundstückspreise und irgendwann können sich nur noch jene Familien Wohneigentum leisten, die Verwandte im Ausland haben.

Exportnationen als Profiteure

Auch volkswirtschaftlich können die Heimatüberweisungen Probleme verursachen. Bei manchen Ländern sind die Geldströme der Diaspora mittlerweile einer der Hauptwirtschaftsfaktoren des Landes. So machen sie in Tadschikistan rund die Hälfte des Bruttoinlandsprodukts aus, in der Republik Moldau fast ein Drittel.


"Es kann für die Wirtschaft gefährlich werden, wenn immer mehr importiert wird, als das Land selbst produzieren kann", warnt Thomas Liebig von der OECD. Mit zunehmender Wirtschaftsentwicklung in den Empfängerländern löst sich das Problem dann im Laufe der Zeit. "Das Beispiel Deutschland-Türkei zeigt es ganz gut", sagt Liebig. "Vor 50 Jahren, als die Arbeitsmigration anfing, waren die Überweisungen aus Deutschland noch ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Heute spielen sie kaum noch eine Rolle in der türkischen Wirtschaft".

Schule im marokkanischen Fes. Viele Migranten überweisen Geld für die Schulgebühren ihrer Kinder (Foto: picture-alliance/chromorange)
Schule im marokkanischen Fes. Viele Migranten überweisen Geld für die Schulgebühren ihrer KinderBild: picture alliance/chromorange

Dabei sind die privaten Überweisungen aus dem Ausland nicht dazu da, die Wirtschaftsentwicklung eines Landes voranzutreiben. Dazu gehören vor allem Direktinvestitionen und Entwicklungshilfe. "So soll es auch sein", sagt Ökonom und Migrationsexperte Dilip Ratha von der Weltbank. "Denn Heimatüberweisungen dürfen nicht instrumentalisiert werden, sondern sollen bleiben was sie sind: Direkte Hilfe von Mensch zu Mensch."

Autorin: Helle Jeppesen
Redaktion: Dеnnis Stutе