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Zwist in Chisinau

Frank Hofmann, Chisinau23. April 2016

In Moldau wollen am Sonntag erneut pro-europäische Kräfte auf die Straße gehen, um gegen russischen Einfluss zu demonstrieren. Doch auch Russlandanhänger haben schon mobilgemacht. Von Frank Hofmann, Chisinau.

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Moldawien Chisinau Demonstration
Bild: DW/F. Hofmann

Es ist Abend in der moldauischen Hauptstadt Chisinau. Vor dem Parlamentsgebäude sind gleich zwei pro-russische Protestcamps errichtet. Anti-europäische Parolen stehen da auf Plakaten, nicht gemalt, sondern gedruckt, alle in gleicher Schrift, als ob sie aus einer Druckerei kämen. Nach echtem Bürgerprotest sieht es nicht aus. "Letztlich repräsentieren die vor allem die Oligarchen, die hinter ihnen stehen und sie bezahlen", meint dann auch 23-jährige Adrian Balutel.

Adrian Balutel - Foto: Frank Hofmann (DW)
Pro-Europa-Aktivist Balutel: "Irgendwie in der Schwebe"Bild: DW/F. Hofmann

Anders als die Camper vor dem Parlament ist Balutel glühender Befürworter der Europäischen Union. In diesem Sommer wird er zum "jungen Europäer des Jahres 2016" ernannt, ein jährlich vergebener Preis der deutschen "Schwarzkopf Stiftung Junges Europa". Mehrere Jahre hat Balutel den moldauischen Mitgliedsverband der "Jungen Europäischen Föderalisten" in Chisinau geleitet, der von der EU finanziell unterstützt wird.

Maidan-Kopie in Chisinau

Die grünen Armeezelte der pro-russischen Demonstranten vor dem Parlamentsgebäude stehen ordentlich aufgereiht, ein paar wenige Männer rauchen davor. Es sind Wachleute. Die beiden kleinen Zeltstädte unterscheiden sich nur durch die Farbe der Buchstaben auf den davor aufgehängten Plakaten: rot und blau. Die blauen wurden von einem Oligarchen gesponsert, die roten von der sozialistischen Partei, die in Moldau allerdings auch oligarchisch finanziert ist und als pro-russisch gilt.

Es sieht ein wenig aus, als hätte jemand den Plan gehabt, eine Zeltstadt aufzubauen, wie bei der Kiewer Euromaidan-Revolution vor zwei Jahren in der benachbarten Ukraine. Allerdings unter verkehrten Vorzeichen: pro-russischen und nicht pro-europäischen. Ob sich Moldau stärker an Moskau oder Brüssel binden soll - darum geht es vordergründig in dem kleinen Land. Doch die Probleme liegen viel tiefer.

Frust über korrupte Eliten mit europäischem Anstrich

"Nach Jahren vieler leerer Versprechen für eine Annäherung an die EU haben die Menschen Frust", sagt Adrian Balutel. Und das liegt vor allem an den Eliten, die sich zwar einen "europäischen Anstrich" gegeben hätten, "selbst aber völlig korrupt geblieben sind". Vorneweg wohl auch der ehemalige Ministerpräsident Vladimir Filat, der seit vergangen Oktober in Untersuchungshaft sitzt.

Pro-russisches Protestcamp vor dem Parlament in Chisinau - Foto: Frank Hofmann (DW)
Pro-russisches Protestcamp vor dem Parlament: Von Oligarchen gesponsert?Bild: DW/F. Hofmann

Während seiner dreieinhalbjährigen Amtszeit ist die Summe von einer Milliarde Euro aus dem moldauischen Bankensystem "verschwunden", "es wurde geklaut", sagt der junge Europäer Balutel. Die Ermittlungen gestalten sich schwierig. Offenbar wurden Kredite eingesammelt von Briefkastenfirmen, die es kurz danach nicht mehr gab. Seit der Verhaftung "ist es etwas ruhiger, weil nicht mehr so viele Oligarchen mitspielen", sagt ein westlicher Diplomat in Chisinau.

Deutsche Hilfe für den Mittelstand

Nach den Protesten der vergangenen Monate hoffen vor allem die wenigen Kleinbetriebe im Land, dass es weiter geht mit der Annäherung an die EU. Sergiu Guzun ist der Juniorchef der Bäckerei "Panilino". Die Firma mit 300 Mitarbeitern ist das Ergebnis einer Fusion der von Guzuns Mutter gegründeten Konditorei mit einem befreundeten Geschäftspartner. Solider Mittelstand also. Der angestammte Firmensitz platzt aus allen Nähten: Die Mitarbeiter treten sich gegenseitig auf die Füße bei der Produktion von Gebäck und bestem Panettone nach italienischer Art. Deshalb wird expandiert: Ein mehrstöckiger Neubau, modern mit viel Glas, steht kurz vor der Fertigstellung.

Hans-Joachim Fuchtel - Foto: Frank Hofmann (DW)
Deutscher Staatssekretär Fuchtel: Aufmunternde WorteBild: DW/F. Hofmann

Der Betrieb hat an diesem Tag Besuch von einer Delegation aus Deutschland. Denn das Projekt wurde mit Mitteln der Pro-Credit-Bank finanziert, an der die deutsche Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) 25 Prozent hält. Juniorchef Sergiu Guzun und seine Bäckerei "Panilino" ist ein Vorzeigeprojekt - so stellt sich die deutsche Regierung Entwicklungshilfe im EU-Assoziierungsland Moldau vor. Die lokale Bank soll helfen EU-Standards durchzusetzen. "Irgendwann werden Sie auch in Deutschland verkaufen können", sagt Hans-Joachim Fuchtel. Der Staatssekretär im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit ist Teil der deutschen Delegation. Der Juniorchef der Bäckerei freut sich über Fuchtels Aufmunterung. Das hilft.

Dass sie es überhaupt soweit gebracht haben als kleines Unternehmen ist ein großer Erfolg in dem von Oligarchen geprägten Land. Denn die Korruption in Moldau ist hoch. Auf dem Korruptionsindex von Transparency International findet sich Moldau im unteren Drittel: Das Land liegt auf Platz 103 von 168. Auf die Frage, wie korrupt die Genehmigungsbehörden in ihrer lokalen Kommune seien, zieht Juniorchef Guzun die Augenbrauen hoch, macht mit seinen Händen eine Bewegung, als ob er Scheine auf einen Tisch drücke und wackelt mit dem Kopf: "Sehr, leider sehr."

Der "junge Europäer" Adrian Balutel hofft, dass es wenigstens mit solchen kleinen Schritten weiter geht in Richtung EU. Allerdings "ist von der hiesigen EU-Vertretung in letzter Zeit kaum noch etwas zu hören". Das Land sei jetzt weder pro-europäisch noch pro-russisch, sondern "irgendwie in der Schwebe". Und das sei ja wohl am Ende, was der Kreml auch anstrebe - Unsicherheit, "das reicht Putin".