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Zwanziger: "Die Politik muss Verantwortung übernehmen"

Mirjam Gehrke15. Februar 2014

Theo Zwanziger fordert von Politik und Wirtschaft, sich klar zur Einhaltung der Menschenrechte in Katar zu bekennen. Im DW-Interview bekräftigt der Ex-DFB-Präsident seine Kritik an der WM 2022 in dem arabischen Emirat.

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Theo Zwanziger (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

DW: Herr Zwanziger, die FIFA hält an der WM 2022 in Katar fest. Welche Zusagen haben Sie von den Behörden Katars, dass sich die Arbeitsverhältnisse in dem Emirat verbessern werden?

Theo Zwanziger: Unser Gesprächspartner ist das Supreme Committee, das für die Weltmeisterschaft verantwortlich ist. Wir haben Zusagen, dass das Arbeitsrecht geändert werden soll, dass es mehr Kompetenzen für die Inspektoren gibt. Das wird in enger Zusammenarbeit mit der Internationalen Arbeitsorganisation durchgeführt. Es gibt Zusagen, dass die Inspektoren, die die tatsächlichen Verhältnisse überprüfen, besser ausgebildet werden. Die finanziellen Transfers sollen besser überwacht werden. Es sollen Rechtsbeistände geschaffen werden, die dazu beitragen, dass die absolut inakzeptablen Bedingungen dort, die für die Gastarbeiter herrschen, verbessert werden.

Sie selbst haben die Vergabe der WM 2022 an Katar als "eine der größten Fehlentscheidungen, die es jemals im Sport gegeben hat" kritisiert. Wir schwer fällt es Ihnen jetzt, an dieser Entscheidung festzuhalten?

Ich kritisiere diese Entscheidung nach wie vor. Die Weltmeisterschaft ist neben den Olympischen Sommerspielen das größte Ereignis im Sport. Katar ist halb so groß wie Hessen. Ich bin der Überzeugung, dass Katar nicht in der Lage ist, eine WM so auszutragen, wie wir das erwarten. Dazu kommen die schwierigen klimatischen Bedingungen im Sommer. Das waren meine Kritikpunkte.

Jetzt aber müssen wir die Chance der WM nutzen, um die Verhältnisse für Arbeiter zu verbessern. Das ist nicht nur in Katar so, sondern auch in einigen anderen Ländern. Ohne die WM würde sich kaum jemand mit den Arbeitern und deren unzumutbaren Lebensbedingungen befassen. Gebaut wird in Katar immer. Die WM hilft im Moment, den Druck auf Katar hoch zu halten.

Unabhängig davon wird die Frage, ob die WM in Katar bleibt, nach der WM in Brasilien noch mal auf dem Prüfstand stehen. Dann muss entschieden werden, wann in Katar gespielt wird. Der Spieltermin ist völlig in Frage gestellt aufgrund der Bedingungen im Sommer.

Eine WM-Baustelle in Katar (Foto: picture-alliance/dpa)
Hunderte Arbeiter sollen bereits auf den WM-Baustellen Katars gestorben seinBild: picture-alliance/dpa

Wie viel Einfluss hat die FIFA auf politische Entscheidungen in Katar, wenn es beispielsweise um die Abschaffung des Kafala-Systems geht? (Anm. d. Red.: bei dieser Regelung legt der Staat die Verantwortung für ausländische Leiharbeiter in die Hände der Unternehmen, die sie beschäftigen - unter anderem müssen die Arbeiter ihre Pässe abgeben und dürfen das Land nicht ohne das Einverständnis des Arbeitgebers verlassen)

Der FIFA-Präsident legt Wert darauf, dass die Verhältnisse vor Ort verbessert werden. Joseph Blatter hat in Katar mit dem Emir gesprochen. Aber das erwarten wir auch von der Politik. Es kann nicht sein, dass die europäischen Staaten und die EU zuschauen und der FIFA die Verantwortung überlassen. Es bestehen enge Wirtschaftsverflechtungen zwischen Katar und manchen europäischen Ländern und Unternehmen. Als Fußballer erwarte ich, dass man die Sportler unterstützt und nicht alle Verantwortung auf den Sport abwälzt. Hier sind die politischen Institutionen gefragt, mit Katar zu reden. Was ist wichtiger: Wirtschaftsverbindungen oder Menschenrechte? Eine sehr interessante Diskussion, wie ich bei der Anhörung in Brüssel auch gespürt habe.

Fühlt sich die FIFA von der Politik im Stich gelassen?

Das würde ich nicht sagen. Wir haben ein gutes Verhältnis zur Politik. Nur wenn wir unsere Verantwortung übernehmen, können wir dasselbe auch von anderen Mitspielern in diesem schrecklichen Spiel erwarten. In Katar sind auch deutsche Unternehmen tätig. Ich erwarte von denen klare Worte zu diesem System.

Auch die Fußballklubs, die sich dort vor Ort aufhalten, können auch mal ein Wort zu dieser Thematik sagen. Und insbesondere die Politik. Der Emir reist durch Europa. Da muss man doch drüber sprechen, wenn man die Menschenrechte so ernst nimmt, wie manche das hin und wieder tun.

Asiatische Arbeiter auf einer Baustelle in Doha (Foto: picture-alliance/dpa)
Nicht nur zur WM wird in Katar gebautBild: picture-alliance/dpa

Mit wem aus den oberen FIFA-Kreisen haben Sie persönlich über die Menschenrechtslage in Katar gesprochen und welche Reaktionen hat es gegeben?

Die Situation ist im FIFA-Exekutivkomitee im Oktober ausführlich besprochen worden, noch bevor die Resolution des Europäischen Parlamentes gefasst wurde. Natürlich gibt es innerhalb der Sportorganisation unterschiedliche Auffassungen dazu. Es gibt viele, die sagen: 'Wir organisieren die Spiele, aber die Frage von Menschenrechten ist Sache von Menschenrechtsorganisationen und Staaten.' Aber gerade mit der Unterstützung des FIFA-Präsidenten gibt es auch viele, die sagen: 'Wenn wir so etwas machen, dann müssen wir den Blick über den Tellerrand hinausrücken.' Wir haben klare Ethikvorschriften in der FIFA. Wir stehen konsequent gegen Diskriminierung, für Freiheitsrechte und gegen ein menschenunwürdiges Verhalten. Dann können wir nicht so tun, als ginge es uns nichts an. Wenn man durch ein solches Land geht, darf man nicht nur auf die WM-Bauten schauen. Dann muss man die Augen offen halten auch für andere Dinge und muss sie thematisieren. Aber um Dinge zu verändern, brauchen wir die Unterstützung der ganzen Gesellschaft. Politik und Wirtschaft sind da in erster Linie gefragt.

Welche Konsequenzen zieht die FIFA aus der Debatte um Menschenrechte für die Vergabe der WM 2026?

Das wird spannend werden. In den großen Sportverbänden ist das Bewusstsein gewachsen, dass man bei der Vergabe von Großereignissen nicht nur auf die klassischen Fragen achten muss. Die FIFA wird diese Diskussion nach der WM in Brasilien beginnen. Wir brauchen Mindestanforderungen im Bereich Rechtstaatlichkeit, Meinungs- und Pressefreiheit, menschenwürdige Lebensverhältnisse und keine Diskriminierung, was ja gerade dem Sport am Herzen liegt. Diese Punkte müssen im Ausrichtervertrag klar definiert sein. Das ist meine Position. Das ist noch nicht diskutiert. Aber auch da weiß ich mich durch den FIFA-Präsidenten gestärkt.

Spannend wird die Frage nach den Sanktionsmöglichkeiten. Ein so großes Turnier kann man nicht ein oder zwei Jahre vor dem Ereignis ohne weiteres wieder wegnehmen. Das geht noch bis zu fünf Jahre vorher. Aber wenn man kurz davor steht, ist man gefangen. Deshalb braucht man Sanktionen, die auch weh tun.