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Zurück zur Normalität

Wolter von Tiesenhausen19. September 2005

Die Parteien müssen das Ergebnis der Bundestagswahl akzeptieren - und zeigen sich derzeit unwillig, die verschiedenen Koalitionsmöglichkeiten nüchtern zu analysieren. Wolter von Tiesenhausen kommentiert.

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Das verwirrende Ergebnis der Bundestagswahl hat bei einigen deutschen Politikern zu bedenklichen Verhaltensstörungen geführt. Bundeskanzler Gerhard Schröder und mit ihm eine ganze Reihe weiterer führender Sozialdemokraten sind offensichtlich nicht bereit, ihre Niederlage zu akzeptieren. Die Liberalen schliessen von vorneherein jedes Gespräch mit den Sozialdemokraten aus, und selbst sonst so seriöse Ministerpräsidenten wie der rheinland-pfälzische Regierungschef Kurt Beck versuchen durch das künstliche auseinanderdividieren der Unionsparteien einen Prestige-Vorsprung für die SPD zu konstruieren.

Politik paradox

Es ist hohe Zeit, dass die politischen Parteien zur Normalität zurückfinden und sich mit den Tatsachen des Wahlergebnisses auseinandersetzen. Es ist schon paradox, dass Politiker, die nicht müde werden von den Bürgern grundlegenden Veränderungen zu verlangen, offenbar nicht in der Lage sind, sich der Wirklichkeit eines Wahlergebnisses zu stellen, das sie so nicht erwartet haben. Gerhard Schröder und Joschka Fischer von den Grünen traten für eine Neuauflage ihres rotgrünen Bündnisses an, der Wähler hat ihnen dies verweigert. Angela Merkel von der Union und Guido Westerwelle von den Liberalen wollten eine Mehrheit für Schwarzgelb, auch das war den Wählern offenbar nicht recht.

Im Gegensatz zu allen Wünschen und Träumen der Politiker entschied der Souverän, dass CDU/CSU und SPD etwa gleich stark im neuen Bundestag vertreten seien sollen, mit einem leichten Stimmenvorsprung für die Christdemokraten. Da die Linkssozialisten nach dem eigenen Selbstverständnis und auch nach Meinung der anderen Parteien als Partner nicht in Frage kommen, bleiben nur drei Möglichkeiten: eine Koalition aus SPD, Grünen und FDP, ein Zusammengehen von CDU, FDP und Grünen oder eine große Koalition aus CDU und SPD. Alle anderen Überlegungen wie die einer Minderheitenregierung aus SPD und Grünen oder erneuten Wahlen sind Gedankenspiele und haben mit der Wirklichkeit nichts zu tun.

Die Zeit drängt

Deshalb müssen die Parteien sich möglichst schnell zusammensetzen und die Möglichkeiten der Zusammenarbeit ausloten, denn die Zeit drängt. Der Haushalt dieses Jahres muss umgehend durch einen Nachtragshaushalt ergänzt werden, auch der Etat für das nächste Jahr muss aufgestellt, beraten und beschlossen werden. Davon ausgehend, dass der Bundestag sich erst Mitte Oktober konstituiert und das parlamentarische Geschäft erst im November richtig beginnen kann, ist kaum damit zu rechnen, dass die Haushaltsberatungen noch in diesem Jahr abgeschlossen werden können. Es knirscht bereits vernehmlich im deutschen politischen Getriebe. Wer in dieser Situation aus Uneinsichtigkeit oder Trotz zusätzlichen Sand einstreut, versündigt sich an der Funktionsfähigkeit der Demokratie in Deutschland.