1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

In deutscher oder türkischer Erde

Andreas Gorzewski23. Januar 2014

Schätzungen zufolge werden die meisten Türkischstämmigen, die in Deutschland sterben, in Anatolien beigesetzt. Das hat emotionale und religiöse Gründe. Doch viele jüngere Deutschtürken würden offenbar anders entscheiden.

https://p.dw.com/p/1AoWC
Istanbul Ortaköy Moschee
Bild: AP

Jedes Jahr werden Tausende Särge mit Verstorbenen in die Türkei ausgeflogen. Auch viele Menschen, die fast ihr ganzes Leben in Deutschland verbracht haben, wollen ihre letzte Ruhestätte im Land der Eltern und Großeltern haben. Das Essener Bestattungsunternehmen Gurbet schätzt, dass jährlich etwa 4000 Verstorbene aus Deutschland nach Ostthrakien und Anatolien überführt werden. Dagegen liege die Zahl aller islamischen Beerdigungen in Deutschland - Türken, Araber, Bosnier und andere zusammengerechnet - bei nur 400 bis 500, so das Unternehmen. Oliver Wirthmann, Geschäftsführer des Kuratorium Deutsche Bestattungskultur, schätzt die Zahl der Überführungen in die Türkei auf 4000 - 5000. Bei den in Deutschland bestatteten Muslimen insgesamt, geht er von etwa 1000 aus.

Ridvan Ever hat über seinen Begräbnisort bereits entschieden. „Ich möchte eines Tages in meinem Heimatland Türkei bestattet werden“, sagt der Angestellte einer Logistikfirma in Siegburg. Ever lebt seit 50 Jahren in Deutschland. Seine Eltern sind in Yalova zwischen Istanbul und Bursa beerdigt. Dorthin will auch Ever. Mit dem Gedanken an ein Grab in Deutschland hat der regelmäßige Moschee-Besucher zwar schon gespielt. Doch er bezweifelt, dass eine Grabzeremonie hierzulande in allen Details den Regeln des Islam entspricht. „Ich wüsste nicht, dass man hier so wie in der Türkei bestattet.“

Lange Zeit widersprachen sich deutsche Friedhofsordnungen und islamische Bestattungsriten. Muslime werden traditionell ohne Sarg nur im Leichentuch in die Erde gebettet. In Deutschland gilt in der Regel eine Sargpflicht. Außerdem werden verstorbene Muslime auf der Seite liegend mit dem Gesicht Richtung Mekka beigesetzt. Reihengräber lassen solch eine Ausrichtung des Leichnams oft nicht zu. Vor allem stört Muslime, dass viele Grabstellen hierzulande nach 20 Jahren eingeebnet werden. Eine längere Grabbelegung kostet erheblich mehr. Im Islam soll die Totenruhe dagegen unbefristet sein.

Neue islamische Gräberfelder noch wenig genutzt

Fromme Muslime hatten bis vor wenigen Jahren kaum eine andere Wahl, als sich im Ausland beisetzen zu lassen. Mittlerweile wächst jedoch die Zahl der islamischen Gräberfelder in Deutschland, auf denen sich Muslime gemäß ihrer Traditionen bestatten lassen können. Viele wissen das nicht oder sind noch skeptisch.

Türkischer Grabstein auf dem islamischen Friedhof Berlin-Tempelhof
Noch werden nur wenige Muslime in Deutschland begrabenBild: picture-alliance/dpa

Für Ever spielt auch das religiöse Umfeld eine Rolle. In der Türkei sei es üblich, auf Friedhöfen Bittgebete für die Verstorbenen zu sprechen. Viele Gräberfelder seien bewusst neben Straßen angelegt worden, damit die Menschen im Vorübergehen für alle Toten beten könnten. Diese Tradition fehle in Deutschland.

Auch der Kölner Betriebswirt Korhan Aktalay will bei seinen Eltern am Bosporus begraben werden. Die Türken stünden zusammen, auch wenn sie gestorben sind, sagt der 57-Jährige. Doch damit steht er innerhalb seiner Familie alleine da. „Meine Frau sagt immer, ich möchte hier begraben werden, wo meine Kinder leben“, räumt Aktalay ein. Seine drei Kinder werden ihm zufolge auf Dauer in Deutschland bleiben. Für die nachfolgenden Generationen werde Deutschland immer mehr zu dem Land, in dem sie nicht nur leben, sondern eines Tages auch beerdigt werden wollten.

Muslimisches Gräberfeld auf dem Kölner Westfriedhof - Immer mehr Friedhöfe in Deutschland erlauben ein Begräbnis nach islamischem Ritus
Muslimisches Gräberfeld - immer mehr deutsche Friedhöfe erlauben Begräbnisse nach islamischem RitusBild: DW/U. Hummel

Familienangehörige sollen das Grab besuchen können

Der ehrenamtliche Moscheeführer Orhan Kangöz will im Rheinland beerdigt werden. „Wenn man im Grab ist, dann will man auch besucht werden von Bekannten, von Kindern, von Enkelkindern“, sagt Kangöz. Er lebt mit seiner Familie im rheinischen Niederkassel-Lülsdorf. Auch er kennt die Gründe, die viele ältere Zuwanderer zu einer Überführung bewegen. Neben Familienbanden und der Frage, ob ein Grab nur für 20 Jahre oder für ewig Bestand hat, geht es manchmal auch ums Geld. Eine Bestattung in der Türkei sei schlicht kostengünstiger als in der Bundesrepublik.

Dabei spielen Bestattungsfonds, denen viele türkeistämmige und andere Muslime angehören, eine wichtige Rolle. Für 60 Euro im Jahr ist eine ganze Familie Mitglied. Stirbt ein Angehöriger, übernehmen diese Unterstützungsorganisationen den aufwändigen Papierkram. Sie organisieren und bezahlen den raschen Transport einer Leiche bis in abgelegene Dörfer. Zwar helfen solche Fonds auch bei einer Beisetzung in Deutschland, aber das ist noch die Ausnahme.

Wahl des Bestattungsortes als Generationenfrage

In welcher Erde deutsch-türkische Muslime beerdigt werden wollen, ist vor allem eine Generationsfrage. Während immer mehr jüngere Leute kaum noch Bekannte in der Türkei hätten, ist die emotionale Bindung laut Kangöz für die älteren noch sehr stark. Dazu verweist er auf seinen Vater, der 1969 als Schmied nach Deutschland kam. Wenn er mit seinem Vater über dessen Wunsch nach einem Begräbnis in der Türkei rede, frage er ihn: „Vater, du hast schon 44 Jahre in Deutschland gelebt. Einmal oder zweimal im Jahr fährst du dorthin in Urlaub. Warum willst du dich nicht hier beerdigen lassen?“ Doch der Vater bleibe bei seiner Entscheidung.

Türkischer Grabstein auf dem islamischen Friedhof Berlin-Tempelhof
Türkisches Grab in BerlinBild: ZB - Spezial

Bei der Wahl der letzten Ruhestätte geht es auch um Heimatgefühle. Für den Siegburger Ever ist auch nach einem halben Jahrhundert in Deutschland klar, dass die Türkei seine Heimat ist. Der Kölner Aktalay verweist dagegen auf den Zwiespalt, den viele erleben. „Wo ist Heimat?“, fragt er. Mit Stolz verweist er darauf, dass sein Großvater im Ersten Weltkrieg türkischer Marineoffizier war. Doch er selbst ist in der Bundesrepublik aufgewachsen. Seine Kinder besuchten deutsche Schulen. „Natürlich sind wir Türken, aber unsere Heimat ist auch hier.“