1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Zunehmendes Vertrauen in Russlands Stromsektor

18. Oktober 2007

Seit Jahrzehnten befindet sich der russische Strommarkt in der Krise. Dennoch investieren europäische Konzerne nun in diesen problematischen Sektor der russischen Wirtschaft. Eine Analyse von DW-WORLD.DE/Russisch.

https://p.dw.com/p/BsFi
Fast alle Hauptleitungen in staatlicher HandBild: AP

Infolge der im Jahr 2001 eingeleiteten Liberalisierung des russischen Energiesektors gerät Russlands Strommarkt immer öfter in den Blickwinkel ausländischer Investoren. Vor wenigen Wochen kaufte der deutsche Energiekonzern E.ON 70 Prozent der staatlichen Aktien am Kraftwerksbetreiber OGK-4, eines von sieben territorialen Stromerzeugern, die aus der Energieholding EES Rossija im Rahmen einer Reform ausgegliedert wurden. Davor kaufte der italienische Energiekonzern Enel Anfang Juni 2007 einen Anteil am Kraftwerksbetreiber OGK-5.

Unterdessen erlebt der russische Stromsektor nicht gerade seine besten Zeiten. Das sich in der Sowjetzeit herausgebildete Modell der vertikalen Integration der Energiegesellschaften, in dem die Erzeugung und der Vertrieb von Strom bis zum Endverbraucher zusammengefasst waren, sowie das künstliche Einfrieren der Tarife, aber auch die minimale Modernisierung der Produktion und fehlende Investitionen in den 90er Jahren haben dazu geführt, dass Anfang des neuen Jahrtausends ernstzunehmende Kapazitätsdefizite entstanden.

Dringende Reform des Stromsektors

Einziger Ausweg aus der gegenwärtigen Lage ist die Reform des russischen Stromsektors, in erster Linie der größten staatlichen Holding EES Rossii, dessen Vorstandsvorsitzender Anatolij Tschubajs ist. Heute gewährleisten die Gesellschaften der Holding 70 Prozent der Stromerzeugung und etwa ein Drittel der Heizkraft, die in Russland produziert wird. Sie kontrollieren 72 Prozent aller erzeugter Kapazitäten und 96 Prozent der Hauptleitungen für Strom landesweit.

Nach dem Inkrafttreten des föderalen Gesetzespaketes im Jahr 2003, das eine Reform des Stromsektors vorsieht, wurden aus der EES Rossii die selbständigen Aktiengesellschaften – die territorialen stromerzeugenden Gesellschaften (TGK) und die stromerzeugenden Großhandelsgesellschaften (OGK) ausgegliedert. Mit dem Verkauf von Aktien dieser Gesellschaften an private Investoren, hoffte der Staat, für Wettbewerb im Stromsektor zu sorgen, Milliarden Dollar an Investitionen zu gewinnen und damit so schnell wie möglich das Defizit an Strom zu decken.

Investitionen fließen in die Erzeugung

Der Einstieg von großen europäischen Konzernen wie E.ON und Enel bei den russischen Kraftwerksbetreibern kann merkwürdig erscheinen, wenn man bedenkt, dass noch bis vor kurzem strategische internationale Investoren kein erkennbares Interesse am russischen Strommarkt gezeigt hatten. Zu den Gründen, die westliche Konzerne von einer Expansion in diesem Marktsegment abhielten, gehörten die hohen Risiken. Ferner hielten es ausländische Investoren für möglich, dass der Stromsektor auf die Liste der strategischen Wirtschaftszweige gesetzt wird, in denen die Präsenz ausländischen Kapitals beschränkt werden könnte.

Worauf ist also das plötzliche Interesse der europäischen Energiekonzerne am russischen Markt zurückzuführen? Nach Meinung des Vizepräsidenten der Gesellschaft A.T.Kearney, Florian Haslauer, der eine Berater-Gruppe für Energiefragen leitet, gehen große europäische Energiegesellschaften in ihrer Politik auf dem russischen Markt von zwei Voraussetzungen aus: einer weiter zunehmenden Nachfrage nach Strom und einer damit verbundenen Preiserhöhung. "E.ON, aber auch Enel investieren ihr Geld vor allem in die Entwicklung von Erzeugungskapazitäten, das heißt in Wärmekraftwerke. Damit richten sie sich auf den Großhandel im Strommarkt aus, auf dem die Preise durch ein Gleichgewicht zwischen Nachfrage und Angebot gebildet werden und nicht vom Staat abhängen", sagte der Experte.

Langfristige Aussicht auf Gewinne

Trotz der geringen Energie-Effizienz der russischen Kraftwerke sowie der Tatsache, dass die aus Sicht von Investoren attraktivsten Objekte – die Atomkraftwerke - in staatlicher Hand bleiben, sei es dennoch für westliche Gesellschaften von Vorteil, in den russischen Strommarkt zu investieren, meint Florian Haslauer. Allein schon deswegen, weil Russland heute eine der schnell wachsenden Volkswirtschaften sei, in der die Nachfrage nach Energieressourcen pro Jahr um fünf Prozent wachse. "Indem sie heute versuchen, sich Zugriff auf die erzeugenden Kapazitäten zu verschaffen, richten sich die Energiegesellschaften darauf aus, langfristig Gewinne zu machen", sagte der Experte von A.T.Kearney.

Yuliya Siatkova
DW-WORLD.DE/Russisch, 12.10.2007, Fokus Ost-Südost