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Zunehmende Islamfeindlichkeit in Deutschland?

5. Oktober 2010

Auch "der Islam gehört zu Deutschland", sagte Bundespräsident Christian Wulff in seiner Festrede zum 20. Jahrestag der Deutschen Einheit. Doch die Ablehnung des Islam in der deutschen Gesellschaft wächst.

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Betende Muslime in der Kölner DITIB-Moschee (Foto:dpa)
Muslime werden in Deutschland immer kritischer beäugtBild: picture alliance/dpa
Bundespräsident Christian Wulff bei seiner Rede zur Deutschen Einheit in Bremen (Foto:dpa)
Bundespräsident Christian Wulff bei seiner Rede zur Deutschen Einheit in BremenBild: picture alliance/dpa

Der 3. Oktober wird in Deutschland als "Tag der deutschen Einheit" gefeiert. Dies beschränkt sich inzwischen aber nicht mehr allein auf die Einheit von Ost- und Westdeutschen, sondern auf die Einheit all derer, die in Deutschland leben, gleich welcher Abstammung, gleich welcher Religion, erklärte Bundespräsident Christian Wulff in seiner Festrede zum 20. Jahrestag der Deutschen Einheit am Sonntag (03.10.2010) in Bremen und schloss dabei jeden Zweifel aus: "Das Christentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland, das Judentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland – das ist unsere christlich-jüdische Geschichte – aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland".

Reden und Realitäten

Geert Wilders bei seinem Auftritt in Berlin (Foto:dpa)
Geert Wilders bei seinem Auftritt am 2. Oktober 2010 in BerlinBild: dapd

Die Wirklichkeit sieht freilich anders aus als in solchen Festreden. In Deutschland und in anderen europäischen Ländern wächst die Welle eines anti-islamischen Rechtspopulismus, deren Repräsentanten, wie etwa in Schweden oder in den Niederlanden, Einfluss nehmen auf Regierungsbildungen und die sich untereinander zu vernetzen beginnen. So war nur Stunden vor der Rede des Bundespräsidenten der niederländische Islam-Gegner Geert Wilders nach Berlin gekommen, um vor Gleichgesinnten zu mahnen: "Deutschlands nationale Identität, seine Demokratie und wirtschaftliche Prosperität sind bedroht durch die politische Ideologie des Islam".

Nicht nur die Zuhörer im Saal stimmten Wilders zu: Eine neue Umfrage ergab, dass 55 Prozent der Deutschen der Meinung sind, dass die Einwanderung von Muslimen Deutschland "sozial und finanziell wesentlich mehr gekostet als wirtschaftlich erbracht" habe. Besonders hoch war die Zustimmung zu dieser These mit 70% in den ostdeutschen Bundesländern.

Kollektive Aburteilungen?

Der Ethnologe und Migrationsexperte Werner Schiffauer (Foto:dpa)
Der Ethnologe und Migrationsexperte Werner SchiffauerBild: Picture-Alliance /ZB

Einen logischen Grund für solche Meinungen könne er sich nicht vorstellen, meint der Ethnologe und Publizist Werner Schiffauer von der Europa-Universität in Frankfurt/Oder. Es setze sich aber eine Art neoliberales Denken in der Gesellschaft durch, wonach jeder "seines Glückes Schmied" und damit auch für seine Probleme verantwortlich sei. Diese Betrachtungsweise leiste einem impliziten Rassismus Vorschub, "insofern dann Gruppen gebildet, nach ihrer Leistung untereinander verglichen und dann in Gänze abgewertet werden".

Diese Denkweise macht Schiffauer nicht nur bei Politikern der liberalen FDP aus, sondern genauso bei Sozialdemokraten wie Christdemokraten. Zum Beispiel, wenn man die hohe Arbeitslosigkeit unter Muslimen mit einer vermeintlichen mangelnden Bereitschaft zur Arbeitssuche erkläre. Dabei sei doch längst dokumentiert, dass qualifizierte Arbeitssuchende mit türkischem oder arabischem Namen seltener eingestellt werden als andere.

Bestehende Erkenntnisse, fehlende Umsetzungen

Aiman Mazyek, der Vorsitzende des Zentralrates der Muslime in Deutschland (Foto:privat)
Aiman Mazyek, der Vorsitzende des Zentralrates der Muslime in DeutschlandBild: Privat

Bei allem Lob für die Rede des Bundespräsidenten: Auch Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrates der Muslime, macht der Politik den Vorwurf, längst Bekanntes nicht zu berücksichtigen: "Wir haben dort kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem", erläutert Mazyek. "Die Erkenntnis, dass wir beispielsweise einen islamischen Religionsunterricht in deutschen Schulen brauchen, gibt es schon seit Jahrzehnten. Nur was die politische Umsetzung solcher Erkenntnisse angeht, da sind wir noch ganz am Anfang."

Den Politikern fehle es oft am Mut, die notwendigen Entscheidungen zu fällen. Deshalb vergrößere sich die Schere zwischen dem, was wohlmeinende Politiker erklären, was man in Dialogbestrebungen unternehme und der Wirklichkeit. Ein Problem, von dem offenbar nicht nur Deutschland, sondern auch andere europäische Staaten betroffen sind.

Geeignete Feindbilder?

Imam beim Gebet in einer Berliner Moschee (Foto:dpa)
Ein Imam beim Gebet in einer Berliner MoscheeBild: picture-alliance/ dpa

Begonnen habe diese Entwicklung mit dem 11. September, meint Werner Schiffauer, verstärkt werde sie aber dadurch, dass die Europäische Union in eine tiefe Identitätskrise geraten sei: Die EU sei innerhalb kurzer Zeit auf das Doppelte ausgeweitet worden, der Streit um die Verfassung habe aber verdeutlicht, dass man immer weniger wisse, wofür Europa heute stehe: "In diesem Moment ist es verführerisch, einen anderen zu definieren, von dem man sich abgrenzt", erklärt Schiffauer. Im Muslim lasse sich so besonders einfach ein Feindbild erschaffen, das all das verkörpert, was gegen die klassischen europäischen Werte stehe: "In diesem Feindbild wird der Muslim homophob, frauenfeindlich, antisemitisch, hat keine Aufklärung, ist demokratie-und leistungsunfähig." Bestimmte Kreise, sagt Schiffauer, versuchten, sich von anderen Menschen und Gruppen abzusetzen. Das ist für ihn der eigentliche Grund für den "paneuropäischen Anti-Islamismus, der sich derzeit wie ein Virus verbreitet".

Unbestimmte Ängste

Dass das im Grunde nichts mit einer begründeten Ablehnung des Islam zu tun habe, könne man daran ablesen, dass diese Ablehnung gerade in Ostdeutschland besonders hoch sei. Denn dort gebe es kaum Muslime und deswegen keine persönliche Erfahrungswerte. "Das gleiche Phänomen", führt Schiffauer weiter aus, "hatten wir bei dem Minarett-Verbot in der Schweiz: Die Einwohner von Städten mit muslimischer Bevölkerung protestierten gegen das Minarett-Verbot, während vor allem diejenigen für das Minarettverbot waren, die de facto in ihrem alltäglichen Leben überhaupt nicht betroffen sind."

Autor: Peter Philipp
Redaktion: Thomas Latschan