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Zum Sterben zu wenig

Klaus Deuse22. April 2008

Die Kritik an der geplanten Rentenerhöhung ist groß - doch auch wenn sie kommt, den Braten fett macht sie nicht. Altersarmut und Rentenarbeit sind auch in Deutschland keine Seltenheit.

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Rentner - AP
Immer ärmer: Die wirtschaftliche Lage der Rentner spitzt sich zuBild: AP

Die Erhöhung der Renten um 1,1 Prozent betrachten viele junge Menschen in Deutschland als ein vorgezogenes Wahlgeschenk der Regierungsparteien zu ihren Lasten. Viele Jüngere vergessen aber, dass die Rentner in den letzten drei Jahren keinen Cent mehr bekommen haben. Bei einer durchschnittlichen Altersrente von 976 Euro im Monat, die Männer beziehen, macht das ein Plus von etwas mehr als zehn Euro aus.

Für Frauen ist es noch weniger: Deren Durchschnittsrente beläuft sich auf 465 Euro - auf fünf Euro mehr dürfen sie sich in Zukunft freuen. Diese Erhöhung gleicht nicht einmal die Inflationsrate aus. Allein die Energiekosten stiegen in den letzten vier Jahren um fast 30 Prozent. Vor allem Arbeitnehmer, die in den letzten Monaten in den Ruhestand gewechselt sind, spüren den Schwund an Kaufkraft deutlich im Portemonnaie. Sie erhalten mit einer durchschnittlichen Nettorente von 790 Euro im Vergleich zum Jahr 2000 bereits 10,5 Prozent weniger.

Keine genaue Definition von Altersarmut

Drei Frauen auf der Parkbank - AP
Das Alter genießen - immer weniger Deutsche können darauf hoffenBild: AP

Schon heute bewegen sich etliche Rentner am Rand der Armutsgrenze - auch wenn es nach wie vor keine genaue Definition davon gibt, was unter Altersarmut zu verstehen ist, wie Corinna Barkholdt von der Universität Dortmund erklärt. Es gebe lediglich Anhaltspunkte. "Es werden immer wieder verschiedene Grenzen diskutiert. Inzwischen hat sich als Grenze 60 Prozent des durchschnittlichen 'Nettoäquivalenzeinkommens' durchgesetzt. Das ist die Summe, die einem Haushalt pro Haushaltsmitglied zur Verfügung steht." Erwachsene Personen und Kinder würden unterschiedlich im Haushaltseinkommen gewichtet, erklärt die Expertin. Es werde ein Durchschnittswert ermittelt, der als Armutsgrenze gewertet wird. Dieser lag 2003 für Deutschland bei 1564 Euro im Monat.

Das allerdings ist das Vierfache von dem, was westdeutsche Rentnerinnen durchschnittlich zurzeit bekommen. Und wo das Geld knapp ist, wirkt sich das auch auf andere Lebensbereiche aus - wie Wohnen oder gesundheitliche Versorgung: Männer aus unteren Einkommensschichten sterben mit 72 im Schnitt 14 Jahre früher als Altersgenossen aus einkommensreichen Schichten, die im Schnitt 86 werden. Zu diesem Ergebnis kommt eine Untersuchung des Deutschen Gewerkschaftsbundes.

Caritas: Hälfte aller Rentner leben in verdeckter Armut

Der Deutsche Caritasverband geht außerdem davon aus, dass etwa die Hälfte aller Renter in Deutschland in verdeckter Armut lebt. Und selbst der maximale Rentenbetrag - den es nur nach 45 langen Berufs- und somit Beitragsjahren gibt - reicht in vielen Fällen kaum aus, gerade auch wegen der gestiegenen Lebenshaltungskosten. Doch über zusätzliche Einkommensquellen, unterstreicht Corinna Barkholdt, verfügten nur ganz wenige Ruheständler. Die Armutsquote der über 65-Jährigen liege bereits bei 11,4 Prozent, erklärt die Wissenschaftlerin.

Einsamkeit - AP
Einsamkeit - durch Arbeit wollen ihr viele Ruheständler entfliehenBild: AP

Und das Risiko der Altersarmut steigt absehbar rapide an. "Die 1000 Euro - das rechnet man heute als Standardeinkommen eines Rentners - wären unter dem Einfluss der beschlossenen Rentenreform heute nur noch 750 Euro. Das heißt ein Viertel weniger", sagt Barkholdt. Insofern kann es nicht verwundern, dass die Zahl der arbeitenden Rentner mit einem Mini-Job seit 2002 auf fast 820.000 in die Höhe geschnellt ist. Um finanziell über die Runden zu kommen, sind viele Ruheständler einfach gezwungen, sich etwas dazu zu verdienen. Jenseits der offiziellen Zahlen sind es jedoch weit mehr.

Arbeitende Rentner

Nach einer Untersuchung der Universität Wuppertal ging schon vor fünf Jahren jeder elfte Rentner einer regelmäßigen Arbeit nach. Unter dem Strich waren das schon mehr als zwei Millionen. Professor Günter Wachtler nennt die Gründe: "Das Bedürfnis nach Anerkennen. Sie wollen weiterhin gebraucht werden, sie wollen sich bestätigen." Ein weiterer Grund seien die sozialen Kontakte, die über die Arbeit entstehen. "Der dritte Grund, den wir gefunden haben, ist das Einkommen, das für viele noch relevant ist." Doch diese Motive haben sich innerhalb nur weniger Jahre gravierend verschoben. Inzwischen, so Wachtler, sei es so, dass durch die Veränderungen der sozialpolitischen Rahmenbedingungen "ein größerer Anteil von Rentnerinnen und Rentnern aus finanziellen Gründen dazu gezwungen sein wird, sich etwas dazu zu verdienen."

In spätestens 15 Jahren, so rechnen Sozialexperten, werden fast zwei Millionen Rentner unter die Armutsgrenze fallen. Sie werde ihren Lebensunterhalt allein nicht mehr bestreiten können und auf Unterstützung angewiesen sein. In vielen deutschen Großstädten gibt es bereits sogenannte Tafeln, soziale Einrichtungen mit ehrenamtlichen Helfern, in denen Lebensmittel kostenlos an Bedürftige verteilt werden. Und schon heute ist jeder Dritte, der zu diesen Tafeln kommt, ein Rentner.