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Zu viel Erfolg ist unerwünscht

Ingo Mannteufel13. November 2001

Die Truppen der Nordallianz rücken auf Kabul vor. US-Präsident Bush hat sich gegen eine Einnahme der Stadt durch die Nordallianz ausgesprochen. Dabei hat die US-Luftwaffe den Vormarsch erst ermöglicht.

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Nordallianz auf dem VormarschBild: AP

USA in der Zwickmühle

Die US-Führung steht vor einem Dilemma: Um die Taliban-Herrschaft zu brechen, haben die USA den Vormarsch der Nordallianz - nach einigem Zögern - aus der Luft massiv unterstützt. Der Einmarsch der Nordallianz-Truppen in der afghanischen Hauptstadt könnte aber vollendete Tatsachen schaffen: Der Sieg einer Seite im afghanischen Bürgerkrieg könnte eine künftige politische Lösung der ganzen Afghanistan-Problematik erschweren. Denn eine stabile Regelung des Konflikts erfordert nicht nur den Ausgleich der in Afghanistan kämpfenden Rebellengruppen. An der künftigen Ausgestaltung Afghanistans sind neben den starken Nachbarstaaten Afghanistans wie Pakistan, China und Iran auch Russland und vor allem die USA interessiert. Und auch die drei ehemaligen Sowjetrepubliken Turkmenistan, Usbekistan und Tadschikistan wollen berücksichtigt werden.

Rolle der Ethnien im afghanischen Bürgerkrieg

Insbesondere Pakistan lehnt die Nordallianz ab, die sich selbst "Vereinigte nationale islamische Front zur Rettung Afghanistans" nennt. Zu den führenden Köpfen der Nordallianz gehört auch Burhanuddin Rabbani, dessen Regierung von den Vereinten Nationen immer noch als rechtmäßige Staatsgewalt für Afghanistan anerkannt wird. In diesem Zweckbündnis haben sich Rebellentruppen zusammengeschlossen, die vorrangig aus Tadschiken, Hazara und Usbeken bestehen. Die größte Bevölkerungsgruppe Afghanistans – die Paschtunen – sind in der Nordallianz nicht vertreten. Mitte der neunziger Jahre bildete sich mit Hilfe Pakistans und anfangs auch der USA eine neue Milizen-Gruppe heraus: die Taliban. Diese angeblichen Koran-Schüler stammten in der Mehrzahl aus den afghanischen Flüchtlingscamps in Pakistan und gehörten vorrangig der ethnischen Gruppe der Paschtunen an.

Keine stabile Einigung ohne paschtunische Vertreter

Pakistan und die USA befürchten nun nicht nur, dass es im Falle einer Einnahme Kabuls durch die Nordallianz ethnisch motivierte Racheakte geben könnte: Viele Afghanen erinnern sich mit Schrecken an die Zeit zwischen 1992 und 1996, als die Einheiten der heutigen Nordallianz nach der Vertreibung des letzten kommunistischen Statthalters die Regierung in Kabul stellten. Gewaltsame interne Querelen, Morde, Folter und Vergewaltigungen überzogen Afghanistan. Vielmehr besteht die Gefahr, dass eine siegreiche Nordallianz die Beteiligung paschtunischer Vertreter bei der Schaffung neuer Staatsstrukturen ablehnen könnte.

US-Ziele

Andererseits: Das zu Beginn des Luftkrieges erklärte Ziel der USA war nicht die Befriedung Afghanistans. Es ging und geht immer noch darum, den mutmaßlichen Terroristenführer Osama Bin Laden zu fassen. Und die Kräfte, die ihn unterstützen und schützen - also die Taliban. Der Rückzug der Taliban aus Kabul könnte die Amerikaner näher an ihr Ziel bringen. Dennoch: Für eine grausame Herrschaft der Nordallianz in Kabul und eine Fortsetzung des afghanischen Bürgerkrieges nach der Ausschaltung Bin Ladens würden dann die USA mitverantwortlich gemacht.