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Nichts gehört und nichts gesehen

9. Dezember 2015

Mit ihrem spektakulären Auftritt im Münchner NSU-Prozess versuchte die mutmaßliche Terroristin Beate Zschäpe, sich von den Untaten ihrer beiden Mitstreiter Mundlos und Böhnhardt zu distanzieren.

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Zschäpe mit Verteidigern Grasel und Borchert (Foto: Reuters)
Die mutmaßliche Rechtsterroristin Beate Zschäpe mit ihren Verteidigern Borchert (l.) und GraselBild: Reuters/M. Dalder

Im Münchner NSU-Prozess hat die Hauptangeklagte Beate Zschäpe eine direkte Beteiligung an der Mordserie abgestritten. "Ich war weder an den Vorbereitungshandlungen noch an der Tatausführung beteiligt", erklärte Zschäpe in einem vor dem Oberlandesgericht München verlesenen Text. Von den Taten ihrer Kameraden Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos habe sie erst später erfahren, aber nicht die Kraft gehabt, sich zu stellen. Es war die erste persönliche Erklärung Zschäpes nach fast 250 Verhandlungstagen. Alle Einzelaussagen sind in unserem Live-Ticker nachzulesen.

Laut Zschäpe hatten Mundlos und Böhnhardt ihr über den - ersten - Mord an dem türkischen Blumenhändler Enver Simsek im September 2000 in Nürnberg erst drei Monate später berichtet. Die Tat hätte sie schockiert, erklärte Zschäpes Verteidiger Mathias Grasel im Namen seiner Mandantin vor Gericht.

Dass Mundlos und Böhnhardt 2007 die Polizistin Michèle Kiesewetter getötet hätten, sei geschehen, um ihre Dienstpistole stehlen zu können. Mit ihren bisherigen Waffen seien die beiden NSU-Mitglieder unzufrieden gewesen. Das Motiv für den Polizistenmord von Heilbronn galt bislang als unklar. Im Netz gab es vielfältige Reaktionen auf Zschäpes Einlassungen, unter anderem diese hier:

Zschäpe bestritt auch eine Mitgliedschaft im "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU). Sie habe sich weder damals noch später je als Mitglied gesehen. Der Name NSU sei alleine eine Erfindung von Mundlos gewesen, allenfalls könne noch Böhnhardt der Gruppe zugeordnet werden.

Dennoch entschuldigte sich Zschäpe in der Erklärung "aufrichtig" für die "von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt begangenen Straftaten". Sie fühle sich moralisch schuldig.

Triste Kindheit, Alkoholprobleme der Mutter

Das rechtsextreme Trio Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe soll 1998 in den Untergrund gegangen sein und dort unerkannt die Gruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) gebildet haben. Bis zu einem Banküberfall, nach dem sich Böhnhardt und Mundlos 2011 das Leben genommen haben sollen, soll das Trio neun Männer griechischer und türkischer Abstammung sowie die Polizistin Kiesewetter ermordet haben. Zudem werden sie verdächtigt, zwei Bombenanschläge und fünfzehn Überfälle verübt zu haben. Zschäpe ist als Mittäterin dieser Taten angeklagt.

Zu Beginn der Erklärung hatte sie über ihren Anwalt von einer tristen Kindheit und Alkoholproblemen ihrer Mutter berichtet. Zur Wendezeit sei ihre Mutter arbeitslos geworden. Dann schilderte Zschäpe ihre Verbindung zu Mundlos und Böhnhardt. Mit Beginn der Freundschaft zu Böhnhardt habe sich auch ihr Freundeskreis geändert, hieß es in der Erklärung. Böhnhardts Freunde hätten eine "offensivere nationalistische Gesinnung" gehabt und seien auch entsprechend aufgetreten.

Beate Zschäpe begrüßt ihren Anwalt Mathias Grasel (Foto: Reuters/M. Dalder)
Eine bislang im NSU-Prozess eher seltene Gefühlsregung Zschäpes bei der Begrüßung ihres Anwalts GraselBild: Reuters/M. Dalder

Zschäpe wirkte beim Betreten des Gerichtssaales gelöst, lächelte und ließ sich vor Verhandlungsbeginn ungehindert von den zahlreichen Journalisten fotografieren. Das im Mai 2013 eröffnete Verfahren gegen Zschäpe und vier weitere Angeklagte wurde bisher überwiegend als Indizienprozess geführt. Umfassend hat sich bisher lediglich ein Angeklagter mit einem Geständnis geäußert. Grasel war vom Gericht erst im laufenden Verfahren als Zschäpes vierter Pflichtverteidiger bestellt worden, nachdem sie sich mit ihren übrigen Pflichtverteidigern überworfen hatte.

Opferanwalt: Nur ein "Lügenkonstrukt"

Der Opferanwalt Mehmet Daimagüler bezeichnete die Aussage Zschäpes in einer ersten Reaktion als unglaubwürdig. Zschäpe habe ein "Lügenkonstrukt" vorgelegt. "Ich habe ihr heute kein Wort geglaubt", sagte Daimagüler. Der Nebenklage-Anwalt Sebastian Scharmer sagte, Zschäpe werde sich nicht vor einer Verurteilung retten können. "Zschäpe als Ahnungslose, den beiden Mittätern unterlegene Frau, die von den Taten jeweils vorher nichts wusste - das glaubt ihr niemand, der die Verhandlung von Anfang an besucht hat." Sein Kollege Stephan Lucas notierte: "Heute hat man sehr gut verstehen können, warum es manchmal klug ist, einfach den Mund zu halten." Bundesanwalt Herbert Diemer sagte, die Ausführungen Zschäpes seien "ein Beweismittel unter vielen". Eine Bewertung wollte Diemer noch nicht vornehmen.

Das Strafverfahren gegen Zschäpe und insgesamt vier mutmaßliche Helfer des "Nationalsozialistischer Untergrunds" (NSU) zählt zu den spektakulärsten und umfangreichsten der deutschen Geschichte. Beobachter erwarten ein Urteil im Frühjahr 2016.

sti/cr (afp, dpa, rtr)