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Zitronen machen Zellen jung

Michael Lange30. Januar 2014

Um Stammzellen im Labor herzustellen, brauchten Wissenschaftler bislang Gentechnik oder komplizierte Biochemie. Nun reicht ein Spritzer Zitronensäure - behaupten zumindest Forscher aus Japan.

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Mäuseembryo (Foto: Haruko Obokata (RIKEN))
In einem Mäuseembryo bildeten die Stammzellen aus dem Labor alle möglichen GewebetypenBild: Reuters

Ein überraschendes Ergebnis aus Japan gibt der Wissenschaft Rätsel auf. Die Entwicklungsbiologin Haruko Obokata vom RIKEN-Forschungszentrum in Kobe zeigte in einem Experiment, wie einfach es sein kann, aus reifen Körperzellen jugendliche Alleskönner zu machen.

Dafür verwendete sie Blutzellen aus neugeborenen Mäusen. Mit etwas Zitronensäure senkte sie den pH-Wert der Flüssigkeit, in der die Zellen schwammen, unter einen Wert von 5,8. Das ist längst nicht so sauer wie Zitronensaft oder Limonade - reicht aber aus, um den Zellen das Leben schwer zu machen.

Die meisten Zellen gingen zu Grunde, aber einige wenige wurden zu vielseitigen Alleskönnern. Auf sie wirkte das Säurebad wie ein Jungbrunnen.

Das Geheimnis der Stammzellen

Wenn Zellen besonders vielseitig sind, sprechen Stammzellenforscher von Pluripotenz. Das heißt: Zellen können sich nahezu beliebig umwandeln - zu Hautzellen, aber auch zu Muskel-, Leber- oder Nervenzellen.

Von Natur aus weisen nur embryonale Stammzellen diese Pluripotenz auf. Mittlerweile aber haben Forscher Methoden entwickelt, mit denen sie im Labor gewöhnliche, reife Zellen des menschlichen Körpers pluripotent machen können.

Für die erste derartige künstliche Verjüngung erhielt der Japaner Shinya Yamanaka im Jahr 2012 sogar den Medizinnobelpreis. Er entdeckte genetische Faktoren, mit denen er Hautzellen zu pluripotenten Alleskönnern machte. Seitdem wurden die Verfahren immer ausgefeilter - bis Haruko Obokata zeigen konnte, dass es auch ganz einfach geht: mit etwas Säure.

Von der Maus zum Menschen

Die Vielseitigkeit der Zellen im Säurebad bewies die Wissenschaftlerin, indem sie die Zellen in einen Mäuseembryo verpflanzte. Dort bildeten sie alle Gewebetypen, die bei Säugetieren vorkommen. Damit war die Pluripotenz der Zellen bewiesen.

Forscher am Mikroskop (Foto: ANNE-CHRISTINE POUJOULAT/AFP/Getty Images)
Sind die Stammzellen richtige Stammzellen? Dazu verpflanzen die Forscher sie in MäuseembryosBild: AFP/Getty Images

Haruko Obokata nannte ihre Stammzellen STAP-Zellen. Das steht für Pluripotenz, die durch einen äußeren Stimulus, also Reiz, ausgelöst wird - in diesem Fall durch die Säure.

Nach ihren Experimenten mit Zellen aus neugeborenen Mäusen testete sie auch Zellen aus erwachsenen Tieren. Dabei zeigte sich das gleiche Phänomen, wenn auch nicht so stark ausgeprägt.

Nun will sie herausfinden, ob auch Zellen des Menschen ähnlich auf Säure reagieren. Diese Versuche haben aber gerade erst begonnen. Über die Ergebnisse will die zurückhaltende Forscherin lieber nichts verraten.

Der Stress macht´s möglich

Unterdessen rätselt die Fachwelt über die überraschenden Ergebnisse aus Japan. "Der Stress ist das Entscheidende", sagt der Kölner Stammzellenforscher Jürgen Hescheler. Er züchtet am Institut für Neurophysiologie der Kölner Universität aus unterschiedlichen Stammzellen Herzzellen. "Das Säurebad schädigt die Zellen und bedroht ihr Leben. Um zu überleben, flüchten die Zellen in einen embryonalen Status."

Die Ergebnisse aus Japan findet er sehr interessant, meint aber auch, sie müssten zunächst überprüft und kritisch hinterfragt werden.

Zellen im Wettbewerb

Wie viele andere Forscher möchte Jürgen Hescheler das Verfahren aus Japan demnächst im eigenen Labor überprüfen. Er will wissen, ob sich die pluripotenten Zellen zu Herzzellen weiterzüchten lassen.

Indem er sie ausprobiert, möchte er die Fähigkeiten der Zellen besser kennen lernen und herausfinden, ob sie irgendwelche Defekte aufweisen. Immerhin wurden die Zellen durch die Säure geschädigt, und die Transplantationsmedizin braucht perfekte Zellen.

Auch die Forscher am RIKEN-Forschungszentrum in Kobe wollen ihre Zellen weiter untersuchen. Erst nach Monaten oder sogar Jahren werden sie wissen, ob ihre überaschende Beobachtung eine Revolution war für die Stammzellenforschung oder doch nur eine biologische Kuriosität.