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Musik

Zeynep Gedizlioglu und das Beethovenfest

Sinem Özdemir
30. August 2021

Ihre Musik passt in keine Schublade und begeistert die Kritiker. Für das Campus-Konzert schrieb Zeynep Gedizlioglu ein Werk über Einsamkeit in Corona-Zeiten.

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Komponistin Zeynep Gedizlioglu
Zeynep Gedizlioglu komponierte nicht zum ersten Mal für das Campus-ProjektBild: Dan Safier

"Entlang der Lieder": So heißt das neueste Werk der Komponistin Zeynep Gedizlioglu. Es wurde noch vor der Corona-Pandemie von der DW und dem deutschen Musikrat in Auftrag gegeben und jetzt beim "Campus-Projekt" in Bonn im Rahmen des Beethovenfestes unter Johannes Kalitzke von den jungen Musikern des "Campus-Projektorchesters" uraufgeführt. Das Konzert wurde von DW classical music live gestreamt und von mehreren tausend Musikliebhabern weltweit live oder zeitversetzt verfolgt.

Inspiriert von Deep Purple 

Zeynep Gedizlioglu stammt aus der Türkei. Doch sie definiert sich nicht über ihrer Nationalität, sondern als "Mensch, der Kunst produziert. Und dies unabhängig von Herkunft, Nationalität oder Geschlecht". 

Die Musikerin wurde 1977 in Izmir geboren, einer sonnenverwöhnten Stadt im Westen der Türkei, wo seit der Antike die unterschiedlichsten Kulturen aufeinandertreffen und sich gegenseitig bereichern. Mit acht Jahren zog sie mit ihrer Familie nach Istanbul, die Metropole am Bosporus, die mit ihrem faszinierenden Chaos so ganz anders ist als Izmir. 

Stadtansicht von Izmir
"Diese Stadt ist ein Teil von mir": Zeynep Gedizlioglu wurde in der west-türkischen Metropole Izmir geborenBild: Imago/R. Mainse

Als Tochter einer Schauspielerin und eines Malers entdeckte Gedizlioglu ihre Leidenschaft für Musik bereits als Neunjährige. Zeyneps Augen strahlen, wenn sie von einem ihrer frühesten Musikerlebnisse erzählt - auf ihrem Kassettenrekorder hörte sie das Album "Perfect Strangers" der Rockband Deep Puprle. "Ohne zu wissen, wie die Musiker aussehen, ohne wissen zu wollen, wer sie sind, war ich von der akustischen Erfahrung mitgerissen", erinnert sich die Komponistin. Ihre Entscheidung stand fest: Auch sie wollte Musik machen.

Der Traum vom Konzertsaal

Mit elf Jahren begann ihre Musikausbildung. Erst spielte Zeynep Gedizlioglu Oboe, nach vier Jahren dann widmete sie sich am staatlichen Konservatorium der Kompositionslehre. Ihr Traum: eines Tages ihre eigenen Werke in den Konzertsälen zu hören. "Das war aber damals in der Türkei nicht vorstellbar, außer wenn es um ein Klaviersolo ging", erzählt sie. Die Möglichkeiten seien begrenzt gewesen, und wahrscheinlich habe man sich nicht vorstellen können, Stücke von Studierenden aufzuführen. 

 Zeynep Gedizlioglu (links im Bild) mit Nike Wagner, Intendantin des Beethovenfestes, Barbara Massig, Verwaltungsdirektorin der DW und Anastassia Boutsko, Kulturredakteurin
Bei der Premiere in Bonn: Zeynep Gedizlioglu (links im Bild) mit Beethovenfest-Intendantin Nike Wagner und DW-MitarbeiterinnenBild: Barbara Frommann

So ging die damals 24-Jährige nach Deutschland. Es war nicht ihre erste Wahl, doch ihre beste Freundin, die bereits dort studiert hatte, hatte vom guten Lehrangebot für angehende Komponisten berichtet. In Saarbrücken studierte Zeynep Gedizlioglu bei Theo Brandmüller, in Karlsruhe beim großen Wolfgang Rihm, dem Papst der Neuen Musik. Eher zufällig landete sie eines Tages in Berlin, um dann - wie so viele internationale Künstler - jahrelang zu bleiben. "Egal wo man herkommt, egal wer man ist, man findet seinen Platz in Berlin", so Zeynep.

Musikalische Identität jenseits aller Klischees 

Türkin? Deutsche? Berlinerin? Für die Komponistin sind Begriffe wie diese eher zweitrangig. Auch wenn sie die Erfahrung gemacht hat, dass Menschen aufgrund ihrer Herkunft oft in Schubladen gesteckt werden. Aber sollte sie nur orientalische Klänge komponieren, weil sie in der Türkei geboren ist? "Das war nichts für mich", sagt sie. Klischees wolle sie nicht bedienen, ihre Musik sei multikulturell.

Und dennoch hat Zeynep Gedizlioglu ein Stück Türkei mitgebracht. "Ich trage etwas von Istanbul, etwas von Izmir in mir. Die Gerüche der Kindheit, die Sehnsucht trage ich immer mit mir." Tatsächlich klingt in einigen ihrer Stücke ein Hauch von Türkei an. So lässt sich das Stück "Jetzt - Mit meiner linken Hand" mit dem lebhaften Treiben von Istanbul assoziieren. Aber die Türkei, die Zeynep in ihren Werken reflektiert, soll auf keinen Fall nach Abgrenzung und Isolation klingen: "Ganz im Gegenteil: Ich versuche, die Türen so weit wie möglich zu öffnen!" 

Und noch etwas ist Gedizlioglu wichtig: dass Künstlerinnen weltweit mehr gefördert werden. Und zwar, ohne viel Worte darüber zu verlieren, einfach, weil es eine Selbstverständlichkeit sein sollte. "Denn die Musik selbst hat kein Geschlecht", betont sie: "Man sagt ja letztendlich nicht: Oh, das hat ein Frau oder ein Mann komponiert, wenn man meine Musik hört."

Ringen um Worte in Corona-Zeiten

Bereits 2013 begeisterte Zeynep Gedizlioglu mit dem ebenso im Auftrag der DW entstandenen Werk "Durak" die internationale Campus-Gemeinde. Durak, was auf Türkisch so viel wie "Zäsur" oder "Einhalten" bedeutet, bezog sich auf die Proteste in Istanbul.

Spielendes Orchester beim Campus Beethovenfest 2021
Beim Campus-Konzert 2021 trat der musikalische Nachwuchs aus 15 europäischen Nationen an Bild: Barbara Frommann

"Entlang der Lieder", das neue Werk, entstand während einer anderen Krise - der Corona-Pandemie. Aufgrund der Umstände musste das Werk mehrfach umgeschrieben und geändert werden. "Es ist eine Art Tagebuch", sagt die Komponistin. "Das Tagebuch einer schwierigen, aber auch spannenden Zeit, eine Geschichte des Kampfes", so Zeynep Gedizlioglu - eines Kampfes gegen die Isolation, gegen die Sprachlosigkeit.

Sie definiert dieses Stück als "Wunsch nach Liedern und Melodien, ein Versuch etwas auszusprechen, indem man versucht, es zu singen". Der Titel "Entlang der Lieder" bezieht sich laut Gedizlioglu auch darauf: "Jedes Mal scheitert der Gesang auf unterschiedliche Art und Weise. Aber der Versuch hört nie auf."