Zensur im Netz
22. Mai 2009Syriens Medienlandschaft ist trotz einer Liberalisierung in den vergangenen Jahren überschaubar. Neben der staatlichen Nachrichtenagentur SANA und drei offiziellen Tageszeitungen gibt es einige private Printmedien, von denen allerdings die wenigsten politisch ausgerichtet sind. Gleiches gilt für private Radio- und Fernsehsender, die in erster Linie der Unterhaltung und nicht der kritischen Berichterstattung dienen. Das Internet könnte in Syrien deshalb eine wichtige Rolle als Informationsquelle spielen, doch die Regierung in Damaskus versucht das mit verschiedenen Mitteln zu verhindern. Online-Journalisten werden zensiert, Blogger landen im Gefängnis, und wer ein Internetcafé betritt, muss sich zunächst ausweisen.
Besonders junge Menschen gelten als "verdächtig"
Die Registrierung des Namens und der Ausweisnummer eines Kunden ist den Internetcafébesitzern gesetzlich vorgeschrieben, wird aber je nach Standort unterschiedlich gehandhabt. Während im Universitätsviertel von Damaskus schon Aushänge in den Schaufenstern der Cafés auf die Registrierung der Besucher hinweisen und Angestellte dort zusätzlich beobachten, welche Internetseiten ein "verdächtiger" Kunde aufruft, fragen Betreiber in Diplomatenvierteln oder in der von Touristen frequentierten Altstadt selten nach dem Ausweis.
"Vor allem Studierende, Uni-Absolventen und andere junge Leute sollen überwacht werden", sagt Mazen Darwich, der Leiter des Zentrums für Medien und Meinungsfreiheit in Damaskus. Anfang Mai legte das Zentrum eine neue Studie zur syrischen Medienlandschaft vor, die auf eine stärkere Überwachung und Zensur des Online-Journalismus hinweist.
Einschüchterung als Druckmittel
Da sich das Internet auch in Syrien nicht hundertprozentig kontrollieren lasse und die Sperrung bestimmter Seiten technisch einfach zu umgehen sei, setze die Regierung vor allem auf psychologische Effekte, erklärt Darwich. Maßnahmen wie die Kundenregistrierung in Internetcafés dienten eher der persönlichen Verunsicherung als einer effektiven Überwachung, sagt er. "Wenn ich eine verbotene Internetseite öffnen will, aber im Vorfeld meine Daten registriert werden, dann habe ich Angst und lasse es lieber bleiben", so Darwich.
Vor dem gleichen Hintergrund betrachtet der Medienexperte die Urteile gegen fünf Internetaktivisten, die derzeit mehrjährige Haftstrafen absitzen. Zuletzt verurteilte das Oberste Strafgericht in Damaskus Anfang April den Autor Habib Saleh zu drei Jahren Gefängnis, für den 61-Jährigen bereits die dritte Haftstrafe in neun Jahren.
Die Anschuldigungen seien stets die gleichen, betont Darwich, sie reichen von der "Verbreitung falscher Informationen" über die "Schwächung nationaler Gefühle und Diffamierung des Präsidenten" bis zum "Schüren ethnischer und konfessioneller Konflikte“ und setzten dadurch das in der syrischen Verfassung festgeschriebene Recht auf freie Meinungsäußerung außer Kraft. Das Regime habe an den fünf Aktivisten ein Exempel statuiert, damit syrische Blogger und Online-Journalisten eine Art Selbstzensur entwickelten, meint der Leiter des Medienzentrums.
Vorladung beim Geheimdienst
Die syrische Journalistin Bahia Mardini bemüht sich, diese ihrer Meinung nach "schlimmste Form der Zensur“ nicht aufkommen zu lassen. Die 39-Jährige schreibt seit Jahren für die in London produzierte Internetseite "Elaph", eines von zahlreichen Nachrichtenportalen, die in Syrien gesperrt sind. Bis heute hat das Informationsministerium die Korrespondentin nicht akkreditiert, Mardini besitzt keinen syrischen Presseausweis. Wie viele ihrer Kollegen muss sie regelmäßig beim Geheimdienst erscheinen.
Bei ihrer letzten Vorladung sei es um eine Nachricht über die Probleme der Kurden gegangen, erinnert sich die Journalistin. "Sie sagten mir, diese Nachricht hättest du nicht veröffentlichen sollen, ich antwortete, sie sei aber wahr und von drei Quellen bestätigt", so Mardini. Dann habe sie ihren Kaffee getrunken und sei gegangen.
Geheimdienst als Teil der Redaktion
Die Einmischung der Sicherheitsdienste in die Arbeit syrischer Online-Journalisten geht indes noch weiter, erzählt Mazen Darwich vom Zentrum für Medien und Meinungsfreiheit. Früher hätten fast alle syrischen Internetseiten über die Aktivitäten des Medienzentrums berichtet, so Darwich. Doch dann seien die Herausgeber vom Geheimdienst unter Druck gesetzt worden.
"Sie bekamen Hinweise, dass alles, was mit unserem Zentrum zu tun hat, nicht mehr veröffentlicht werden sollte", sagt der Aktivist und spricht von einer "täglichen Einmischung" in die redaktionelle Arbeit der Internetseiten. "Freunde erzählen mir, dass die Geheimdienstler manchmal schon Minuten nach Erscheinen einer Nachricht im Internet anrufen und diese als ungenau oder sensibel kritisieren“, berichtet Darwich. Der Geheimdienst sei folglich Teil der Redaktion geworden.
Zahl der Internetnutzer explodiert
Dahinter stecke die Angst des Regimes vor dem wachsenden Einfluss des Internets und dem damit verbundenen Kontrollverlust, meint der 35-Jährige. Die Zahl der syrischen Internetnutzer sei in den vergangenen Jahren regelrecht explodiert, sagt Darwich, inzwischen gehe fast ein Fünftel der Syrer regelmäßig online. Die meisten nutzen das Internet von zuhause aus und wählen sich über ihre private Festnetznummer ein. Angesichts der Wohnverhältnisse und engen Familienbande in Syrien ist davon auszugehen, dass jeweils vier bis fünf Personen einen Anschluss nutzen. Wer sich vertraglich nicht binden und monatliche Fixkosten vermeiden will, kann mit günstigen prepaid-Karten nach Bedarf im Netz surfen.
Interessanterweise ist diese Entwicklung auch der Technologie-Förderung des jungen syrischen Präsidenten Bashar Al Assad zu verdanken, der das Internet nach seinem Amtsantritt im Jahr 2000 für die breite Bevölkerung zugänglich gemacht hat. Assads Regierung propagiert ein modernes und offenes Syrien, aber bitte ohne kritische Töne zur innenpolitischen Lage. In seinem Bericht vom Mai 2009 zählt das Zentrum für Medien und Meinungsfreiheit mehr als 230 gesperrte Internetseiten.
Vielfach fehlen journalistische Standards
Korrespondentin Mardini sieht allerdings auch die Journalisten in der Verantwortung. Viele Internetseiten arbeiteten unseriös, sagt sie und beklagt ein "Chaos im Netz". "Jeder Journalist macht hier seine eigene Seite, aber viele dieser Seiten ähneln sich, sie schreiben voneinander ab, bedienen sich bei Agenturen und Zeitungen und das wars", kritisiert Mardini.
Dabei sei professioneller Journalismus in einem Land wie Syrien besonders wichtig, um das Vertrauen der Behörden in die Medien zu stärken, meint die Elaph-Korrespondentin. Wer sauber recherchiere, nicht übertreibe und sachlich formuliere, gerate weniger in Konflikt mit den Geheimdiensten und könne den Freiraum der Berichterstattung schrittweise erweitern, sagt sie. "Wir haben immer geträumt, dass eine syrische Zeitung über die Prozesse im Staatssicherheitsgericht berichtet", so die Journalistin. Das sei früher undenkbar gewesen und heute Realität. "Das bedeutet, dass sich etwas verändert und es liegt an uns Journalisten, diesen Freiraum auszubauen, indem wir gewissenhaft und korrekt arbeiten", betont Mardini.
Autor: Kristin Helberg
Redaktion: Stephanie Gebert