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Zarter Medien-Frühling in Nordafrika

4. Mai 2011

Die Revolutionen in Nordafrika waren auch Medien-Revolutionen, insbesondere des Internets. In Ländern wie Tunesien geht es nun darum, eine freie Presse zu etablieren. Bis es soweit ist, wird wohl noch viel Zeit vergehen.

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Menschenrechtsorganisation "Reporter ohne Grenzen" protestiert in Berlin gegen weltweite Journalisten-Verfolgung (Foto: Reporter ohne Grenzen)
"Reporter ohne Grenzen" protestieren gegen Verfolgung von JournalistenBild: Reporter ohne Grenzen

Slim Amamou steht sinnbildlich für den Umbruch in Tunesien. Leute wie er waren in der Logik des gestürzten Regimes Staatsfeinde. Der Internet-Aktivist und Blogger landete wegen seines Engagements für Meinungsfreiheit und Demokratie im Gefängnis. Nach seiner Freilassung wurde er Staatssekretär für Jugend und Sport in der Übergangsregierung, die bis zu den ersten freien Wahlen die Geschäfte führt.

Das Internet und soziale Netzwerke hätten den Sturz des Diktators Ben Ali beschleunigt, ist Amamou überzeugt. Darin waren sich alle Teilnehmer einer Gesprächsrunde in Berlin einig. "Despotendämmerung – Nachrichten aus Nordafrika und dem Nahen Osten" lautete das Motto der Veranstaltung. Eingeladen hatten am Internationalen Tag der Pressefreiheit (03.05.2011) der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV), der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) und die Menschenrechtsorganisation "Reporter ohne Grenzen".

Journalisten fangen bei Null an

Slim Amamou, tunesischer Blogger und Politiker, auf einer Veranstaltung zur Pressefreiheit in Nordafrika(Copyright: BDZV / Erik Staschöfsky)
Slim Amamou, tunesischer Blogger und PolitikerBild: BDZV/Erik Staschöfsky

Slim Amamou warnt davor zu glauben, das Ziel schon erreicht zu haben, nur weil Journalisten nun theoretisch über alles berichten könnten. Es reiche nicht aus, die Presse zu liberalisieren. Die Journalisten in Tunesien fingen nämlich praktisch bei Null an. Jahrzehnte der staatlich gelenkten Propaganda haben Spuren hinterlassen. "Die Zensur war Teil der allgemeinen Korruption, und auch die Journalisten wurden durch das alte System korrumpiert", sagt Jungpolitiker Amamou. Die Journalisten könnten mit der neuen Freiheit noch nicht richtig umgehen. Sie seien es über viele Jahre gewohnt gewesen, Befehle zu empfangen. Jetzt müssten sie erst wieder lernen, journalistisch zu arbeiten.

Amamous Einschätzung wird von dem deutschen Nahost-Experten und Berater der Bundesregierung, Michael Lüders, geteilt. Es gehe darum, Mentalitäten zu verändern. "Dass eine Person letztlich entscheidet, wie es gemacht wird, das sind tief verwurzelte Mechanismen, die in den Menschen drinstecken." Es werde lange dauern, bis dieses patriarchalische Denken, das Delegieren von Verantwortung nach oben überwunden sei, glaubt Lüders.

Keine Radio-Lizenz für Menschenrechtlerin

Wie schwierig es ist, der Presse-Freiheit zum Durchbruch zu verhelfen, weiß die zu Ben Alis Zeiten verfolgte und ins Exil getriebene Menschenrechtlerin Sihem Bensedrine. Auf eine Lizenz für ihr Internet-Radio "Kalima" wartet sie noch immer. Die alten Kräfte seien weiter aktiv. Initiativen von journalistischen Anfängern haben es demnach schwer. "Das sind kleine Internet-TV und Radio-Stationen, die kaum über Mittel verfügen, sie zu betreiben", beschreibt Bensedrine das Dilemma.

Sihem Bensedrine, tunesische Menschenrechtlerin und Autorin, auf einer Veranstaltung zur Pressefreiheit in Nordafrika (Copyright: BDZV / Erik Staschöfsky)
Sihem Bensedrine, tunesische Menschenrechtlerin und AutorinBild: BDZV/Erik Staschöfsky

Gefährlich scheint die Arbeit noch immer zu sein. Journalisten seien Repressionen durch die Polizei ausgesetzt. Es gebe Verhaftungen und Verurteilungen unter fadenscheinigen Begründungen, beklagt die Menschenrechtlerin überwunden geglaubte Zustände. Womöglich war es also ein wenig voreilig von der Menschenrechtsorganisation "Reporter ohne Grenzen", Tunesien von der Liste "Feinde der Pressefreiheit" zu nehmen. Auf dieser jährlich aktualisierten Liste stehen zurzeit 38 Länder.

Kooperationen mit der Deutschen Welle

Trotz aller Behinderungen zeichnen sich in Tunesien aber auch Fortschritte ab. Dazu trägt die Deutsche Welle bei, die Kooperationen mit staatlichen und privaten Medien in Tunesien vereinbart hat. Sihem Bensedrine und Slim Amadou sind dafür sehr dankbar. Der bloggende Politiker hält die Zusammenarbeit mit dem deutschen Auslandsrundfunk für einen wichtigen Baustein auf dem Weg zu mehr Freiheit in allen gesellschaftlichen Bereichen.

Am wichtigsten sei die Zusammenarbeit auf der kulturellen Ebene. "Wir müssen von Ihnen lernen, wie Demokratie funktioniert", warb er bei seinen deutschen Gastgebern in Berlin um breite Unterstützung. Dazu zählt Amamou auch und ganz besonders wirtschaftliche Hilfe für sein Land. Denn ohne Investitionen aus dem Westen würden die jungen Menschen keine Perspektive haben.

Autor: Marcel Fürstenau

Redaktion: Michael Borgers