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Youtube, hör die Signale!

Josephine Schulz
23. August 2019

Youtuber haben eine eigene Interessenvertretung gegründet. Sie fordern Transparenz und Mitbestimmung. Unterstützung kommt von Deutschlands größter Gewerkschaft. Zusammen haben sie Youtube ein Ultimatum gestellt.

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Screenshot YouTube Account Bart Mensch
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Für die größte Videoplattform der Welt tickt die Uhr. Bis zum 23. August haben die YoutubersUnion und die deutsche Gewerkschaft IG Metall dem Konzern Zeit für eine Antwort gegeben. Auf ihrer gemeinsamen Website "Fairtube.info" zählt ein Countdown die Tage, Stunden, Minuten und Sekunden.

Die Vereinigung der Youtuber und die Gewerkschaft fordern bessere Arbeitsbedingungen für die Video-Produzenten. Sie wollen darüber mit Youtube in Verhandlung treten. "Es liegt jetzt an Youtube, ob sie reagieren oder nicht", sagt Robert Fuß von der IG Metall gegenüber der DW.

Man sei auf beide Szenarien vorbereitet. "Wenn es eine Antwort auf unsere Gesprächsaufforderung gibt, dann treten wir natürlich in Gespräche ein. Wenn es keine gibt, dann müssen wir eben die Daumenschrauben ein wenig anziehen und den Druck erhöhen."

Mit erhöhtem Druck meint der Gewerkschafter Klagen gegen die Google-Tochter. Denn die Gewerkschaft ist der Meinung, Youtube verstoße möglicherweise gegen Datenschutzbestimmungen und Arbeitsrechte. Youtube selbst äußerte sich auf Anfrage nicht zu der Deadline und teilte nur mit, bei "Treffen mit Hunderten von YouTube-Creatorn jedes Jahr" stehe man "mit allen Akteuren in ständigen Austausch".

"Creator" heißen bei Youtube all jene, die Videos produzieren und hochladen.

Am Anfang stand die Armbrust

Die Allianz der Youtuber und der IG Metall unter dem Namen "Fairtube" ist auf den ersten Blick überraschend. Denn die IG Metall vertritt in Deutschland die Arbeiter der Industrie- und Elektronikwirtschaft. Und bei den Forderungen an Youtube geht es nicht um Lohnerhöhungen oder Urlaubsansprüche, sondern um Transparenz bei Algorithmen und der Platzierung von Werbung.

Fuß dagegen meint: "Transparenz und Offenheit sind urgewerkschaftliche Forderungen." Auch die Frage nach Branchenzugehörigkeit stelle sich heute viel weniger. "Spätestens mit der Plattformökonomie lösen sich Branchen- und Berufszugehörigkeiten immer weiter auf."

Angefangen hatte alles mit einer Reihe von kuriosen Steinschleudern. Der 54-jährige Jörg Sprave testet auf seinem Youtube-Kanal "The Slingshot Channel" selbstgebaute Steinschleudern und Katapulte - eine Armbrust für Bleistifte zum Beispiel oder eine Kondom-Schleuder. Viele seiner Videos gingen viral und Sprave verdiente gut daran. Denn mehr Klicks bedeuten mehr Einnahmen aus Werbung. 2017 änderte Youtube dann seine Regeln. Kunden sollten ihre Werbung in einem "freundlichen Umfeld" platzieren können. Videos von Sprave wurden heruntergestuft, weil Youtube die Schleudern als Waffen einstufte. Die Werbeeinnahmen brachen weg.

Vom "Traumjob" zum "Albtraumjob"

"Youtuber zu sein ist für viele junge Menschen ein Traumjob", sagt Sprave in einem aktuellen Video. Durch die Änderung der Regeln sei daraus aber ein "Albtraumjob" geworden. "Seinen Lebensunterhalt durch Youtube-Videos zu finanzieren, ist nicht länger möglich."

Das will Sprave aber nicht hinnehmen. Im vergangenen Jahr gründete er die YoutubersUnion: Die erste selbstorganisierte Interessenvertretung von Youtubern. Auf Facebook hat die Gruppe mittlerweile über 22.000 Mitglieder. Auch in den sozialen Netzwerken bekommt Sprave viel Unterstützung für seinen Kampf gegen den Plattformgiganten.

"Es scheint, dass Youtube keine unabhängigen Youtuber auf seiner Plattform mehr will", meint Sprave. Videos von normalen Menschen würden zensiert, von Werbung und Empfehlungslisten ausgeschlossen oder ganze Channel gesperrt, Promis und große Medienkonzerne dagegen bevorzugt.

Das mag auch daran liegen, dass soziale Netzwerke wie Youtube seit einiger Zeit der Kritik ausgesetzt sind, gewaltverherrlichende und diskriminierende Inhalte nicht konsequent genug zu entfernen. Mit dem 2017 verabschiedeten Netzwerkdurchsetzungsgesetzdrohen Plattformen in Deutschland Bußgelder bis zu fünf Millionen Euro, wenn sie Hinweise auf strafbare Inhalte nicht zügig  bearbeiten.

Youtube soll alles offenlegen

Dass Youtube ein Auge auf die Inhalte haben muss, versteht Sprave. Seine Youtuber-Bewegung und die IG Metall fordern aber, dass die Plattform vollständig offenlegt, nach welchen Regeln Videos gelöscht, freigegeben oder von Werbung ausgeschlossen werden. Außerdem wollen sie menschliche Ansprechpartner bei dem Konzern, eine unabhängige Schlichtungsstelle und einen Beirat, in dem Videomacher über die Youtube-Regeln mitbestimmen können.

Formal ist Youtube für die "Creators" kein Arbeitgeber. Das macht die Plattform immer wieder deutlich. Gewerkschafter Robert Fuß sieht trotzdem ein starkes Abhängigkeitsverhältnis.

"Es ist kein Zwang in dem Sinne, dass den Youtubern vorgeschrieben wird, dass sie zum Beispiel täglich um 14.00 Uhr ein Video hochladen müssen. Aber es ist eine indirekte Steuerung, dass die Youtuber permanent gezwungen sind, ständig neues Material zu liefern, weil sie ansonsten in den Bewertungssystemen nach hinten absacken." Die Creators seien den undurchsichtigen Regeln von Youtube absolut ausgeliefert.

Weihnachtsgeld für Youtuber?

Die Gewerkschaft droht der Plattform nun damit, vor Gericht prüfen zu lassen, ob es sich bei den Creators um Scheinselbstständige handelt. Als scheinselbstständig gelten Menschen, die von einem Arbeitgeber abhängig sind, von diesem kontrolliert und angewiesen werden, formal aber auf eigene Rechnung arbeiten.

Würde ein Gericht entscheiden, dass das auf Youtuber zutrifft, könnte das im schlimmsten Fall für die Plattform bedeuten, dass rückwirkend Sozialversicherungsbeiträge für mehrere Jahre fällig werden und den Youtubern klassische Arbeitnehmerrechte wie Kündigungsschutz zustehen.

Arbeitsrechtler sehen allerdings wenig Chancen auf Erfolg. Und auch junge Kreative selbst finden den Vorwurf teilweise absurd.

"Bullshit" sei das, sagen David Hain und Robin Blase in ihrem Podcast "Lästerschwestern". Sie würden keinen Youtuber kennen, der sich ausschließlich über die Werbung auf Youtube finanziere. "Das mag für Jörg Sprave gelten, aber für uns gilt das nicht."

Ohne Arbeitgeber keine Rechte

Dennoch zeigt der Fall vor allem eines: Eine durch Plattformen dominierte Ökonomie stellt das klassische Verständnis von Erwerbsarbeit grundlegend in Frage. Die Grenzen zwischen Freiberuflern und Angestellten verschwimmen. Das gilt für die sogenannten Clickworker, die auf Zuruf von Plattformen etwa Texte bearbeiten, genauso wie für Uber-Fahrer.

Die Rechte solcher Fahrer hatte kürzlich ein Gericht in der Schweiz gestärkt. Es gab einem Fahrer Recht, der gegen seine Kündigung geklagt hatte, und stufte ihn als Angestellten des Fahrdienstleisters ein.

Gerade Arbeitnehmervertreter geraten im Bereich der Plattformen schnell an ihre Grenzen. Die Crowdworker arbeiten in der Regel allein und sind über die ganze Welt verstreut. Klassische gewerkschaftliche Organisation, die sich noch immer am Nationalstaat ausgerichtet, ist da schwierig. Zudem fehlt das Gegenüber. Obwohl die Plattformen mit den Inhalten der Nutzer große Gewinne erwirtschaften, verstehen sie sich nicht als Arbeitgeber. Und wo kein Arbeitgeber, da lassen sich auch keine Tarifverträge verhandeln.

Die IG Metall setzt deshalb auf Selbstverpflichtungen der Unternehmen. Die Gewerkschaft hat an einem Verhaltenskodex mitgearbeitet, dem sich einige kleinere Plattformen wie Clickworker, Crowd Guru und Bugfinders verpflichtet haben. Ob ein Riesenplayer wie Youtube sich aber von einer deutschen Gewerkschaft dazu überreden lässt, steht in den Sternen.

Gewerkschafter Fuß bleibt trotzdem optimistisch: "Solidarität und Gerechtigkeit müssen einen Platz in der Arbeitswelt und der Gesellschaft haben. Wenn sich die Gesellschaft ändert, dann treten wir eben dafür ein, dass diese Werte auch unter den veränderten Bedingungen zur Geltung kommen."