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Literatur

Wolodymyr Selenskyj: "Macht Bücher!"

Christine Lehnen | Sabine Kieselbach
21. Oktober 2022

Präsident Selenskyj rief auf der Frankfurter Buchmesse Autoren dazu auf, mehr über den Krieg gegen die Ukraine zu schreiben. Die Verlegerin Liliia Shutiak erklärte, warum ukrainische Bücher gerade jetzt so wichtig sind.

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Frankfurter Buchmesse 2022: Selenskyj auf einer großen Leinwand vor Publikum
Der ukrainische Präsident als virtueller Gast auf der Frankfurter Buchmesse am 20. Oktober 2022Bild: Sebastian Gollnow/dpa/picture alliance

Liliia Shutiak macht Kunst- und Kinderbücher über "schwierige Themen", wie sie selbst sagt: den Tod, Diversity, marode Infrastruktur. Seit 2015 besteht der Verlag "The Black Sheep" (deutsch: "Das schwarze Schaf") mit Sitz in Czernowitz im Südwesten der Ukraine, nur rund 40 Kilometer entfernt von der rumänischen Grenze. 

Viele Binnenflüchtlinge habe es laut der Menschenrechtsorganisation Amnesty International aus dem Osten der Ukraine nach Czernowitz verschlagen, als der russische Angriffskrieg im Februar 2022 begann.

Eine Straßenszene in Czernowitz
In Czernowitz, das mit habsburgischer Architektur aufwarten kann, kommen viele Hilfslieferungen aus dem Westen anBild: Keno Verseck/DW

Auch im Krieg wird viel gelesen

"The Black Sheep" reagierte, berichtet Shutiak der DW. 15.000 Bücher habe man an Flüchtlingskinder in und außerhalb der Ukraine gespendet. Die fünf Mitarbeitenden leisteten anfangs vor allen Dingen humanitäre Hilfe.

Das Büchermachen wurde zunächst schwieriger, denn im ostukrainischen Charkiw, das von den russischen Invasoren schwer zerstört wurde, sind laut Shutiak viele Druckereien beheimatet.

Buchcover Himmel über Charkiw von Serhij Zhadan
Der ukrainische Autor Serhij Zhadan wird am Sonntag (23.10.2022) mit dem Friedenspreis des deutschen Buchhandels geehrt

Shutiak bringt aber auch gute Nachrichten mit zur Frankfurter Buchmesse: Der Verlag kann heute in Charkiw wieder drucken und zu ihrer Überraschung kauften die Ukrainerinnen und Ukrainer auch weiter Bücher.

Ukraine besorgt um abnehmendes internationales Interesse

"The Black Sheep" verlegt Literatur auf Ukrainisch, um die ukrainische Identität und die eigene Sprache zu stärken. "Deswegen sind Kinderbücher so wichtig", sagt Shutiak. Sie ermöglichen, Kinder in der Ukraine früh an die Sprache heranzuführen, auch solche, die russischsprachig aufwachsen.

Zu Beginn des Krieges habe es weltweit ein großes Interesse an ukrainischer Literatur gegeben, berichtet Shutiak. Das ließe leider schon wieder nach. Umso bedeutender sei jetzt, auf Messen wie in Frankfurt, Sichtbarkeit zu zeigen und sich international auszutauschen.

 

Selenskyj hält Videoansprache

Bei einer Videoansprache auf der Frankfurter Buchmesse am Donnerstag (20.10.2022) unterstrich auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, wie wichtig es sei, dass die Weltgemeinschaft weiter auf die Ukraine schaue. Er lud internationale Autorinnen und Autoren, Verlegerinnen und Verleger in sein Land ein, um Zeugnis über den Krieg abzulegen. 

Denn Information und Wissen seien im Kampf für Frieden und Freiheit unerlässlich, so Selenskyj. In Europa ermutigten viele Personen des öffentlichen Lebens nach wie vor dazu, Russland zu verstehen und die terroristische Politik von Staaten wie dem Iran zu ignorieren. "Wie kann das passieren?" fragte Selenskyj - und schlug selbst eine Antwort vor: "Die einzige Antwort ist ein Mangel an Wissen." 

Unwissende Menschen seien leichter zu manipulieren. Deshalb sei es umso wichtiger, dass Menschen informiert seien "über den Terror, den Russland in die Ukraine gebracht hat". Selenskyj rief die Branche dazu auf, Bücher zu schreiben, zu publizieren und zu vertreiben, "über diejenigen, die Europa schwächen". Auf seine Rede reagierte das Publikum im prall gefüllten Messesaal mit Standing Ovations. 

Forderungen an die europäische Buchbranche

Im Anschluss an die Übertragung betrat Oleksandr Afonin das Podium in Frankfurt, Präsident des ukrainischen Verlags- und Buchhandelverbandes. Er rief zur Schaffung eines Kulturfonds auf, mit dem ukrainische Übersetzungen finanziert werden könnten. Außerdem könne das Geld Anschaffungen in ukrainischen Bibliotheken ermöglichen und ukrainische Verlage unterstützen, die unter dem russischen Angriffskrieg gelitten hätten. Afonin schlug bei seiner Rede in Frankfurt den Börsenverein des deutschen Buchhandels und den Europäischen Verlegerverband als mögliche Gründer eines solchen Fonds vor.

Blick auf Stuhllehnen, die mit Plakaten behängt sind, auf denen steht: "Stand with Ukraine".
Am ukrainischen Stand auf der Frankfurter Buchmesse wird zur Solidarität mit der Ukraine aufgerufenBild: Sabine Kieselbach/DW

Scharf verurteilte Afonin in seiner Rede die russischen Verlage, die dieses Jahr nicht auf der Frankfurter Buchmesse vertreten sind: Nicht ein einziges Verlagshaus habe den Krieg verurteilt oder der Ukraine seine Unterstützung ausgesprochen, so Afonin.

Selenskyj sagte in seiner Rede über Russland und den Iran, der ebenfalls nicht an der Messe teilnimmt, sie exportierten keine Kultur mehr, sondern nur noch den Tod. "Sie sind weniger präsent im kulturellen Bereich und zugleich dort präsenter, wo alles zerstört wird."

Damit nahm der ukrainische Präsident Bezug auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und auf die Drohnen, derer sich die russische Regierung für Luftangriffe bedient. Laut den USA sollen diese aus dem Iran stammen. Nach Angaben der Buchmesse wurde Selenskyjs auf Ukrainisch gehaltene Ansprache am Vortag aufgezeichnet.

Internationale Solidarität

Nach der Rede Wolodymyr Selenskyjs äußerte sich Nina George, die Präsidentin des "European Writers' Council", der Autorinnen und Autoren aus 31 Ländern vereint: "Jedes Zeichen von Solidarität ist wichtig", und sei es auch noch so klein.

Sie selbst sei kürzlich von ihrem ukrainischen Verlag angefragt worden, weil sie die Lizenz erneuern wollten, so George gegenüber der DW. Auf ihre überraschte Frage "Jetzt? Mitten im Krieg?" war die Antwort: "Aufgeben ist keine Option."

Das legt auch der ukrainische Länderstand in Frankfurt nahe. Ukrainische Buchverlage und Institutionen stellen auf der diesjährigen Buchmesse an einem großen Gemeinschaftsstand mit eigener Bühne aus. Auf diesem Podium sagte der ukrainische Autor Juri Andruchowytsch nach der Rede seines Präsidenten: "Wir brauchen schwere Waffen und gute Bücher."

Dies ist eine aktualisierte Fassung eines Artikels vom 20.10.2022.