Wohin mit dem Beweismaterial des Haager Tribunals?
20. März 2008Das UN-Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) in Den Haag soll laut Beschluss des UN-Sicherheitsrates seine Arbeit bis zum Jahr 2010 beenden. Da der Termin näher rückt, stellt sich auch die Frage, was mit dem enormen Archiv des 1993 gegründeten Gerichtshofes geschehen soll. Die ganz praktische Frage, wo ein Zentralarchiv eingerichtet werden könnte, hat bereits politische Debatten sowohl in Bosnien-Herzegowina als auch in Serbien hervorgerufen. Die Entscheidung in dieser Angelegenheit ist jedoch Angelegenheit der UN.
UN-Kommission auf Standort-Suche
Die Weltorganisation hat eine beratende Expertenkommission gegründet, die Vorschläge für die Zukunft des Beweismaterials unterbreiten soll: Wo sollte ein zukünftiges Zentralarchiv untergebracht werden, wer wird es betreuen, wird das Archiv frei zugänglich sein, soll ein zusätzliches Forschungsinstitut eingerichtet werden?
Die Mitglieder der Kommission, die vom ehemaligen ICTY-Chefankläger Richard Goldstone geleitet wird, bereisen nun die Staaten des ehemaligen Jugoslawien und beraten sich mit Behörden und Nicht-Regierungsorganisationen. In Bosnien-Herzegowina waren sie bereits. Bis Ende März sollen sie ihre Standpunkte unterbreiten.
Archiv mit umfangreichem Material zu Jugoslawien-Kriegen
Sobald das Archiv des Haager Tribunals nicht mehr den Kriegsverbrecherprozessen dient, wird es – ganz gleich, wo es untergebracht ist – eine unumgängliche Anlaufstelle für die Aufklärung dessen sein, was im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts auf dem Territorium des ehemaligen Jugoslawien geschehen ist. Das umfangreiche Dokumentarmaterial konzentriert sich nicht nur auf die Taten der Angeklagten, sondern auf die gesamten Ereignisse im ehemaligen Jugoslawien. Die Dokumente beinhalten alle Aspekte dieser Ereignisse: das Ende des Einparteien-Systems, die Entstehung der nationalen Parteien, die ersten Wahlen im Mehrparteien-System, den Zerfall des ehemaligen Jugoslawien, den Ausbruch der Konflikte und die Gründung der neuen Staaten.
Vorrangig handelt es sich um amtliche Dokumente, allerdings ergänzt um Mitschnitte von Telefongesprächen offizieller Vertreter, ihre Briefe, Tagebücher, Reden, Interviews usw. Unter den Beweismitteln befinden sich auch dokumentarische Videofilme und ein umfangreiches Fotoarchiv, ohne die praktisch kein Prozess verhandelt wurde.
Klassifiziert, registriert und fachgerecht bearbeitet ist dieses Archivmaterial eine fundierte Referenz für die Erforschung der wahren Hintergründe der Konflikte. Zudem liegen Audio- und Videoaufnahmen zu jedem bei den Kriegsverbrecherprozessen gesagten Wort vor. Diese Aufnahmen stellen das zweite umfassende Archiv dar, das ebenfalls fachgerecht bearbeitet und in bestimmten Fällen bereits zugänglich ist.
Dzevad Sabljakovic