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Die Zukunft der EU

23. Juli 2008

Vor einem Jahr schien die Krise Europas überwunden. Dann kam das Referendum in Irland. Der Vertrag von Lissabon ist aber nicht verloren, schreibt Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier in seinem Gastbeitrag.

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Bundesaußenminister Frank-Walter SteinmeierBild: picture-alliance/dpa

Schon wieder stellen wir diese Frage. Dabei waren wir vor einem Jahr doch alle so erleichtert. Die Krise Europas schien überwunden. Von der Verfassung hatten wir uns zwar verabschiedet. Geblieben war aber das Projekt eines Reformvertrages, aus dem wenige Monate später der Vertrag von Lissabon wurde.

Und heute? 23 mal wurde dieser neue Vertrag ratifiziert. Nur einmal fiel er durch, am 12. Juni beim Referendum in Irland. Ich erinnere mich gut an die konsternierten Gesichter der europäischen Außenminister, die nur wenige Tage nach diesem Nein in Brüssel zusammen kamen.

Ratifizierungsprozess wird fortgesetzt

Besorgt stellte mein slowenischer Amtskollege - damals noch Ratsvorsitzender - die Frage, die alle in Europa bewegte: Was ist zu tun? Etwa ein neuer Vertrag? Oder festhalten an den alten Regelungen von Nizza? Die Antwort gab der Europäische Rat wenige Tage später: Weder das eine, noch das andere. Die Antwort lautete: Wir geben den Vertrag von Lissabon nicht verloren. Wir wollen, dass der Ratifizierungsprozess fortgesetzt wird. Und wir werden uns gemeinsam mit den Iren auf die Suche nach einer Lösung machen.

Ich glaube, dass wir auf dem Europäischen Rat richtig entschieden haben. Europa braucht den Vertrag von Lissabon! Und das sage ich nicht nur, weil wir unter deutscher Präsidentschaft in Hunderten von Gesprächen um jede seiner Bestimmungen gerungen haben. Nein - dieser neue Vertrag regelt vieles von dem, was die Bürger zu recht an Europa kritisieren, ganz einfach besser als seine Vorgänger.

Demokratischer und handlungsfähiger

Erstens wird Europa demokratischer. Das EU-Parlament - als einzige direkt gewählte Brüsseler Institution - wird zum gleichberechtigten Gesetzgeber. Die nationalen Parlamente werden bei Gesetzesvorhaben früher einbezogen. Außerdem können sie vor den Europäischen Gerichtshof gehen, wenn sie meinen, dass etwas auf europäischer Ebene geregelt wird, obwohl die Mitgliedstaaten zuständig sind.

Zweitens wird Europa handlungsfähiger. Europa hat heute 27 Mitgliedstaaten. Dafür sind die bestehenden Verträge nicht ausgelegt. Erst recht nicht, wenn weitere Länder hinzukommen, denen wir eine europäische Perspektive versprochen haben. Der Lissabon-Vertrag enthält die notwendigen institutionellen Anpassungen: von der Größe der Kommission bis zum Abstimmungsverfahren im Rat. All das würde die europäische Entscheidungsfindung wesentlich effizienter machen.

Europas Stimme in der Welt

Drittens - und das ist ein Punkt, der mir als Außenminister besonders wichtig ist - erhält Europa mit dem Vertrag eine klarere Stimme in der Welt. Es wird immer noch nationale Außenpolitiken geben. Aber die Möglichkeiten für europäische Politik werden verbessert. Und auch wenn der neue "Außenminister" immer noch nicht so heißen wird: Seine Kompetenzen werden als Vorsitzender im Rat der Außenminister und als Vize-Präsident der Kommission deutlich gestärkt.

Wir leben heute in einer Welt, die sich dramatisch wandelt. Neue Kraftzentren bilden sich, wirtschaftlich und immer mehr auch politisch. Russland, China, Indien, aber auch Brasilien oder Mexiko - wir brauchen eine globale Verantwortungspartnerschaft, die die Mächte der Zukunft zuverlässig einbindet. Klimaschutz, immer knappere Rohstoffe, Kampf gegen den Terrorismus oder Abrüstung - das sind die Fragen, auf die wir heute Antworten suchen.

"Wir brauchen zeitgemäße Verfahrensregeln"

Kein europäischer Staat ist groß genug, um diese Aufgaben allein zu bewältigen. Wenn wir Erfolg haben wollen, müssen wir gemeinsam handeln können. Um so mehr in einer Welt, die gar nicht daran denkt zu warten, bis Europa seine inneren Probleme gelöst hat. Dafür brauchen wir zeitgemäße Verfahrensregeln - so wie der Vertrag von Lissabon sie vorsieht. Und deshalb ist es richtig, dass wir daran festhalten.

Natürlich ist die jetzige Situation alles andere als einfach - für Irland nicht und für alle anderen Mitgliedstaaten auch nicht. Die Iren haben zugesichert, dass sie noch in diesem Jahr Vorschläge vorlegen wollen, wie sie sich mögliche Auswege vorstellen. Sie haben aber auch um Zeit gebeten, um die Gründe für die Ablehnung in Ruhe zu analysieren. Ich bin sehr dafür, dass wir ihnen diese Zeit geben. Und ich bin optimistisch, dass es am Ende gelingt, eine Lösung zu finden, die gut und akzeptabel ist - auch für die Menschen in Irland.

Keine Sackgasse für Europa

Europa ist eine Erfolgsgeschichte. Weitsichtige Politiker haben es erschaffen, gebaut und in unsere Hände gelegt. Frieden und Wohlstand - das war das europäische Gründungsversprechen. Heute ist es weitgehend erfüllt. Werden wir uns in der globalen Welt auch in Zukunft behaupten können? Das ist die Frage, vor der wir heute stehen. Auch und gerade, wenn wir darüber reden, was aus dem Lissabonner Vertrag werden soll.

Hendrik Brugmans, ein tatkräftiger Europäer der ersten Stunde, prophezeite schon vor 50 Jahren: "Weltpolitik werden wir als Europäer gemeinsam - oder gar nicht mehr führen." Ich meine, er hat recht. Das irische Nein darf keine Sackgasse für Europa werden.


Frank-Walter Steinmeier ist Bundesminister des Auswärtigen und Vizekanzler der Bundesrepublik Deutschland. Zudem ist er stellvertretender Bundesvorsitzender der SPD.