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Wohin es deutsche Ärzte zieht

Grit Hofmann20. Januar 2006

In Deutschland streiken die Ärzte. Sie sind unzufrieden über ihre Honorare und Arbeitsbedingungen. Viele ihrer Kollegen haben die Situation satt. Sie nehmen lieber die Beine in die Hand - und gehen ins Ausland.

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Zornige Ärzte bei einer DemonstrationBild: AP

"Mein zukünftiger Chef wollte mir das nicht glauben, dass ich hier zehn bis zwanzig Stunden pro Woche zusätzlich arbeite - aus Jux und Dallerei, unbezahlt!" Das sagt Dr. Kai König, Kinderarzt an der Berliner Charité. Er wird in wenigen Tagen Deutschland verlassen und nach Melbourne in Australien gehen. "Die meisten Kliniken in Deutschland haben das Problem, dass sie sparen müssen. Und das scheint im Personalbereich sehr attraktiv zu sein." Dr. König und seine Kollegen merken dies im Alltag: gleiche Arbeit mit weniger Personal.

Vielleicht nach Dubai?

In Australien hofft er nun auf Besserung seiner Arbeitslage. Und er ist nicht der einzige deutsche Mediziner, der so denkt. Seit etwa zwei Jahren registriert auch der weltweit agierende Personaldienstleister Adecco eine steigende Nachfrage nach Ärztestellen im Ausland: Neben England oder Österreich wird auch Dubai immer interessanter.

Schweizer Flagge und Matterhorn
Die Schweiz - beliebtes Ziel für deutsche ÄrzteBild: Bilderbox

"Am beliebtesten sind aber die Schweiz oder die skandinavischen Länder", erklärt Marita Siefert, Leiterin des Geschäftsbereiches Adecco Health Care. Die Schweiz locke mit Löhnen, die rund 20 Prozent höher sind als in Deutschland und mit guten Arbeitsbedingungen. In Skandinavien dagegen wird viel Wert auf eine gute Ausbildung gelegt," weiß Marita Seifert. "Man nimmt sich viel Zeit für Assistenzärzte, die dort zum Facharzt ausgebildet werden."

Dass Bezahlung und Betreuung für die auswandernden Ärzte ausschlaggebend sind, kann Dr. König bestätigen: "Attraktiv ist so ziemlich jedes Land! Weil wir im Vergleich mit anderen industrialisierten Länder - was Gehalt und Arbeitsbedingungen betrifft - tief im unteren Drittel sind."

"Man muss auch die negativen Seiten sehen"

So hat das auch Oya Arslan gesehen, bevor sie nach England ging. Heute ist die Internistin jedoch skeptischer und warnt vor voreiligen Urteilen: "Viele Ärzte suchen die Flucht ins Ausland. Aber man muss auch die negativen Seiten und die Schwierigkeiten sehen, die man als Ausländer in England hat!"

Dazu gehören für sie nicht nur, dass man sich auf ein völlig anderes Gesundheitssystem einstellen muss. Auch die monatelange Vorbereitung sollte man nicht unterschätzen, meint Oya Arslan. "Man muss bei der englischen Ärztekammer und den Vermittlungsagenturen viele Formalitäten vorweisen. Auch Bescheinigungen von denen man vorher vielleicht nie was gehört hat." Manche ihrer Kollegen haben diese Hürde nicht genommen.

Rund 12.000 deutsche Ärzte sind derzeit im Ausland tätig. Doch es kommen auch andere nach Deutschland. "Im Jahr 2004 hatten wir in Deutschland fast 18.000 ausländische Ärzte," erklärt Hannes Munz von der Kassenärztlichen Vereinigung. "Seit 1991 hat sich die Zahl fast verdoppelt. Dabei ist jeder Achte Mediziner mit ausländischem Pass ein Russe. Andere Gruppen sind Griechen und Iraner, sowie Österreicher und Polen. Von ihnen gibt es jeweils mehr als 1000 Ärzte in Deutschland.

Gepäck
Koffer packen und weg! Für viele Ärzte die DeviseBild: AP

Ärztemangel im Osten

Wie für ihre deutschen Kollegen sind auch für sie meist die besseren Verdienstmöglichkeiten dafür ausschlaggebend, die Heimat zu verlassen. "Manche aber auch aus politischen Gründen," ergänzt Hannes Munz. "Viele Iraner sind beispielsweise vor dem Schah- oder dem Ayatollah-Regime geflohen."

Aber auch innerhalb Deutschlands gibt es Abwanderungstendenzen: So ziehen viele ostdeutsche Mediziner lieber in den Westen und hinterlassen ein immer größer werdendes Ärzte-Vakuum. Mit etwas Glück werden ihre Stellen von osteuropäischen Ärzten besetzt. Doch auch für sie ist die Stelle an einer ostdeutschen Klinik häufig nur Sprungbrett in den Westen.

Doch viele Ärzte kehren in die Heimat zurück. Auch Kai König hat sich erst einmal nur für ein Jahr beurlauben lassen: "Ich werde jetzt nicht alle Segel abbrechen. Ich denke, dass ich wieder aus Australien zurückkommen werde."