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Wo versickern die Nahrungsmittelhilfen?

24. März 2010

Nach einem UN-Bericht kommen nur die Hälfte der an Somalia gelieferten Lebensmittel bei den Bedürftigen an. Der Rest versickert in dunklen Kanälen. Die Hilfswerke können dies offenbar trotz Kontrollen nicht verhindern.

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Arbeiter entladen LKW mit Nahrungslieferungen (Foto: AP)
Nahrungsmittel für Afrika: Ein Teil davon verschwindet.Bild: AP

Es ist ein komplexes Netz aus korrupten Vertragspartnern, militanten Islamisten und UN-Mitarbeitern in Somalia, die die Hilfslieferungen offenbar im großen Stil veruntreuen. So stellt es ein Bericht der Vereinten Nationen dar. Die Größenordnung der verschwundenen Lebensmittel verdeutlicht, in welch schwieriger Lage die Hilfsorganisation vor Ort sind. Der interne UN-Bericht, aus dem mehrere Medien zitierten, setzt dabei vor allem das Welternährungsprogramm (WFP) unter Druck. Weil man mit zu wenigen Verteiler-Unternehmen zusammengearbeitet habe, konnte ein Kartell entstehen, das die bewaffneten Rebellen unterstütze.

Konvoi des World Food Programme in Somalia (Foto: AP)
Hilfslieferungen: Wieviel "fällt vom Laster"?Bild: AP

Der Bericht erhebe in der Tat sehr weitgehende Vorwürfe, räumt Ralf Südhoff, Deutschlandchef des WFP, ein. "Nach allem, was wir wissen, gibt es diese Probleme - aber sicher nicht in dem Ausmaß, wie es dort genannt ist. Wir nehmen die Vorwürfe ernst und untersuchen sie natürlich." Das WFP lieferte im vergangenen Jahr Nahrungsmittel für rund 350 Millionen Euro nach Somalia. 2,5 Millionen Menschen sollten so versorgt werden. Wenn tatsächlich die Hälfte der Lieferungen veruntreut wurde, wären mehr als eine Million Menschen betroffen. Es gebe nun einmal zu wenig Unternehmen, die die Nahrungsmittel-Verteilung übernehmen können, rechtfertigt sich Südhoff.

Hohes Risiko für die Helfer

Dennoch sei die Behauptung im UN-Bericht falsch, dass 80 Prozent der Lieferungen über nur drei Firmen abgewickelt werden. Gleichzeitig weist Südhoff auf die großen Risiken hin, die das WFP eingehen muss, um Hilfe leisten zu können: "Wir müssen - trotz Piraten zur See, trotz Rebellen an Land - Nahrungsmittel zu den Menschen in Not bringen, selbst wenn dabei bereits ein halbes Dutzend Mitarbeiter von uns umgekommen ist."

Warten auf UN-Hilfslieferungen in Liberia (Foto: AP)
Warteschlage vor einer UN-Ausgabestelle in Liberia: Erreicht die Hilfe auch die Bedürftigen?Bild: picture-alliance/ dpa

Das WFP steht mit diesen Problemen nicht allein da: Von Überfällen und Veruntreuung kann fast jede Organisation berichten, die Nahrungsmittelhilfe in Afrika leistet. Vor allem in den armen Regionen Afrikas ist die Verteilung von Hilfen besonders kompliziert, berichtet Kurt Gerhardt. Der Journalist machte als Mitarbeiter des Deutschen Entwicklungsdienstes ähnliche Erfahrungen wie das WFP. "Es war normal, dass wir in unserem DED-Büro betubbt wurden, auch vom eigenen Personal", sagt Gerhardt. "Das können alle Leute bestätigen, die Büros unterhalten oder die da berufstätig sind. Man wird viel übers Ohr gehauen und die Mittel sind auch oft so, dass man es oft gar nicht nachprüfen kann."

Gefälschte Rechnungen

Es seien nicht nur hier und da ein paar Säcke Nahrungsmittel, die verschwinden. Verteiler-Unternehmen hätten auch Rechnungen gefälscht, um so mehr Umsatz zu machen. Für Gerhardt steht hinter der Veruntreuung auch eine andere Mentalität gegenüber dem Allgemeingut: "In Afrika ist das Empfinden dafür, dass das ja Güter sind, die für Bedürftige bestimmt sind, noch weniger vorhanden. Man hat da nicht so dieses Gefühl für Gemeinwohl und Gemeingüter. Das heißt, dass die Freiheit, sich an diesen öffentlichen Gütern zu bereichern, viel größer ist."

Eine Schlange von Menschen steht vor einer Station der Welthungerhilfe auf Madagaskar (Foto: dpa)
Hunger ist für viele Afrikaner Alltag, hier auf MadagaskarBild: picture-alliance/dpa

Nicht zuletzt wegen der Veruntreuung werden die Hilfslieferungen von einigen Experten kritisiert. Die Ökonomin Dambisa Moyo aus Sambia schrieb einen Bestseller gegen die klassische Entwicklungshilfe. Ihre These: Die Billionen Dollar Hilfsgelder hätten Afrika nicht reicher, sondern ärmer gemacht. Sie fordert, die Hilfe für Afrika in den kommenden zehn Jahren sukzessive einzustellen. Nur so könne Afrika wirtschaftlich selbstständig werden. Und selbst die Ernährungshilfe wird in Frage gestellt: Für Welthungerhilfe-Mitarbeiter Ulrich Post bremst die massive Verteilung von Lebensmitteln in einigen Teilen Afrikas die Entwicklung einer Selbstversorgung. "Nahrungsmittelhilfe darf wirklich nur das allerletzte Mittel sein und die Welthungerhilfe ist mittlerweile auch längst davon weg, in vielen Gebieten Nahrungsmittel zu verteilen." Allerdings gebe es für Regionen wie Darfur im Sudan keine Alternative zu massiven Hilfslieferungen. Dort sei nicht absehbar, dass sich die Menschen selbst versorgen können.

Mehr Zusammenarbeit mit Kleinbauern

In diesen auf Hilfe angewiesenen Krisenregionen wiege das Verschwinden von Nahrungsmittellieferungen besonders schwer, sagt der Entwicklungsexperte Ulrich Post. Ganze Dörfer müssten dann hungern und Nachlieferungen bräuchten oft mehrere Tage. Eine Lösung des Problems könnte nun die verstärkte Zusammenarbeit mit Kleinbauern vor Ort sein. Die Hilfswerke kaufen deren Waren und verteilen Sie anschließend an Mittellose. Dies könnte ein kleiner Schritt zu einer Selbstversorgung in Afrika sein.

Autor: Joscha Weber

Redaktion: Carolin Hebig