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Sprache ist mehr als ein Werkzeug

14. November 2011

Wie wird deutschsprachige Wissenschaft im internationalen Kontext wahrgenommen? Welche Rolle erfüllen Sprachen im Erkenntnisprozess? Eine internationale Konferenz in Essen hat diese Fragen bearbeitet.

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Logo der Konferenz 'Deutsch in den Wissenschaften'
Bild: Deutsch in den Wissenschaften

"Deutsch als Wissenschaftssprache muss erhalten werden." Darin waren sich alle Wissenschaftler einig, die an der Konferenz teilnahmen, die der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD), das Goethe-Institut (GI) und das Institut für deutsche Sprache (IDS) in der Zeche Zollverein in Essen gemeinsam veranstaltet haben.

Fakt ist, Deutsch wird immer mehr verdrängt von Englisch als Verkehrssprache. Nicht nur in den Naturwissenschaften, sondern auch zunehmend in geisteswissenschaftlichen Fächern wie Germanistik und Philosophie. Der Grund dafür ist unter anderem, dass wissenschaftliche Arbeiten nur dann beachtet werden, wenn sie in Englisch verfasst werden. Ein klares Karrierehemmnis also für alle, die ihre Forschungsergebnisse in anderen Sprachen als Englisch publizieren.

Englisch führt zu Oberflächlichkeit

Sprachwissenschaftler Klaus Reichert (Foto: Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung)
Klaus Reichert

"Der augenblicklichen Entwicklung liegt häufig ein grundlegendes Missverständnis zugrunde", betont Klaus Reichert, renommierter Anglist, Übersetzer und früherer Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Einfach sei Englisch nur anfangs. Qualifiziertes Englisch jedoch sei so schwierig, dass es kaum ein deutscher Wissenschaftler beherrsche. Das Ergebnis dieser Fehleinschätzung sei eine Reduktion der wissenschaftlichen Inhalte. Die Forscher suchten über das Englische leichtere Verständigung und mehr Aufmerksamkeit, würden aber letztlich ihre Arbeit entstellen, da sie deutsch Gedachtes mit englischen Worten ausdrücken.

Blau ist nicht überall blau

Mit plastischen Beispielen begründet der israelische Sprachwissenschaftler Guy Deutscher die Wichtigkeit, deutsche Wissenschaft auch deutsch zu formulieren. So würden grundlegende Elemente der Sprache Bedeutung tragen, denen man lange Zeit keine Aufmerksamkeit geschenkt habe. Geschlechtszuordnungen über die Artikel "der", "die" und "das" seien nicht nur grammatische Eigenheiten. Im Deutschen ist die Brücke weiblich, im Spanischen männlich. Experimentell wurde nachgewiesen, dass beim Wort "Brücke" Deutschsprecher eher Begriffe wie schmal und elegant assoziieren, Spanischsprecher hingegen denken eher an männliche Kraft.

Podiumsdiskussion in Essen (Foto: Bernhard Ludewig/Goethe-Institut)
Sprachwissenschaftler aus aller Welt trafen sich in EssenBild: Goethe-Institut

Selbst Farben würden keineswegs überall gleich systematisiert und empfunden. In vielen Sprachen gebe es nicht die uns vertraute Unterscheidung zwischen grün und blau. Oft existierten nur drei Farben wie zum Beispiel schwarz, weiß und rot. Alle anderen Farben würden als Schattierungen dieser drei betrachtet. Mit naturwissenschaftlichen Methoden komme man hier nicht weiter. Die unterschiedlichen Wahrnehmungen ließen sich nur durch anthropologische und sprachwissenschaftliche Untersuchungen erfassen.

Einsprachigkeit ist heilbar

So sehr die Wissenschaftler in Vorträgen und Diskussionen das Deutsche verteidigten, so sehr vertraten die Teilnehmer der Essener Konferenz gleichzeitig die Notwendigkeit mehrere Sprachen zu beherrschen. "Nichts ersetzt das Lesen in der Originalsprache", betonte Heinz L. Kretzenbacher, Sprachwissenschaftler an der Uni Melbourne in Australien und sorgte damit für allgemeine Zustimmung. Besonders wichtig findet Kretzenbacher, Deutsch mit Humor zu vermitteln und ergänzte sogleich sein Plädoyer mit dem Bonmot: "Einsprachigkeit ist heilbar."

Die Begriffe, die Sigmund Freud in seiner Theorie der Psychoanalyse schuf und auch vieles, was deutsche Philosophen für ihre Gedankengebäude verwendeten, ließe sich nicht adäquat übersetzen. Anders herum gilt allerdings dasselbe. So trägt beispielsweise das sprachwissenschaftliche Standardwerk "How to do things with words" vom englischen Philosophen John Langshaw Austin im Deutschen den Titel "Theorie der Sprechakte". Die hölzerne Bezeichnung wirkt auf heutige Leser spaßig, zeigt aber die Schwierigkeit der Übersetzung und zugleich verschiedene Sprachtraditionen.

Das Rad könnte sich drehen

Zeche Zollverein Essen (Foto: Bernhard Ludewig/Goethe-Institut)
Zeche Zollverein: Konferenzort mit KulturgeschichteBild: Bernhard Ludewig
Pramod Talgerie, Vize-Kanzler der privaten "India International Multiversity" im indischen Pune, berichtete von einem zunehmenden Interesse am Deutschen in seiner Heimat. In Pune sorge dafür auch die wirtschaftliche Globalisierung. Zahlreiche deutsche Autofirmen hätten in der Umgebung der Stadt Niederlassungen gegründet. Die Auto-Werbungen auf den Autobahnen sorgten dafür, dass viele Bauern der Umgebung für deutsche Automarken schwärmten. Deutsch zu lernen sei für deren Kinder deshalb "fashionable". Auch der Politikprofessor Randall Hansen von der Universität Toronto in Kanada sprach von einem steigenden Interesse an Deutschland. Jedes Jahr gebe es mehr Bewerber für ein deutsches Auslandsstipendium, leider aber nicht mehr Geld, um die Stipendien zu finanzieren.

Sprachwissenschaftler Klaus Reichert sieht auch auf internationaler Forscherebene erste Veränderungen: "Ich habe den Verdacht, dass sich da gerade etwas dreht." Vor einigen Jahren sei das noch ganz anders gewesen. Da habe wirklich kein englischer oder amerikanischer Geisteswissenschaftler deutsch gesprochen. Inzwischen sei das anders: "Ich habe einige amerikanische Kollegen am Wissenschaftskolleg in Berlin kennengelernt, die ihren Vortrag auf Deutsch gehalten haben. Das wäre vor zehn Jahren nicht der Fall gewesen."

Autor: Günther Birkenstock
Redaktion: Thomas Kohlmann