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Wissenschaft zwischen Unabhängigkeit und Geld

Elisa Miebach
23. Juli 2019

Wirtschaft und Wissenschaft sind nicht immer klar getrennt. Manchmal ist es nur ein schmaler Grad von Kooperation zu Einflussnahme. Wie sieht es in Deutschland aus?

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Wissenschaft Symbolbild
Bild: tiero - Fotolia.com

Schokolade hat gesundheitsfördernde Wirkungen. Passivrauchen ist viel ungefährlicher als gedacht. Walnüsse können Diabetes vorbeugen. All das sind Ergebnisse von veröffentlichten wissenschaftlichen Studien. Bezahlt wurden diese vom Schokoriegelhersteller Mars, von Malboro und vom Verband der kalifornischen Walnussbauern.

Wissenschaft soll unabhängig sein, aber die Industrie und auch die Politik versuchen immer wieder Einfluss zu nehmen. Das ist auch in Deutschland der Fall.

Dabei sind nicht alle der oben genannten Studienergebnisse komplett erlogen. Manchmal gibt schon die Art, wie die Frage gestellt ist, wie die Daten erhoben und ausgewertet werden, einen kleinen Dreh in eine Richtung. Und der macht dann den Unterschied zwischen einer Empfehlung für oder einer Warnung vor einem Produkt aus.

Wissenschaftler des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung (DISE) untersuchten etwa Studien zu zuckerhaltigen Energy Drinks. Elf Studien stuften die Getränke als Risikofaktor für Gewichtszunahme ein. Sieben Studien gaben an, keinen Zusammenhang von Gewichtszunahme und Konsum der Getränke zu finden. Bei fünf Studien, die keinen Zusammenhang fanden, hatten die Autoren Geld von der Lebensmittelindustrie erhalten.

Banken-Hörsäle und VW-Bibliotheken

Es geht nicht immer darum, dass eine Studie direkt bezahlt wurde. Oft ist es viel verworrener. Forschung kostet Geld. Und Universitäten werden immer abhängiger, sagt Professor Christian Kreiß von der Hochschule Aalen.

Der Anteil der ungebundenen Forschungsmittel sinkt. Der Anteil der Drittmittel steigt. Drittmittel sind Gelder, die vom Staat oder von Unternehmen speziell für bestimmte Projekte gegeben werden. Damit sind die Universitäten weniger frei, die Themen zu setzen, an denen sie forschen möchten. Ein Viertel bis ein Fünftel der Drittmittel komme dabei direkt oder indirekt aus der Wirtschaft, sagt Kreiß. 

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Viele deutsche Unis sind knapp bei Kasse und freuen sich auch außerhalb von Forschungsprojekten über Spenden. Unternehmen schreiben gerne für etwas Geld ihren Namen auf die Hörsäle der Unis.

Es gibt den TeamBank Hörsaal der Uni Nürnberg, den Bosch Rexroth Hörsaal der Hochschule Würzburg-Schweinfurt und die Volkswagen Uni-Bibliothek der Technischen Universität (TU) und der Universität der Künste in Berlin. Das ist erstmal keine Einflussnahme, da die Unternehmen meist nicht mehr als das Namensschild verlangen. Unabhängiger macht es die Hochschulen aber nicht.

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Daimler und Telekom im Rat

Wirtschaftsvertreter sitzen auch in deutschen Hochschulräten. In Bayern steht sogar im Hochschulgesetz, dass in diesen Räten insbesondere Persönlichkeiten aus Wirtschaft und beruflicher Praxis mitwirken sollen. Der Rat kann die Mitglieder der Hochschulleitung wählen und über die Entwicklung und oft auch über die Finanzen der Universität mitentscheiden. 

Der ehemalige Daimler-Chef Dieter Zetsche sitzt im Aufsichtsrat des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT), Der Manager des Versandhändlers OTTO, Michael Heller, ist im Hochschulrat der Universität Hamburg. Im Hochschulrat der Universität zu Köln sitzt Claudia Nemat, Vorstandsmitglied der Telekom. Im Kuratorium der TU Berlin entscheidet  Vattenvall-Managerin Tanja Wielgoß mit über die Zukunft der Uni. Auch das muss nicht heißen, dass diese Firmen Einfluss auf die genaue Forschung nehmen.

Ex-Manager forscht an Schokolade

Zu einer Kooperation einer Firma und einer Hochschule kommt es, wenn Unternehmen Stiftungsprofessuren und Institute finanzieren. In Aachen gibt es etwa das E.ON Energieforschungsinstitut. Die Palliativmedizinische Station der RWTH Aachen wurde mit 5,9 Millionen Euro vom Pharmaunternehmen Grünenthal gesponsert. Wegen des Schlafmittels Contergan der Grünenthal AG kamen Ende der 1950er Jahre tausende Kinder mit Behinderungen zur Welt. 

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Auch ohne Stiftungsprofessur gibt es enge Verbindungen zwischen Unternehmen und Universitäten. So forscht etwa Eckhard Flöter als Professor an der TU Berlin zu Zuckerlösungen, Lebensmittelfarbstoffen und Schokolade und bietet Weiterbildungen und Auftragsforschungen für die Zuckerindustrie an. Zuvor war er Manager beim Lebensmittelkonzern Unilever, das unter anderem auch Schokoriegel herstellt.

Intransparenz bleibt folgenlos

Auch diese Verbindungen müssen nicht unbedingt Einfluss der Industrie auf die Wissenschaft bedeuten. Können sie aber. Oft wissen nur wenige, was wirklich abgesprochen wurde. "Es gibt keine allgemeinen Regeln zur Transparenz", sagt Professor Stefan Hornbostel von der Humboldt Universität Berlin. Universitäten müssen ihre Verträge mit Unternehmen nicht veröffentlichen. 

Es gibt nur unverbindliche Verhaltenskodexe. Einen stellt sogar der Stifterverband für die Wissenschaft, der von Unternehmen getragen ist. Darin steht etwa, dass der Geldgeber nachdem er sich einvernehmlich mit der Universität auf ein Forschungsfeld geeinigt hat, keinen Einfluss auf die Forschung nehmen soll. Sanktionen, wenn der Kodex nicht eingehalten wird, gibt es nicht.

2016 veröffentlichte der Stifterverband unter Präsident Andreas Barner neue Transparenz-Empfehlungen. Er empfiehlt, die groben Ziele der Kooperation öffentlich zu machen, die Kooperationsverträge aber nicht.

150 Millionen Euro Unterfangen gegen das Grundgesetz

Andreas Barner ist nicht nur beim Stiftungsverband aktiv. Er war bis 2016 Leiter des Pharma-Unternehmens Boehringer Ingelheim und sitzt dem Hochschulrat der Universität Mainz vor. Die Boehringer Ingelheim Stiftung und die Universität Mainz gingen 2009 eine der umfangreichsten Kooperationen ein, die es in Deutschland je gab. 

Für 150 Millionen Euro der Unternehmensstiftung verteilt über zehn Jahre richtete die Uni Mainz die "Institut für Molekulare Biologie GmbH" ein. Das Land Rheinland-Pfalz baute dafür ein neues Gebäude. 

Im März 2019 stellte der Bonner Jura-Professor Klaus Gärditz in einem Gutachten, das der Deutschen Welle vorliegt, fest, dass die Kooperation gegen Artikel 5 des Grundgesetzes verstößt. Die Stiftung hat die Mittel regelmäßig neu vergeben, was die Forscher unter Druck gesetzt haben könnte, nach den Interessen des Unternehmens zu forschen, um weiter Mittel zu bekommen. 

Zudem stand im Vertrag, dass "Veröffentlichungen" unter anderem "der vorherigen Abstimmung zwischen den Parteien und vor Veröffentlichung der entsprechenden Zustimmung" unterliegen. Hier ist nicht klar, ob das auch wissenschaftliche Veröffentlichungen betrifft. Der Jurist Gärditz möchte der Firma nicht unterstellen, ihre Einflussmöglichkeit aktiv missbraucht zu haben, wie er schreibt. Doch die Bedingungen schlossen eine Einflussnahme nicht aus. 

Teure Pillen - Ärzte und die Pharmalobby # 02.09.2010 # Politik direkt

Die getroffenen Vereinbarungen stellen nicht sicher, "dass über eine Fortsetzung der Förderung nur nach wissenschaftsadäquaten Kriterien entschieden wird", schreibt Gärditz. Der Kooperationsvertrag war lange Zeit geheim, nur durch einen Gerichtsbeschluss wurde er 2016 offengelegt. Doch kurz bevor das Gutachten von Professor Gärditz veröffentlicht wurde, wurde der alte Vertrag geändert, sagt Christian Kreiß.

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Facebook und Google wie LIDL und Kaufland

Auch andere Unternehmen richten großzügige Institute ein. Facebook etwa eröffnete mit der TU München Anfang des Jahres das "Institute for Ethics in Artificial Intelligence". Kreiß sagt dazu: "Falls der Institutsleiter ein nicht gar so industriekritischer Geist ist, werden im Laufe der nächsten Jahre immer wieder unkritische und beschwichtigende Berichte zu Daten, Internet und Facebook aus erster akademischer Quelle erscheinen."

Dem ohne Auswahlverfahren direkt von Facebook und der Uni ernannten Leiter des Instituts Christoph Lütge wirft Kreiß vor: "Christoph Lütges Moral läuft auf einen Blankoscheck für Konzernlenker, die den Nutzen maximieren, hinaus."  Christoph Lütge selbst sagt gegenüber der Süddeutschen Zeitung Anfang dieses Jahres, dass es keine Auflagen von Seiten Facebooks gebe: "Wir sind unabhängig."

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Der laut Kreiß größte Geldstrom der vergangenen Jahre kam 2018 von der Dieter-Schwarz-Stiftung, der Stiftung der Unternehmensgruppe zu der LIDL und Kaufland gehören. Diese schenkt der TU München 20 BWL-Professuren und zwei neue Management-Studiengänge. Auch dieser Vertrag ist nicht veröffentlicht.

Andere Firmen, wie Google, haben an vielen Stellen in der Informatik die Oberhand in der Entwicklung von Algorithmen, so  Hornbostel. Dabei dürfte die indirekte und direkte Einflussnahme in anderen Ländern, wie etwa den USA, noch um ein weites höher liegen als in Deutschland vermuten Hornbostel und Kreiß.

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Interessenskonflikte werden offengelegt

Wenn ein Autor eines wissenschaftlichen Artikels von einem Unternehmen Geld erhält, muss er das mittlerweile in fast jedem Journal offenlegen. Das bewerten Hornbostel und Kreiß als positiv. Doch Stiftungsprofessuren und Institute gehen  oft nach einer Zeit in den Etat der Uni über. Dann betreiben die gleichen Leute weiterhin die gleiche Forschung, aber da das Unternehmen nicht mehr bezahlt, muss auch kein möglicher Interessenkonflikt offengelegt werden. 

Und nicht immer schreiben die Autoren ihre gesamten Artikel selbst. In den Pharmawissenschaften gibt es sogenannte "Scientific writers", sagt Hornbostel. Diese hätten Fachhintergrund und würden oft Teile der Artikel schreiben. 

Laut Hornbostel kann es vorkommen, dass diese von der Industrie bezahlt werden und dann die positiven Seiten eines Medikaments betonen. Die Studie ist nicht falsch. Aber ein Arzt, der sich nicht im Detail mit der Materie auskennt und die Studie in Eile liest, könnte falsche Schlüsse ziehen.

Dies bestätigt auch der dänische Medizinforscher Professor Peter Gøtzsche, der das Buch "Tödliche Medizin und organisierte Kriminalität: Wie die Pharmaindustrie unser Gesundheitswesen korrumpiert" veröffentlichte.

Einfluss auch über die Politik

Doch Einfluss kommt auch über die Politik. Wer Drittmittel und Forschungsaufträge bekommt, entscheiden bestimmte Gremien des Bundesforschungsministeriums. Und darin sitzen wiederum oft Wirtschaftsvertreter, sagt Kreiß.

Aber die Politik selbst ist auch nicht immer objektiv, sagt Hornbostel. Er nennt etwa das geschönte Atomlagergutachten zu Gorleben, dass noch unter Helmut Kohl beauftragt wurde. Die Gutachten müssen nicht falsch sind, wie das zum Atomlager. Doch jeder Wissenschaftler habe als Mensch sein eigenes Werteverständnis. Die Politik suche sich dann oft den Wissenschaftler aus, der am ehesten dem gewünschten Werteverständnis entspricht.

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Und die Medien?

Politikern schauen die Medien kritisch auf die Finger. Doch was von der Wissenschaft kommt, wird allzu oft unkritisch übernommen, gerade im schnellen Geschäft der Nachrichten. Viele Medien griffen die oben genannten Studien, etwa zu Walnüssen oder zu Schokolade unkritisch auf. Nur wenige erwähnen in ihren Artikeln, wer die Studien bezahlt hat oder befragen noch einen unabhängigen Experten zum Thema.

Das kann am Zeitdruck in den Redaktionen liegen, vor allem in den Nachrichtenredaktionen. Oft sind Finanzierungsstrukturen hinter Studien komplex und es ist gar nicht klar, ob eine Firma Geld dazu gegeben hat. Doch die Meldung muss raus und Zeit und Geld für eine lange Recherche sind zu knapp. Manche Wissenschaftsredaktionen, in denen zumindest das Fachwissen da ist, sind dagegen immer schlechter ausgestattet – vor allem in den USA.

Auch Wissenschaft braucht öffentliche Kontrolle

Manchmal klingt die Meldung aber auch zu schön. Ist ein Journalist, der selbst gerne Kaffee oder Rotwein trinkt, unterbewusst eher dazu geneigt zu glauben, dass dies auch Gesundheitsvorzüge haben kann? Journalisten hinterfragen, aber nicht alle fragen immer kritisch genug. Leser haben es gerne einfach, schwarz-weiß. Sie erwarten, dass Journalisten erklären und nicht alles noch komplizierter machen.

Rechercheverbünde von Wissenschaftsjournalisten setzen sich jedoch schon seit Jahren für hohe journalistische Standards ein und verlangen Transparenz in der Kooperation von Wissenschaft, Wirtschaft und Politik. Es gibt sogar eine Europäische Union der Gesellschaften der Wissenschaftsjournalisten. 

Stefan Hornbostel sagt, dass die Wissenschaft wie die Politik eine kontrollierende Öffentlichkeit auch in Form der Medien brauche. Das stelle eine hohe Anforderung  an die fachliche Kompetenz und an die zeitlichen und finanziellen Ressourcen der Wissenschaftsjournalisten und Redaktionen.